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Document 52019AE1610

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Gerechtigkeit — Wege zur Stärkung der EU im globalen Wettlauf um künftige Kompetenzen und Bildung bei gleichzeitiger Gewährleistung der sozialen Inklusion“(Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des finnischen Ratsvorsitzes)

EESC 2019/01610

ABl. C 14 vom 15.1.2020, p. 46–51 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

15.1.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 14/46


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Gerechtigkeit — Wege zur Stärkung der EU im globalen Wettlauf um künftige Kompetenzen und Bildung bei gleichzeitiger Gewährleistung der sozialen Inklusion“

(Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des finnischen Ratsvorsitzes)

(2020/C 14/06)

Berichterstatterin: Tellervo KYLÄ-HARAKKA-RUONALA

Mitberichterstatterin: Giulia BARBUCCI

Ersuchen des finnischen

Schreiben, 7.2.2019

Ratsvorsitzes Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

10.9.2019

Verabschiedung im Plenum

25.9.2019

Plenartagung Nr.

546

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

118/0/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Kompetenzen und Qualifikationen spielen eine Schlüsselrolle für den Erfolg der EU im globalen Wettbewerb in den Bereichen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI). Dabei gilt es, nicht nur für die Verfügbarkeit von Spitzenkräften zu sorgen, sondern auch die gesamte Bevölkerung mit dem für das „KI-Zeitalter“ erforderlichen Verständnis und Wissen und den entsprechenden Kompetenzen auszustatten, sodass das allgemeine Potenzial voll ausgeschöpft werden kann und niemand zurückgelassen wird.

1.2.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) fordert die EU auf, einen umfassenden Ansatz für die Politik der allgemeinen und beruflichen Bildung zu verfolgen, bei dem die wechselseitigen Verbindungen zu anderen Bereichen wie Daten, Forschung, Innovation und Industriepolitik sowie zur Wirtschafts- und Sozialpolitik berücksichtigt werden. Da es hierzu der erforderlichen öffentlichen und privaten Investitionen bedarf, bekräftigt der EWSA seine Empfehlung, Reformen zur Schaffung eines günstigen Umfelds für private Investitionen umzusetzen und eine „goldene Regel“ anzuwenden, die es den Mitgliedstaaten ermöglicht, Haushaltsmittel für sozial und wirtschaftlich produktive Investitionen bereitzustellen, ohne die künftige Haushaltssolidität zu gefährden. (1)

1.3.

Nach Auffassung des EWSA ist eine intensive Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten ausschlaggebend für den Erfolg im globalen Wettbewerb. Die Vernetzung europäischer Hochschulen sollte im Hinblick auf die Stärkung der Kompetenzen im Bereich KI gefördert werden. Außerdem muss die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der beruflichen Bildung verbessert werden. Der EWSA fordert zur Bewältigung des digitalen Wandels eine Aufstockung der EU-Mittel zur Unterstützung der notwendigen Reformen, des grenzübergreifenden Austauschs sowie der Zusammenarbeit bei der allgemeinen und beruflichen Bildung einschließlich der Umschulung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

1.4.

Der EWSA betont, dass der Zugang zu kontinuierlichem und lebenslangem Lernen gemäß der europäischen Säule sozialer Rechte ein individuelles Recht für alle sein muss, um mit den digitalen und KI-bezogenen Entwicklungen Schritt zu halten, den Fortschritt mitzugestalten und das Prinzip des „human in command“ — d. h., dass der Mensch die Kontrolle behalten muss — zu berücksichtigen. (2)

1.5.

Der EWSA schlägt die Entwicklung einer EU-Strategie vor, um kontinuierliches lernerzentriertes Lernen zu fördern. Hierbei müssen die Digitalisierung und die Entwicklung von vertrauenswürdiger KI im Mittelpunkt stehen. In der Strategie sollten die Vorkehrungen umrissen werden, die zur Erreichung des in Ziffer 1.4 genannten Ziels erforderlich sind. Dabei muss den Unterschieden in den nationalen Systemen Rechnung getragen werden.

1.6.

