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Document 52008AE0995

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen — Vorteile und Potenziale bestmöglich nutzen und dabei den Schutz der Arbeitnehmer gewährleisten KOM(2007) 304 endg.

ABl. C 224 vom 30.8.2008, p. 95–99 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

30.8.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 224/95


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen — Vorteile und Potenziale bestmöglich nutzen und dabei den Schutz der Arbeitnehmer gewährleisten“

KOM(2007) 304 endg.

(2008/C 224/22)

Die Europäische Kommission beschloss am 13. Juni 2007 gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen — Vorteile und Potenziale bestmöglich nutzen und dabei den Schutz der Arbeitnehmer gewährleisten“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 7. Mai 2008 an. Berichterstatterin war Frau LE NOUAIL MARLIERE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 116 gegen 1 Stimme bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Die Kommission veröffentlichte die vorgenannte Mitteilung am 13. Juni 2007. Sie bewertet darin die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten und die von diesen ergriffenen Maßnahmen bezüglich der Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen in der Europäischen Union und macht Verbesserungsvorschläge für die Durchführung der Richtlinie 96/71/EG.

Mit der Richtlinie 96/71/EG soll die Ausübung der Grundfreiheit der länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen nach Artikel 49 EG-Vertrag durch Dienstleistungserbringer mit der nötigen Gewährleistung eines angemessenen Maßes an Schutz der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Arbeitnehmer, die zur Erbringung dieser Dienstleistungen zeitweise in einen anderen Mitgliedstaat entsandt werden, in Einklang gebracht werden.

Die Kommission definiert einen Arbeitnehmer als „entsandt“, wenn dieser von seinem Arbeitgeber in einen Mitgliedstaat geschickt wird, um dort im Rahmen der Ausführung vertraglich vereinbarter Dienstleistungen zu arbeiten. Diese grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung impliziert die Entsendung von Arbeitnehmern in einen anderen Mitgliedstaat als den, in dem sie gewöhnlich tätig sind; hierdurch entsteht eine spezielle Kategorie von Arbeitnehmern, die so genannten „entsandten Arbeitnehmer“. Allerdings wurde den Mitgliedstaaten ein gewisser Spielraum bezüglich der Interpretation dieser Definition gelassen.

Diese Mitteilung schließt sich inhaltlich an die beiden Mitteilungen (1) an, die Leitlinien entsprechend der Richtlinie 96/71/EG enthielten, die vorsah, dass die Kommission bis 16. Dezember 2001 den Text erneut zu prüfen hatte, um dem Rat etwaige notwendige Änderungen vorzuschlagen.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hatte eine Stellungnahme verabschiedet (2), in der er die Kommission insbesondere aufforderte, „einen neuen Bericht vorzulegen, der folgende Feststellungen ermöglicht:

Besteht eine wirkliche Transparenz der Rechte?

Sind die Rechte der Arbeitnehmer gewährleistet?

Wird die Mobilität der Arbeitnehmer durch die Anwendung der sich aus der Umsetzung dieser Richtlinie in den Mitgliedstaaten ergebenden Bestimmungen mit Blick auf die Risiken einer protektionistischen Abschottung des Arbeitsmarkts eingeschränkt oder gefördert?

Werden Wettbewerbsverzerrungen im Hinblick auf den freien Dienstleistungsverkehr vermieden?

Haben kleine Unternehmen ordnungsgemäßen und ausreichenden Zugang zu den für die Durchführung der umgesetzten Richtlinie erforderlichen Informationen?“

Des Weiteren befürwortete der Ausschuss „eine eingehendere Analyse in Richtung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure, eine Prüfung, wie die Information der Arbeitnehmer und der Unternehmen verbessert werden kann, die Förderung von Netzwerken lokaler, regionaler oder grenzübergreifender Verbindungsbüros mittels einer Bestandsaufnahme bewährter Praktiken beim Austausch von Informationen sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber sowie eine juristische Bewertung der Vorschriften, um zu prüfen, ob der Rechtsrahmen der Mitgliedstaaten sowie die Informationen über die geltenden Tarifverträge vor dem Hintergrund der Erweiterung verständlich und zugänglich genug und aktuell sind.“

