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Document 52019AE1506
Opinion of the European Economic and Social Committee on ‘Communication from the Commission to the European Parliament, the European Council and the Council — A more efficient and democratic decision making in EU energy and climate policy’ (COM(2019) 177 final)
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat: Eine effizientere und demokratischere Beschlussfassung in der Energie- und Klimapolitik der EU“ (COM(2019) 177 final)
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat: Eine effizientere und demokratischere Beschlussfassung in der Energie- und Klimapolitik der EU“ (COM(2019) 177 final)
EESC 2019/01506
ABl. C 14 vom 15.1.2020, p. 105–111
(BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)
15.1.2020 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 14/105 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat: Eine effizientere und demokratischere Beschlussfassung in der Energie- und Klimapolitik der EU“
(COM(2019) 177 final)
(2020/C 14/15)
Berichterstatterin: Baiba MILTOVIČA
Mitberichterstatter: Dumitru FORNEA
Befassung |
Europäische Kommission, 3.6.2019 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
Zuständige Fachgruppe |
Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft |
Annahme in der Fachgruppe |
11.9.2019 |
Verabschiedung auf der Plenartagung |
26.9.2019 |
Plenartagung Nr. |
546 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
136/39/11 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1. Schlussfolgerungen
1.1.1. |
Die Mitteilung ergänzt den Vierten Bericht zur Lage der Energieunion. Im Wesentlichen geht es darin um den Rechtsrahmen für eine demokratischere Entscheidungsfindung in der Energie- und Klimapolitik der EU sowie um den Vorschlag, über Steuerbelange mit Energiebezug nicht mehr einstimmig, sondern (im Zuge des begleitenden ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens) mit qualifizierter Mehrheit zu beschließen. |
1.1.2. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag, die Überleitungsklauseln zu nutzen, um eine Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit im Rat herbeizuführen und dem Europäischen Parlament Mitentscheidungsrechte einzuräumen. Im Rahmen dieser neuen Struktur könnte der EWSA eine wichtige Rolle zur Unterstützung des Trilogs spielen und sollte eingebunden werden.
Der EWSA befürwortet die Mitteilung, ist jedoch der Ansicht, dass die Anliegen der europäischen Unternehmen, Arbeitnehmer und sonstigen Interessenträger einschl. der Verbraucher berücksichtigt werden müssen, um die Klima- und Energiestrategie effizient steuern zu können und für umfassendere Kohärenz in der EU-Gesetzgebung zur Energiebesteuerung zu sorgen. Die Einbeziehung und Mitwirkung der Zivilgesellschaft, die Unterstützung der Mitgliedstaaten und die Zustimmung und das Engagement der Sozialpartner sind für den Erfolg dieses Prozesses wichtig. |
1.1.3. |
Der EWSA fordert die EU auf, auch bei Anwendung des Instruments der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit dem Subsidiaritätsgrundsatz verpflichtet zu bleiben und sich in Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, auf Bereiche zu konzentrieren, in denen gemeinsame Ziele nicht wirksamer auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene erreicht werden können. |
1.1.4. |
Der EWSA ist sich der potenziell kontroversen Natur bestimmter Formen der Energiebesteuerung, die derzeit erwogen werden, bewusst. Er empfiehlt der Kommission deshalb nachdrücklich, klarzustellen, dass auch in diesem Fall ein ähnlicher Ansatz zur Anwendung kommt, wie er in der Mitteilung „Auf dem Weg zu einer effizienteren und demokratischeren Beschlussfassung in der EU-Steuerpolitik“ (COM(2019) 8 final) beschrieben wird, damit die am wenigsten kontroversen Bereiche der Besteuerung ermittelt und zuerst geprüft werden. |
1.1.5. |
Der EWSA bedauert, dass in der Mitteilung COM(2019) 177 final nicht auf die möglichen Arten von konkreten Steuerentscheidungen eingegangen wird, die im Rahmen der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit behandelt werden könnten, und fordert die Kommission auf, dies zu korrigieren. |