1.   Allgemeine Bemerkungen

1.1

Diese Mitteilung beruht auf einer dritten Bewertung, die viele Jahre nach der in der Richtlinie vorgesehenen Frist (16. Dezember 2001) fertig gestellt und in der die Übernahme und Umsetzung in den Mitgliedstaaten berücksichtigt wurde, was ein Zeichen für die Besonderheit dieses Bereichs ist, der nicht nur eine rechtliche, technische und wirtschaftliche Komponente aufweist, sondern vor allem soziale und menschliche Aspekte berührt, die eine Bewertung, Umsetzung und Kontrolle nicht leicht machen. Die Richtlinie mit ihrer sehr stark juristischen Ausrichtung beinhaltet Interpretationen und Interpretationsmöglichkeiten auf mehreren Ebenen hinsichtlich der Umsetzungen und Rechtssprechungen, die für die tatsächliche Lage der Unternehmen, der entsandten Arbeiter und der Arbeitsaufsicht wenig geeignet sind. Darauf haben die Sozialpartner und die lokalen und nationalen Verwaltungen in den Anhörungen des Europäischen Parlaments hingewiesen. Das Parlament hat mehrere Empfehlungen ausgesprochen (3), insbesondere die, dass die Sozialpartner besser berücksichtigt und verstärkt einbezogen werden sollten, ohne sich jedoch zu der Art und Weise zu äußern, wie dies geschehen solle.

1.2

Aus Sicht des Ausschusses können Freiheiten, die als gleichrangig gelten, nämlich die persönlichen Freiheiten und die Dienstleistungsfreiheit, auch in der Wirklichkeit gleichbehandelt werden, wenn sichergestellt wird, dass die Richtlinie Garantien für die Wahrung eines bedeutsamen Maßes an Schutz der Rechte entsandter Arbeitnehmer enthält und ein fairer Wettbewerb unter gleichen Bedingungen zwischen allen Dienstleistungserbringern möglich ist. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Umsetzung des freien Dienstleistungsverkehrs nicht auf Kosten bestimmter Arbeitnehmergruppen erfolgen darf. Auch wenn neuere Urteile (4) als in diese Richtung weisend interpretiert werden können, so erinnert der Ausschuss an die ILO-Übereinkommen Nr. 87 und 98 über das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen, die vorsehen, dass die Festlegung des Sozialrechts unter Berücksichtigung der üblichen Verfahren zur Gestaltung ebendiesen Rechts erfolgen muss, einschließlich von Kollektivverhandlungen auf Unternehmens- oder sonstiger Ebene und in so diversen Bereichen wie der Festlegung von Mindestlöhnen in einer Branche oder einem Unternehmen. Da die Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG in den üblichen Rahmen der Rechtsgestaltung in einem bestimmten Mitgliedstaat eingriff, sollte die Kommission das internationale Recht entsprechend der Auslegung der Ad-hoc-Kontrollorgane und die von allen Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Primärrecht ratifizierten Arbeitsnormen durchsetzen.

1.3

Heute schlägt die Kommission neben dieser neuen Mitteilung die Verabschiedung einer Empfehlung (5) durch den Rat vor, die eine verbesserte Verwaltungszusammenarbeit, ein Informationsaustauschsystem und einen Austausch bewährter Verfahren beinhaltet.

1.4

Angesichts all dieser neuen Vorschläge betont der Ausschuss, dass sich die Kommission auf dem richtigen Weg befindet, insbesondere durch den Vorschlag einer verbesserten Verwaltungszusammenarbeit und der Schaffung eines Systems für den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten, mithilfe dessen Informationen über das Arbeitsrecht, das für die entsandten Arbeitnehmer auf dem Gebiet des Einsatzlandes gilt, sowie die bestehenden Kollektivvereinbarungen verbreitet werden können. Des Weiteren sollen die Arbeitnehmer und Erbringer von Dienstleistungen Zugang zu diesen Informationen in anderen Sprachen als lediglich in der oder den Amtssprachen des Landes erhalten, in denen die Dienstleistungen erbracht werden, es sollen Verbindungsbüros mit benannten Ansprechpartnern eingerichtet, die Sozialpartner in den hochrangigen Ausschuss einbezogen werden usw.

1.5

Allerdings hat die Kommission die Bewertung der Maßnahmen zur Umsetzung und Durchführung in den Mitgliedstaaten lediglich in englischer Sprache vorgelegt, wodurch sich der Nutzen dieser Bewertung für die Mitgliedstaaten und die Sozialpartner auf allen Ebenen in engen Grenzen hält. Der Ausschuss spricht sich dafür aus, dass die Kommission die besonderen Aspekte (Mobilität, freier Verkehr) dieser Thematik berücksichtigt und sich darum bemüht, das beigefügte Dokument (6) in mindestens drei Sprachen zu veröffentlichen, darunter in einer südeuropäischen romanischen und in einer slawischen Sprache zusätzlich zum Englischen. Die Sprachenfrage stellt sich in jedem Falle, und wenn die neuen Bestimmungen den gewünschten Effekt erzielen sollen, so sollte nach Meinung des Ausschusses insbesondere zur Information der in erster Linie betroffenen Sozialpartner, aber auch für das System für den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten eine angemessene Sprachenregelung angewandt werden. Der Ausschuss verweist auf seine Stellungnahme zur Umsetzung der Strategie der Kommission in Bezug auf Mehrsprachigkeit und auf die neue, auf Ersuchen der Kommission erarbeitete Sondierungsstellungnahme (7) und wird auf die Frage der notwendigen Kommunikation und Information hinsichtlich der Umsetzung der Bestimmungen bezüglich der Entsendung von Arbeitnehmern zurückkommen, die u.a. die institutionelle Kommunikation umfasst.

1.6

Allgemeine Beschaffenheit des Informationssystems und Besonderheit der Sozialregister:

1.7

Die Kommission schlägt vor, dass jene Kontrollmaßnahmen im Zusammenhang mit der Entsendung von Arbeitnehmern, die sie für überflüssig hält, aufgehoben werden, wobei ein angemessener Schutz der entsandten Arbeitnehmer gewährleistet bleiben soll. Die Kommission betont in ihrer Mitteilung, dass sie nicht vorhabe, die Sozialschutzmodelle in den Mitgliedstaaten in Frage zu stellen, sondern dass sie in Anbetracht eines Teils der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bestimmte Kontrollmaßnahmen insofern für ungerechtfertigt halte, als sie über das für den sozialen Schutz der Arbeitnehmer notwendige Maß hinausgehen.

1.8

Der Ausschuss unterstreicht den Mangel an Kohärenz, wenn vorgeschlagen wird, die Pflicht zur Führung von Sozialregistern in den Mitgliedstaaten, in denen die Dienstleistungen erbracht werden, abzuschaffen. Durch ein Informationsaustauschsystem können zwar Auskünfte über die geltenden Gesetze und die Rechte und Pflichten der Erbringer von Dienstleistungen und der Arbeitnehmer gegeben werden, es erlaubt jedoch nicht die individuelle Überwachung offener Rechte im Bereich des Sozialschutzes, die unmittelbar und langfristig gelten, wie Kranken-, Unfall-, Renten- und Sozialversicherung, noch ermöglicht es zu kontrollieren, ob Sozialabgaben und Steuern an das Land, in dem die Dienstleistung ausgeführt wird, gemäß dem dort geltenden Arbeitsrecht abgeführt werden. Der Ausschuss rät daher von der Abschaffung der Register ab.

1.9

Der Ausschuss weist darauf hin, dass die Ziele der Richtlinie 96/71/EG auch zehn Jahre nach ihrem Inkrafttreten noch nicht ganz erreicht sind. Innerhalb Europas bestehen weiterhin unterschiedliche Ansätze in Bezug auf die Art und den Umfang des Sozialschutzes der entsandten Arbeitnehmer, sowohl für EU-Bürger als auch für Drittstaatsangehörige.