1.1.6. |
Nötig ist ein sensibler Ansatz, der den lokalen Gegebenheiten Rechnung trägt, und es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um für eine gerechte Umstellung zu sorgen, so dass Arbeitnehmer, Verbraucher und Gemeinschaften nicht zurückgelassen werden. In solchen Fällen können neue Maßnahmen zur Energiebesteuerung eine zusätzliche Finanzierung durch die EU erfordern, um die entstandenen sozialen und wirtschaftlichen Schäden auszugleichen. |
1.2. Empfehlungen
1.2.1. |
Die Mitteilung über Steuerverfahren im Energiebereich sollte:
|
1.2.2. |
Die Kommission verfügt insbesondere in folgenden Bereichen im Rahmen ihrer bestehenden Kompetenzen über Handlungsspielraum, ohne dass die Mitgliedstaaten hierfür (im Zuge der besonderen oder allgemeinen Überleitungsklauseln) auf Souveränität verzichten müssen:
|
1.2.3. |
Der Industriepolitik der EU sollten neue Impulse verliehen werden, indem Nutzen aus Investitionen gezogen wird, die in den vergangenen Jahren in saubere Energien getätigt wurden. Wird eine führende Marktstellung von EU-Unternehmen in dieser Hinsicht unterstützt, trägt dies zum Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zu Einkommensverbesserungen bei, wodurch wirksamer mit erwarteten Steigerungen bei den Energiekosten umgegangen werden kann. |
1.2.4. |
Die Kommission sollte die Marktgestaltungsmaßnahmen verbessern und bspw. eine weitere Unterstützung von Energieabnehmergenossenschaften oder eine mögliche Rekommunalisierung lokaler Verteilungsnetze vorsehen. Auch sollte sie ihre Arbeitsorganisation überprüfen, z. B. die Struktur und Anzahl von EU-Agenturen, die an der Energiepolitikgestaltung beteiligt sind.
Der EWSA könnte in diesem Zusammenhang ausloten, ob die europäischen Verbraucher, Gemeinschaften, Unternehmen und Arbeitnehmer bereits gerüstet sind, Verantwortung für die Umstellung des Energiesystems zu übernehmen, um die Ziele der Energieunion zu vertiefen, beispielsweise im Wege einer Initiativstellungnahme des EWSA zur Umgestaltung des Energiemarkts. |
1.2.5. |
Energiekosten wirken sich direkt und unmittelbar auf alle Unternehmen, Arbeitnehmer, Verbraucher und das Leben der Menschen aus. Daher müssen die Folgen einer unausgewogenen Initiative zur Energiebesteuerung sorgfältig bedacht werden. In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA die Ankündigung der neuen Kommissionspräsidentin, eine CO2-Grenzsteuer einzuführen, um die globale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zu sichern und die Verlagerung von CO2-Emissionen zu vermeiden. Es sind Maßnahmen erforderlich, um die Umstellung auf eine nachhaltigere Energieerzeugung zu fördern und zahlreiche soziale Gruppen bei der Bewältigung der Energiewende zu unterstützen. Wenn Arbeitsplätze abgebaut werden, müssen neue Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen sowie für betroffene Arbeitnehmer Umschulungsmöglichkeiten und andere verhandelte Lösungen angeboten werden. |
2. Einleitung
2.1. |
In der Mitteilung geht es um die Reform der Energiebesteuerung und des Euratom-Vertrags — beides steht in engem Bezug zur Souveränität. Dies ist ein kontroverses Thema, und Forderungen nach Souveränitätsverzicht in einem so sensiblen Bereich wie der Besteuerung müssen zum aktuellen Zeitpunkt umsichtig angegangen werden. Wie die Kommission in ihrem Dokument unter der Überschrift „Die Reform der Energiebesteuerung sollte Überlegungen zur sozialen Gerechtigkeit Rechnung tragen“ (Ziffer 2.3.) betont, könnte eine Besteuerung „umweltschädlicherer“ Energie unmittelbar schwächere Teile der Bevölkerung treffen. Somit könnte eine solche Maßnahme von vielen europäischen Bürgerinnen und Bürgern als zusätzliche Belastung empfunden werden, weshalb der EWSA begrüßt, dass die Kommission die Brisanz dieses Themas anerkennt. Er verweist auf die Vielzahl seiner Stellungnahmen, in denen er der Kommission Vorschläge gemacht hat, wie diesem Problem zu begegnen ist.