1.10

Die Kommission bemerkt in ihrem jüngsten Grünbuch „Ein moderneres Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“, dass Schwarzarbeit insbesondere im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Entsendung von Arbeitnehmern ein besonders beunruhigendes und hartnäckig weiter bestehendes Phänomen der heutigen Arbeitsmärkte ist, das auch Wettbewerbsverzerrungen und die Ausbeutung von Arbeitnehmern nach sich zieht (8). Im Grünbuch fordert die Kommission angemessene Durchsetzungsmechanismen, um die Funktionstüchtigkeit der Arbeitsmärkte zu gewährleisten, Verstößen gegen das Arbeitsrecht der Einzelstaaten vorzubauen und den Sozialschutz von Arbeitnehmern zu bewahren.

1.11

Der Ausschuss betont, dass die Wirtschafts- und Sozialpartner der Bauindustrie die Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG besonders aufmerksam verfolgen, sowohl aufgrund der Fälle von Sozialdumping als auch wegen damit einhergehenden möglichen Wettbewerbsverzerrungen, von denen diese Branche bei grenzüberschreitender Entsendung von Arbeitnehmern besonders betroffen ist (9). Unter diesen Voraussetzungen sind den Besonderheiten der Bauindustrie angepasste Kontrollmaßnahmen sehr wichtig, um die betroffenen — sowohl heimischen als auch entsandten — Arbeitnehmer zu schützen. In Anbetracht dieser Situation sollten die Pläne der Kommission nicht dazu führen, dass Kontrollmechanismen, die sich in den Mitgliedstaaten über eine lange Zeit bewährt haben, geschwächt werden. Andernfalls würde die Kommission ihrer erklärten Absicht, die Sozialmodelle in den Mitgliedstaaten unangetastet zu lassen, widersprechen.

1.12

Der Ausschuss unterstreicht die Auffassung des EP, die Kommission solle bei ihrer Interpretation der Rechtsprechung des EuGH hinsichtlich der Bewertung einer Vereinbarkeit von bestimmten Maßnahmen mit dem Gemeinschaftsrecht Maß halten (10).

2.   Besondere Bemerkungen

2.1

Was die Verpflichtung angeht, bestimmte Dokumente in der Sprache des Empfängermitgliedstaates vorzuhalten, hält die Kommission die Verpflichtung zur Übersetzung für unvereinbar mit dem freien Verkehr von Dienstleistungen. Der EuGH hat hingegen in seiner Entscheidung (C-490/04) vom 18. Juli 2007 festgestellt, dass diese umstrittene Verpflichtung im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht steht.

2.2

In einem anderen Fall zitiert die Kommission den EuGH dahingehend, dass automatisch und bedingungslos anwendbare Maßnahmen, die sich auf eine allgemeine Vermutung des Betrugs oder Missbrauches durch eine Person oder ein Unternehmen stützen, eine ungerechtfertigte Beschränkung des freien Verkehrs von Dienstleistungen darstellen (11). Der Ausschuss bezweifelt, dass dieser Spruch des Gerichtshofes auf Maßnahmen gemäß der Richtlinie 96/71/EG anzuwenden ist, da die Mitgliedstaaten in deren diesbezüglicher Bestimmung aufgefordert werden, „geeignete Maßnahmen für den Fall der Nichteinhaltung dieser Richtlinie vorzusehen“. Aus dieser Bestimmung ist keine allgemeine Betrugsvermutung abzuleiten. Hier wird im Gegenteil festgestellt, dass der eigentliche Inhalt dieser Richtlinie ausgehöhlt würde, wenn die Mitgliedstaaten die Einhaltung der Entsendebestimmungen nicht mit angemessenen Maßnahmen durchsetzen könnten.

3.   Verstärkte Zusammenarbeit als Lösung für die bestehenden Probleme bei der Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG

3.1

Der Ausschuss bemerkt positiv, dass die Kommission klar zum Ausdruck bringt, dass es bei der länderübergreifenden Verwaltungszusammenarbeit derzeit erhebliche Mängel und Handlungsbedarf gibt, und ist überzeugt, dass ein auf guter Zusammenarbeit beruhender Informationsfluss zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten zur Bewältigung der Probleme beitragen kann, die aus den mit der praktischen Umsetzung der Entsenderichtlinie verbundenen Schwierigkeiten entstehen, insbesondere auch was die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften betrifft.

3.2

Der Ausschuss ist jedoch nicht der Auffassung, dass eine verstärkte Zusammenarbeit Kontrollmaßnahmen in den Einzelstaaten überflüssig machen könnte. Die im Rahmen der Richtlinie 96/71/EG eingeführten Kooperationsmechanismen haben sich bisher als unwirksam erwiesen; durch sie konnte nicht gewährleistet werden, dass der Sozialschutz für die Arbeitnehmer durch alle einzelstaatlichen Maßnahmen in gleicher Weise und in gleichem Ausmaß gewährt wird.

3.3

Diese Feststellung ist für die Bauindustrie von besonderer Bedeutung. In dieser Branche sind präventive Kontrollen auf den Baustellen unabdingbar, um ermitteln zu können, inwieweit die Rechte von entsandten Arbeitnehmern gewahrt werden.

3.4

Die Rückübertragung der Verantwortlichkeit für die Kontrollen auf den Mitgliedstaat der Herkunft würde zu unerwünschten Verzögerungen beim Schutz der Arbeitnehmerrechte führen. Dies ist einer der Gründe, warum der EuGH in der oben genannten Entscheidung vom 18. Juli 2007 den Mitgliedstaaten das Recht zuerkannt hat, weiterhin vorzuschreiben, dass bestimmte Dokumente in der Sprache des Aufnahmestaates auf den Baustellen vorzuhalten sind. Der Ausschuss spricht sich gegen die Abschaffung dieser Verpflichtung aus und empfiehlt stattdessen, die Aussagekraft der Angaben bezüglich der Einstellung und Beschäftigung im Falle der entsandten Arbeitnehmer dadurch zu erhöhen, dass die Pflicht zur Bereitstellung dieser Angaben aufrechterhalten wird, die für die Kontrollen der Arbeitsverwaltungen, der Berufsbildungs- und der Sozialversicherungseinrichtungen im Aufnahme- und im Herkunftsland benötigt werden. In einem erweiterten Binnenmarkt und in Anbetracht einer noch auszubauenden Arbeitnehmermobilität wird die Notwendigkeit künftig zunehmen, dass die Daten jedes Unternehmens und jedes Arbeitnehmers effektiv zugänglich sind.

3.5

Die Angaben, die zur Feststellung der erworbenen Rentenansprüche bzw. der Arbeitsschutzrechte (Werften, Chemie, Landwirtschaft usw.) benötigt werden, könnten leichter zusammengetragen und überprüft werden, wenn im Sinne der Transparenz eine Reihe zusätzlicher Einträge registriert würden, etwa zum Herkunftsland, dem Unternehmen sowie den Sozialdiensten und -einrichtungen.

3.6

Der Ausschuss ist weiters der Ansicht, dass die Probleme, die sich aus der praktischen Umsetzung der Entsenderichtlinie ergeben, nicht bilateral von den Mitgliedstaaten alleine gelöst werden können. Anzudenken ist daher die Einrichtung einer Stelle in Europa, die bei der grenzüberschreitenden Behördenkooperation im Zusammenhang mit der Entsendung von Arbeitnehmern als Drehscheibe, Schaltstelle, Katalysator und Informationsstelle fungiert. Von dieser Stelle sollte auch periodisch ein Bericht darüber erstellt werden, welche Probleme aufgetreten sind und welche Maßnahmen zu deren Lösung vorgeschlagen werden.