Angesichts der Notwendigkeit einer wirksameren Steuerung der Klima- und Energiestrategie sowie größerer Kohärenz im EU-Recht muss folglich wesentlich intensiver als bisher geschehen eine gesellschaftsweite Debatte über die Frage geführt werden, wie Entscheidungen zur Energiebesteuerung getroffen werden. Dabei sind die Anliegen der europäischen Unternehmen, Arbeitnehmer und sonstigen Interessenträger wie der Verbraucher zu berücksichtigen. Ein wirksamer Energiedialog mit der organisierten Zivilgesellschaft auf europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebene ist hierfür das geeignete Instrument. |
2.2. |
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Energiepolitik der EU in den vergangenen 20 Jahren eng mit der Umweltpolitik verknüpft war, 2020 indes in eine neue, durch übergeordnete Zielvorstellungen — die UN-Nachhaltigkeitsziele — geprägte Phase eintreten wird. Energie ist auch ein Kernaspekt der Industriepolitik und EU-Investitionen, die in den vergangenen Jahren in die saubere Energiewirtschaft geflossen sind, können nun Früchte tragen und EU-Unternehmen in verschiedenen innovativen Branchen weltweit zu einer führenden Rolle verhelfen. |
3. Die Mitteilung der Kommission
3.1. |
Die Kommission verbindet mit ihrer Mitteilung das Anliegen, dass Beschlüsse zur Energiebesteuerung nicht mehr einstimmig, sondern (im Wege des einschlägigen ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens) mit qualifizierter Mehrheit gefasst werden sollten. |
3.2. |
Die Mitteilung zielt ferner darauf ab, für eine stärkere demokratische Rechenschaftspflicht im Rahmen des Euratom-Vertrags zu sorgen, in dem dem Europäischen Parlament nicht die dieselben Befugnisse zuerkannt werden wie im Vertrag von Lissabon. |
3.3. |
In der Mitteilung wird der aktuell anzuwendende Rahmen dargelegt: Neben der üblichen Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit (Artikel 194 Absatz 1 und Absatz 2 Unterabsatz 1 AEUV) und dem ausdrücklichen Recht der Mitgliedstaaten, bestimmte energiepolitische Maßnahmen vorzusehen (Artikel 194 Absatz 2 Unterabsatz 2 AEUV), ist festgelegt, dass der Rat im Energiebereich Bestimmungen, die überwiegend steuerlicher Art sind, einstimmig erlässt (Artikel 194 Absatz 3 AEUV), was in ähnlicher Weise für Umweltmaßnahmen steuerlicher Art gilt (Artikel 192 Absatz 2 AEUV). |
3.4. |
Die Kommission erachtet den Übergang zu einer Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit als Voraussetzung für die Durchführung der Energiewende sowie die Umsetzung der Energie- und Klimaziele bis 2030 und zudem als wichtig angesichts der erheblichen und wachsenden Auswirkungen von Steuern und Abgaben auf die Energiepreise. Die Kommission macht diesbezüglich geltend, dass es bislang aufgrund des Erfordernisses der Einstimmigkeit nicht möglich war, die Energiebesteuerungsrichtlinie (1) aus dem Jahr 2003 zu überarbeiten, die weitgehend auf veralteten Voraussetzungen basiert und nicht auf die Ziele für saubere Energie ausgerichtet ist:
Darüber hinaus werden nach Meinung der Kommission Anreize für bessere Energieeffizienz durch sektorspezifische Steuerbefreiungen oder -vergünstigungen (insbesondere in den Bereichen Luftfahrt, See- und Straßengüterverkehr und Landwirtschaft/Fischerei sowie in energieintensiven Branchen) abgeschwächt. |
3.5. |
Mit ihrer Mitteilung will die Kommission den Weg für eine Überarbeitung der Richtlinie von 2003 mit folgenden Zielen ebnen:
|
3.6. |