4.   Empfehlungen der Kommission zur besseren Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG

4.1

Der Ausschuss begrüßt die Tatsache, dass die Kommission vorhat, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und in Zusammenarbeit sowohl mit den Gewerkschaften als auch mit den Arbeitgebern einen hochrangigen Ausschuss einzusetzen. Dadurch sollen der Austausch und die Ermittlung von bewährten Verfahrensweisen wie auch eine genaue Untersuchung und die Lösung von Problemen, die den grenzübergreifenden Vollzug von zivil- und verwaltungsrechtlichen Sanktionen im Zusammenhang mit Entsendungen erschweren, gefördert werden. Er hebt hervor, dass die europäischen Sozialpartner der einzelnen Branchen bisher am umfassendsten an der Überwachung und Umsetzung beteiligt sind und daher ausdrücklich einbezogen werden, d.h. von Anfang an und offiziell einen Sitz in diesem Ausschuss haben sollten. Im Übrigen haben sie ihrem Anliegen auf europäischer Ebene in einer gemeinsamen Erklärung Ausdruck verliehen. Der Ausschuss unterstützt die Kommission in diesem Ansatz aufgrund der bisherigen Erfahrungen, greift jedoch nicht dem Umfang der gewünschten Teilnahme der europäischen Sozialpartner verschiedener Branchen vor.

4.2

Dieser hochrangige Ausschuss sollte sicherstellen, dass den Mitgliedstaaten nicht de facto Bedingungen aufgezwungen werden, die normalerweise die Beteiligung des — einzelstaatlichen oder europäischen — Gesetzgebers erforderlich machen würden. Dies bedeutet, dass die notwendigen Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG innerhalb der EU nicht ausreichend harmonisiert sind, ein Missstand, zu dessen Beseitigung dieser Ausschuss beitragen könnte.

4.3

Schließlich begrüßt der Ausschuss, dass die Kommission die Entschließungen des Europäischen Parlaments zur Entsendung von Arbeitnehmern voll und ganz berücksichtigt, insbesondere diejenige bezüglich der Anerkennung der Beteiligung der Sozialpartner; er schlägt vor, ihre Erfahrung zu nutzen, und zwar auch durch eine Aufstockung der Mittel zur Verbreitung von Beispielen bewährter Verfahrensweisen.

4.4

Zur Gewährleistung gleicher Rechte für alle Arbeitnehmer müsste die Europäische Kommission die Bemühungen fördern, Maßnahmen zur Verbesserung der Kontrollen und der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu ergreifen.

5.   Ungelöste Probleme

5.1   Scheinselbstständigkeit

5.1.1

Mit Besorgnis weist der Ausschuss auf das Problem hin, das mit der Aufdeckung von „scheinselbstständigen Arbeitnehmern“ und ihrer rechtlichen Neueinstufung verbunden ist, wenn es um Personen geht, die außerhalb oder innerhalb des Mitgliedstaats, in dem der Tatbestand festgestellt wird, wohnhaft sind, oder — in gewisser Weise — wenn es sich um eine verdeckte Entsendung handelt. Er fordert die Kommission auf, rechtliche und praktische Mittel zu untersuchen, die Abhilfe schaffen können. Es kommt vor, dass entsandte Arbeitnehmer dazu angehalten werden, als Selbständige aufzutreten, obwohl sie ausschließlich von einem einzigen Auftraggeber abhängen, wenn sie nicht gar weder als entsandt noch als selbständig gemeldet sind. Sie werden auch in gefährlichen Berufen eingesetzt, bei denen der Sozialschutz gerade angesichts der Art der Tätigkeit umfassend sein müsste.

5.1.2

Die einzelstaatlichen Gesetze sollten nicht nur klare und brauchbare Definitionen enthalten, sondern auch eindeutige Vorschriften über die Haftbarkeit bei vorgetäuschter Selbständigkeit bzw. vorgetäuschter Entsendung, um wirksam durchzusetzen, dass die ordnungsgemäße Bezahlung des Mindestlohnes, der Geldbußen, Steuern und Sozialabgaben zugunsten des Arbeitnehmers und der Allgemeinheit eingefordert und von den Behörden wirksam überprüft werden kann, dass der Gewinn aus missbräuchlichen Praktiken minimiert und die wirtschaftlichen Sanktionen gegen diejenigen verschärft werden, die gegen die Richtlinie verstoßen, indem geheime Absprachen zwischen Unternehmen und scheinselbständigen Auftragnehmern getroffen werden, um sich den Sozialversicherungspflichten zu entziehen.

5.2   Unteraufträge und Haftbarkeit

5.2.1

Auf der Ebene der Mitgliedstaaten wird das Prinzip der gesamtschuldnerischen Haftung des General- oder Hauptunternehmens für die Unterauftragnehmer von einigen nationalen oder branchenspezifischen Verbänden befürwortet. Dieses Prinzip hat Eingang in die nationale Gesetzgebung gefunden und verdient, als bewährtes Verfahren erwähnt zu werden. Im Bericht des Europäischen Parlaments (12) werden einige Vorteile für entsandte Arbeitnehmer, die unter eine Regelung der gesamtschuldnerischen Haftung fallen, hervorgehoben. In ihrer Mitteilung vertritt die Kommission die Auffassung, dass die Frage, ob die subsidiäre Haftung der Hauptunternehmen ein wirksames und verhältnismäßiges Instrument zur besseren Überwachung und Durchsetzung der Befolgung des Gemeinschaftsrechts sein könnte, eingehender geprüft und diskutiert werden sollte. Das Europäische Parlament hat sich seinerseits für solche Bestimmungen ausgesprochen.

5.2.2

Aufgrund verschiedener praktischer Erfahrungen ist allgemein bekannt, dass die Entsenderichtlinie bisweilen durch lange Ketten von Unteraufträgen in Verbindung mit dem Einsatz grenzübergreifender Dienstleistungserbringer umgangen wird.

5.2.3

Die Mitteilung spricht davon, dass die Kommission zusammen mit den Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern die Probleme der länderübergreifenden Durchsetzung von Vorschriften (Strafen, Geldbußen, gesamtschuldnerische Haftung) eingehend prüfen wird. Die Kommission kommt damit der beständigen Forderung des Europäischen Parlaments nach, eine Rechtssetzungsinitiative über gesamtschuldnerische Haftung einzuleiten, um die Möglichkeiten zur Umgehung der gemäß der Entsenderichtlinie von den Mitgliedstaaten erlassenen oder in Tarifverhandlungen vereinbarten Bestimmungen zu minimieren. Der Ausschuss bittet, über die Ergebnisse dieser Prüfung informiert zu werden.

6.   Schlussfolgerungen

6.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt die Initiativen, die die Europäische Kommission dem Rat vorgeschlagen hat, äußert jedoch Bedenken hinsichtlich deren einseitiger Betrachtungsweise, in der es vorrangig um die Beseitigung von vermeintlichen Beschränkungen oder Behinderungen für Unternehmen geht, die Arbeitnehmer grenzüberschreitend entsenden. Der Durchsetzungsmöglichkeit der durch die Entsenderichtlinie geschützten Arbeitnehmeransprüche muss aus Sicht des Ausschusses — vor dem Hintergrund der bekannten Mängel bei der Überwachung der Arbeitsbedingungen, bei der grenzüberschreitenden Verwaltungszusammenarbeit und bei der Vollstreckung von Bußgeldern — jedoch der selbe Stellenwert zukommen. Insbesondere äußert der Ausschuss Bedenken bezüglich der Abschaffung der Pflicht zur Führung von Sozialregistern in den Mitgliedstaaten, in denen die Dienstleistungen erbracht werden. Der Ausschuss ruft den Rat dazu auf, die vorgeschlagene Empfehlung bezüglich einer verbesserten Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, eines besseren Zugangs der Erbringer von Dienstleistungen und der entsandten Arbeitnehmer zu Informationen in mehreren Sprachen sowie eines Austauschs von Informationen und bewährten Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten innerhalb eines dreigliedrigen hochrangigen Ausschusses anzunehmen, der Vertreter der Mitgliedstaaten sowie der europäischen und nationalen Wirtschafts- und Sozialpartner umfasst, da dadurch die Richtlinie 96/71/EG gestärkt und den Schutz der entsandten Arbeitnehmer im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit gefördert wird.

Brüssel, den 29. Mai 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2003) 458 „Die Durchführung der Richtlinie 96/71/EG in den Mitgliedstaaten“ und KOM(2006) 159 vom 4. April 2006„Leitlinien für die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen“.