Die Kommission stellt zwei Optionen vor, um das Ziel der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit zu erreichen. Bei beiden wird die Notwendigkeit umgangen, den AEUV und die bestehende Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten zu ändern. Die erste Option besteht in der Anwendung der besonderen Überleitungsklausel, die unter dem Titel „Umwelt“ (Artikel 192 Absatz 2 AEUV) verankert ist und in deren Rahmen das Verfahrensziel für Energiebesteuerungsmaßnahmen, die überwiegend umweltpolitischer Art sind, erreicht werden könnte. Die zweite Option besteht in der allgemeinen Überleitungsklausel gemäß Artikel 48 Absatz 7 AEUV für Besteuerungsmaßnahmen, die allgemeiner auf Energieziele ausgerichtet sind. In beiden Fällen müsste der Rat beschließen, von der Einstimmigkeit zur qualifizierten Mehrheit überzugehen. |
3.7. |
Darüber hinaus soll mit der Mitteilung die Entwicklung demokratischer Rechenschaftspflicht im Rahmen des Euratom-Vertrags, der sensible Belange von allgemeinem Interesse umfasst, gefördert werden. Dies soll vor allem durch die vorgeschlagene Einbindung sowohl des Europäischen Parlaments (das bislang nur angehört wird, jedoch nicht zum Abschluss internationaler Übereinkünfte) als auch der nationalen Parlamente geschehen. |
3.8. |
Am Euratom-Vertrag würden keine substanziellen Änderungen vorgenommen werden. Es soll lediglich darum gehen, die Informationsrechte für die Zivilgesellschaft zu erweitern, eine grenzüberschreitende Konsultation zwischen den Mitgliedstaaten sicherzustellen, wenn grenzüberschreitende Auswirkungen zu erwarten sind, sowie für eine stärkere Einbeziehung der Gruppe der europäischen Aufsichtsbehörden für nukleare Sicherheit (ENSREG) zu sorgen und die Reaktionsfähigkeit im Falle eines nuklearen Störfalls zu verbessern. Der Vertrag müsste daher entsprechend dem ordentlichen Änderungsverfahren für Verträge gemäß Artikel 48 EUV überarbeitet werden. |
4. Allgemeine Bemerkungen
4.1. |
Der EWSA begrüßt diese Mitteilung der Europäischen Kommission, nach der im Bereich der Energiebesteuerung die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit eingeführt werden sollte, um die durch den Klimawandel bedingten Herausforderungen anzugehen. Auch unterstützt er die Stärkung der Rolle des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente (die bislang nicht eingebunden sind) in der Beschlussfassung im Euratom-Rahmen sowie den Vorschlag der Kommission, die Zivilgesellschaft stärker in die Gestaltung der Nuklearpolitik einzubinden, wobei in der Mitteilung zwangsläufig ein langfristiger Entwicklungsansatz zugrundegelegt wird. Außerdem plädiert er für eine engere Verknüpfung zwischen den künftigen Berichten zur Lage der Energieunion, der mittelfristigen Strategie bis 2030 und der für den Zeithorizont 2050 vorgeschlagenen langfristigen strategischen Vision. |
4.2. |
Der EWSA räumt zwar ein, dass unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden müssen (da weit mehr als 80 % der CO2-Emissionen auf die Produktion und Nutzung von Energie zurückzuführen sind), fordert die EU jedoch auf, bei der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit weiterhin dem Subsidiaritätsprinzip verpflichtet zu bleiben und sich in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, auf Bereiche zu konzentrieren, in denen gemeinsame Ziele nicht wirksamer auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene erreicht werden können. Dies gilt auch für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wonach Inhalt und Form der Maßnahmen der EU nicht über die Ziele der Verträge hinausgehen dürfen (2). |
4.3. |