(2)  Stellungnahme des EWSA vom 31.3.2004 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Die Durchführung der Richtlinie 96/71/EG in den Mitgliedstaaten“, Berichterstatterin: Frau Le Nouail Marlière (ABl. C 112 vom 30. April 2004).

(3)  Zuletzt in der Entschließung B6-0266/2007 vom 11. Juli 2007.

(4)  Rechtssache C — 341/05 Laval gegen Svenska.

(5)  Empfehlung der Kommission vom [..] zur Verbesserung der Verwaltungszusammenarbeit in Bezug auf die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (IP/08/514).

(6)  SEK(2008) 747.

(7)  Sondierungsstellungnahme des EWSA zum Thema „Mehrsprachigkeit“, Berichterstatterin: Frau Le Nouail-Marlière, in Vorbereitung.

(8)  Grünbuch, KOM(2006) 708 endg., Ziffer 4.f., S. 16ff.; Stellungnahme des EWSA vom 30.5.2007 zu dem „Grünbuch — Ein moderneres Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“, Berichterstatter: Herr Retureau (ABl. C 175 vom 27. Juli 2007).

(9)  Siehe insbesondere: Jan Cremers, Peter Donders, Hrsg., „The free movement of workers in the European Union“, European Institute for Construction Labour Research, sowie Werner Buelen, EFBH, Autor.

Andere Branchen sind ebenfalls von Sozialdumping betroffen, jedoch sind die dortigen Entsendebedingungen nicht Gegenstand dieser Richtlinie. Siehe Stellungnahme des EWSA „Grenzüberschreitende Beschäftigung in der Landwirtschaft“, Berichterstatter: Herr Siecker (CESE 1698/2007) sowie „Beschäftigungslage in der Landwirtschaft“, Berichterstatter: Herr Wilms (CESE 1699/2007).

(10)  Entschließung B6-0266/2007 des Europäischen Parlaments vom 11. Juli 2007.

(11)  Ziffer 3.2 der Mitteilung.

(12)  Bericht des Europäischen Parlaments zur sozialen Verantwortung von Unternehmen: Eine neue Partnerschaft (2006/2133(INI)), Bericht des Europäischen Parlaments über die Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG zum Thema Entsendung von Arbeitnehmern (2006/2038(INI)) und der vom Europäischen Parlament verabschiedete Bericht (A6-0247/2007) über ein moderneres Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, in dem die Kommission dazu aufgefordert wird, „Regelungen über gemeinsame Haftung und Einzelhaftung für General- oder Hauptunternehmen zu erlassen, um Missbrauch bei der Untervergabe und beim Outsourcing von Arbeitnehmern entgegenzuwirken und einen transparenten und wettbewerbsfähigen Markt für alle Unternehmen auf der Grundlage gleicher Bedingungen im Hinblick auf die Einhaltung der Arbeitsnormen und Arbeitsbedingungen zu schaffen; fordert insbesondere die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, auf europäischer Ebene eindeutig festzulegen, wer für die Einhaltung des Arbeitsrechts und für die Entrichtung der Lohnnebenkosten, Sozialversicherungsbeiträge und Steuern in einer Kette von Subunternehmen zuständig ist“. Ein praktisches Beispiel ist der Bau des Hauptgebäudes des Ministerrates (Justus Lipsius) in Brüssel in den 1990er Jahren. Zu einem bestimmten Zeitpunkt waren auf der Baustelle 30 bis 50 Unterauftragnehmer tätig, und deren Auflistung war noch nicht einmal erschöpfend. Ein weiteres Beispiel ist die Renovierung des Berlaymont-Gebäudes (Hauptsitz der Europäischen Kommission), wo ein auf die Beseitigung von Asbest spezialisiertes deutsches Unternehmen etwa 110 portugiesische Arbeitnehmer durch einen Unterauftrag beschäftigte, die für ihre Aufgabe überhaupt nicht ausgebildet waren und unter erschreckenden Umständen arbeiteten. Weitere praktische Fälle sind in folgender Studie zu finden: „The free movement of workers“, CLR Studies 4 (2004), p. 48-51, Cremers and Donders eds.


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