Der EWSA stellt mit Sorge fest, dass in der Mitteilung (COM(2019) 177 final) der in der Mitteilung „Auf dem Weg zu einer effizienteren und demokratischeren Beschlussfassung in der EU-Steuerpolitik“ (COM(2019) 8 final) beschriebene Ansatz eines allmählichen Übergangs in vier Schritten zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren in bestimmten Bereichen der EU-Steuerpolitik (3) nicht erwähnt wird. Der EWSA ist sich der potenziell kontroversen Natur bestimmter Formen der Energiebesteuerung, die derzeit erwogen werden, bewusst. Er empfiehlt der Kommission deshalb nachdrücklich, klarzustellen, dass auch in diesem Fall ein ähnlicher Ansatz zur Anwendung kommt, damit die am wenigsten kontroversen Bereiche der Besteuerung ermittelt und zuerst geprüft werden. |
4.4. |
Der EWSA bedauert, dass in der Mitteilung COM(2019) 177 final nicht auf die möglichen Arten von konkreten Steuerentscheidungen eingegangen wird, die im Rahmen der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit behandelt werden könnten, und fordert die Kommission auf, dies zu korrigieren. Der EWSA wäre besorgt, wenn auf EU-Ebene Entscheidungen zur Energiebesteuerung getroffen würden, die negative Umverteilungseffekte haben, zum Beispiel die Zunahme der Energiearmut, etwa durch die Abschaffung von Subventionen für die Energiekosten der wirtschaftlich schwächsten Verbraucher. Es gibt sensible Themen, von denen die Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Maße betroffen sind, je nach Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und der Verfügbarkeit von Alternativen. Nötig ist ein sensibler Ansatz, der den lokalen Gegebenheiten Rechnung trägt, und es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um für eine gerechte Umstellung zu sorgen, so dass Arbeitnehmer, Verbraucher und Gemeinschaften nicht zurückgelassen werden. In solchen Fällen können neue Maßnahmen zur Energiebesteuerung eine zusätzliche Finanzierung durch die EU erfordern, um die entstandenen sozialen und wirtschaftlichen Schäden auszugleichen. |
4.5. |
Inwieweit in einer Gesellschaft Energiearmut herrscht, hängt davon ab, ob die Energiepreise schneller steigen als die Haushaltseinkommen, in welchem Ausmaß in Europa Einkommensungleichheit herrscht und welche Kosten durch die Energiewende (Dezentralisierung und Digitalisierung der Elektrizitäts- und Gasmärkte) entstehen (4). Mit dem Europäischen Energiearmuts-Index werden die Fortschritte der Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung der Energiearmut in den Haushalten und der in Verbindung damit eingeschränkten Mobilität systematisch gewertet (5). Ausgehend von den Befunden der Europäischen Beobachtungsstelle für Energiearmut sollte die Mitteilung mit einem europäischen Aktionsplan zur Beseitigung von Energiearmut durch Bekämpfung ihrer Ursachen verknüpft werden (6). Wie bereits in früheren Stellungnahmen des EWSA (7) festgestellt wird, sind „Energieeffizienz und Energieeinsparungen keine Energiequelle“ und können deshalb auch nicht die alleinige Lösung für die Probleme des Klimawandels, der Versorgungssicherheit oder der Energiearmut bieten. |
4.6. |
Verbraucher profitieren aufgrund der Entkopplung der Großhandels- und Endkundenmärkte nicht in gerechter Weise von den Bemühungen der EU im Energiebereich (8): Aufgrund einer Reihe von Faktoren (späte Entflechtung der Verteilung, Belastung durch Subventionen und hohe Konkursrate bei neuen Anbietern auf den Endkundenmärkten) werden die seit der Liberalisierung sinkenden Preise auf den Großhandelsmärkten nicht an die Endkundenmärkte weitergegeben.
Die Energiekosten in der EU sind schon ausgesprochen hoch (9). Da rund 40 % des Stromendpreises, den europäische Verbraucher zahlen, Steuern und Abgaben sind, steht die Kommission in der Pflicht, eine Folgenabschätzung zu den voraussichtlichen Auswirkungen der Energiepreise durchzuführen, u. a. zu den Auswirkungen einer Steuerharmonisierung auf die einkommensschwächsten Haushalte. |
4.7. |
Ohne Loslösung von der Umweltpolitik würde eine engere Abstimmung mit der Industriepolitik im weiteren Sinne und der daraus resultierenden wirtschaftlichen Entwicklung auch Folgendes ermöglichen:
|
4.8. |
Im Einklang mit Artikel 192 Absatz 2 AEUV zur besonderen Überleitungsklausel wie auch Artikel 48 Absatz 7 EUV zur allgemeinen Überleitungsklausel muss der Aufbau einer echten Energieunion mit Souveränitätsverzichten einhergehen. |
4.9. |
Im Lauf der Jahre wurden im Energiebereich zwar Fortschritte erzielt, teilweise dank EU-Strategien (etwa einer Erhöhung der Kapazitäten bei den erneuerbaren Energien) und teilweise aufgrund internationaler Gegebenheiten (wie flexiblerer Bedingungen für die Versorgung mit Flüssigerdgas, Kohleindexierung und Preissenkungen). Dennoch bestehen weiterhin einige Probleme (u. a. die unter Ziffer 4.11 angeführten Hauptprobleme), die die weitere Entwicklung eines echten Energiebinnenmarkts behindern und den Verbrauchern eine faire Teilhabe an den Vorteilen verwehren. |
4.10. |
Wesentliche Hürden sind u. a. die eingeschränkte Entwicklung grenzüberschreitender Verbindungskapazitäten, insbesondere im Stromsektor, die auf nationale Entscheidungen und Verzögerungen bei Maßnahmen der Europäischen Union zur Verwirklichung des (ohnehin sehr begrenzten, unzureichenden und nicht verpflichtenden) Stromverbundziels von 10 % bis 2010 und von 15 % bis 2030 zurückzuführen sind (11). |
4.11. |
Eine der wichtigsten Prioritäten sollte der soziale Konsens sein, denn jüngste Daten zeigen, dass Haushalte im Norden und Westen der EU 4-8 % des Haushaltseinkommens für Energie aufwenden, Familien in Mittel- und Osteuropa hingegen 10-15 % (12). Große Verluste entstehen auch durch „Energiearmut“. Diese wird zwar als neue soziale Priorität eingestuft, die auf nationaler und europäischer Ebene anzugehen ist, bislang ist es allerdings noch nicht gelungen, sie zu beseitigen. |
5. Besondere Bemerkungen
5.1. |
Energiesysteme sind insofern unflexibel, als infrastrukturelle und regulatorische Veränderungen erst nach zehn Jahren richtig greifen, während der Wettbewerbsdruck aber anhält (wie in China gefertigte Solarpaneele und der Aufstieg der Elektrofahrzeugbranche deutlich machen). Es wird ein völlig neues und umfassenderes energiepolitisches Modell benötigt, in dessen Rahmen bspw. Forschung im Bereich der Kontinuität der Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien einen Mehrwert für EU-Unternehmen bringt oder deren marktführende Rolle in Branchen, in denen sie über einen Wettbewerbsvorteil verfügen, wie Elektrofahrzeuge, den entsprechenden Batterien der neuesten Generation, Wasserstoff oder Windkraft, gefördert wird. |
5.2. |
Eine ergänzende Gestaltung und Umsetzung der Energiepolitik durch die Kommission in Form eines Fahrplans ist angezeigt, da es bei der Energiepolitik um mehr geht als nur um Steuern. In jedem Fall umfasst sie auch die Besteuerung energiewirtschaftlicher Tätigkeiten und Erzeugnisse. Frühere Erfahrungen aus anderen Bereichen haben gezeigt, dass eine Übertragung von Souveränität zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten führen kann, wenn keine echte, vollendete Union besteht (wie im Falle der Wirtschafts- und Währungsunion). |
5.3. |
Energiekosten wirken sich direkt und unmittelbar auf alle Unternehmen und das Leben der Menschen aus. Daher müssen die Folgen einer unausgewogenen Initiative zur Energiebesteuerung sorgfältig bedacht werden. In diesem Zusammenhang und auf der Grundlage der erforderlichen Sozial- und Wirtschaftsfolgenabschätzung begrüßt der EWSA die Ankündigungen der neuen Kommissionspräsidentin, eine CO2-Grenzsteuer einzuführen, um die globale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zu sichern und die Verlagerung von CO2-Emissionen zu vermeiden. Wenn Arbeitsplätze abgebaut werden, müssen neue Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen sowie für betroffene Arbeitnehmer Umschulungsmöglichkeiten und andere verhandelte Lösungen angeboten werden. |
5.4. |
Die Kommission sollte mögliche Verzerrungen auf dem Binnenmarkt aufgrund unterschiedlicher Besteuerungsniveaus für aus fossilen Brennstoffen erzeugte Energie prüfen, gleichzeitig aber auch berücksichtigen, dass Freihandelsabkommen ähnliche Auswirkungen haben können, da durch die unterschiedlichen Rechtsrahmen von Drittstaaten im Bereich Energie und Wettbewerb Dumpingeffekte entstehen können. Handlungsfelder der EU wie Luft, Wasser, Straßenverkehr, Land- und Fischereiwirtschaft sowie energieintensive Industriezweige, auf die mit den vorgeschlagenen Besteuerungsmaßnahmen abgezielt wird, können betroffen sein. Die EU sollte sich im Rahmen bilateraler oder multilateraler Handelsverhandlungen systematisch die Gleichwertigkeit ihrer sozial- und umweltrechtlichen Anforderungen für importierte Produkte ausbedingen (13). |
Brüssel, den 26. September 2019
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Luca JAHIER
(1) ABl. L 283 vom 31.10.2003, S. 51.
(2) SOC/626 „Übergangsklausel“ (siehe Seite 87 dieses Amtsblatts).
(3) ABl. C 353 vom 18.10.2019, S. 90.
(4) ABl. C 198 vom 10.7.2013, S. 1.
(5) Europäischer Energiearmuts-Index (European Energy Poverty Index, EEPI) https://www.openexp.eu/sites/default/files/publication/files/european_energy_poverty_index-eepi_en.pdf
(6) ABl. C 341 vom 21.11.2013, S. 21.
(7) ABl. C 345 vom 13.10.2017, S. 120.
(8) ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 84.
(9) COM(2019) 1 final.
(10) In früheren Entschließungen hat das Europäische Parlament davor gewarnt, dass die Strategie zur Verringerung der CO2-Emissionen auch zu „einem drastischen Anstieg der Energiearmut“ führen könnte (Entschließung vom 14. März 2013 zum Energiefahrplan 2050). Deshalb forderte das Parlament die Kommission auf, eine „Brücke zwischen der Sozial- und der Energiepolitik zu schlagen“ (Entschließung vom 14. April 2016 zur Verwirklichung des Ziels der Armutsbekämpfung in Anbetracht der steigenden Haushaltskosten).
(11) Laut der Expertengruppe der Kommission sinkt das Niveau schrittweise, und einige Mitgliedstaaten werden das Ziel von 10 % bis zum Jahr 2020 nicht erreichen. „Towards a sustainable and integrated Europe“, Bericht der Expertengruppe der Kommission für Stromverbundziele, November 2017, S. 25. Siehe auch ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 84.
(12) COM(2019) 1 final.
ANHANG
Folgende abgelehnte Änderungsanträge erhielten mindestens ein Viertel der Stimmen:
Ziffer 4.5
Streichen:
Im Einklang mit Artikel 192 Absatz 2 AEUV zur besonderen Überleitungsklausel wie auch Artikel 48 Absatz 7 EUV zur allgemeinen Überleitungsklausel muss der Aufbau einer echten Energieunion mit Souveränitätsverzichten einhergehen.
Ja-Stimmen |
: |
73 |
Nein-Stimmen |
: |
91 |
Enthaltungen |
: |
11 |
Ziffer 1.1.2
Ändern:
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag, die Diskussion über die Nutzung der Überleitungsklauseln zu nutzen, um eine Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit im Rat herbeizuführen und dem Europäischen Parlament Mitentscheidungsrechte einzuräumen. Im Rahmen dieser neuen Struktur könnte der EWSA eine wichtige Rolle zur Unterstützung des Trilogs spielen und sollte eingebunden werden.
Der EWSA befürwortet die einige der in der Mitteilung formulierten Positionen, ist jedoch der Ansicht, dass die Anliegen der europäischen Unternehmen, Arbeitnehmer und sonstigen Interessenträger einschl. der Verbraucher berücksichtigt werden müssen, um die Klima- und Energiestrategie effizient steuern zu können und für umfassendere Kohärenz in der EU-Gesetzgebung zur Energiebesteuerung zu sorgen. Die Einbeziehung und Mitwirkung der Zivilgesellschaft, die Unterstützung der Mitgliedstaaten und die Zustimmung und das Engagement der Sozialpartner sind für den Erfolg dieses Prozesses wichtig.
Ja-Stimmen |
: |
65 |
Nein-Stimmen |
: |
105 |
Enthaltungen |
: |
9 |