Der EWSA ist der Ansicht, dass für das KI-Zeitalter eine gute Grundlage an Querschnittskompetenzen wie logisches und kritisches Denken, Kreativität sowie Interaktionsfähigkeit erforderlich ist. Daneben werden solide Kenntnisse in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) sowie in den Geistes- und Sozialwissenschaften gebraucht. Auch ethisches Denken und Unternehmergeist sind zentrale Elemente der Kompetenzen und Qualifikationen für das KI-Zeitalter.

1.7.

Inklusivität setzt voraus, dass alle Menschen unabhängig von Geschlecht, Alter oder sozioökonomischem Hintergrund Zugang zu digitalen und KI-Technologien sowie zu den dafür erforderlichen Kompetenzen haben. Die öffentliche Bildung ist hier von entscheidender Bedeutung. Auch die nicht-formale Bildung kann zu erheblichen Verbesserungen bei Inklusivität und aktiver Bürgerschaft beitragen. Es sollte besonders darauf geachtet werden, dass auch Frauen und Mädchen sowie ältere Menschen über die notwendigen Kompetenzen verfügen.

1.8.

Wettbewerbsfähigkeit erfordert sowohl Spitzenkräfte als auch einen soliden Grundstock an gut ausgebildeten Fachkräften. Berufliche Qualifikationen müssen laufend an die neuesten Entwicklungen und notwendigen Kompetenzen angepasst werden. Der EWSA ist der Auffassung, dass sich neue Talente von Weltrang am besten über Forschungsprojekte heranbilden lassen. Kooperationsprojekte mit der Wirtschaft sind ein Weg, um Spitzenkräfte in der EU zu halten und ausländische Talente anzuziehen.

1.9.

Der EWSA betont, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen politischen Entscheidungsträgern, Bildungsanbietern, Sozialpartnern und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen im Hinblick auf die Digitalisierung und die KI sowie die damit verbundenen Bildungs- und Kompetenzentwicklung von entscheidender Bedeutung ist. Da den Sozialpartnern bei Beschäftigungsfragen eine besondere, im Vertrag verankerte Rolle zukommt, sollten sie in Übereinstimmung mit den nationalen Vorschriften in Beschlüsse über Investitionen, Technologien und die Arbeitsorganisation eingebunden werden.

2.   Einleitung

2.1.

Angesichts des raschen Fortschritts im Bereich der Digitalisierung und der KI muss sich die EU rüsten, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Entscheidend ist hier die Verbesserung von Kompetenzen und Qualifikationen. Dazu sind aktive Maßnahmen der allgemeinen und beruflichen Bildung erforderlich, die die Menschen auch dabei unterstützen sollten, mit der sich wandelnden Nachfrage Schritt zu halten und den Fortschritt in seinen verschiedenen Ausprägungen und Auswirkungen mitzugestalten.

2.2.

In dieser Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des finnischen Ratsvorsitzes soll die Frage nach „Wegen zur Stärkung der EU im globalen Wettlauf um künftige Kompetenzen und Bildung bei gleichzeitiger Gewährleistung der sozialen Inklusion“ vor dem Hintergrund von Digitalisierung und KI beantwortet werden. Zur Veranschaulichung eines zukunftsorientierten Ansatzes wird zudem das Konzept des „KI-Zeitalters“ verwendet.

2.3.

Der EWSA hat bereits mehrere Stellungnahmen vorgelegt, in denen er sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung und der KI auf die Arbeit, den Qualifikations- und Investitionsbedarf der Zukunft sowie die ethischen Aspekte der KI auseinandersetzt. (3) In der vorliegenden Stellungnahme stehen die Zusammenhänge zwischen digitalen und KI-bezogenen Kompetenzen, Wettbewerbsfähigkeit und Inklusivität im Vordergrund. Weitere Kompetenzen, die z. B. erforderlich sein werden, um dem Klimawandel zu begegnen, werden hingegen nicht berücksichtigt.

2.4.

Zwischen Digitalisierung und KI einerseits und Bildung und Kompetenzentwicklung andererseits bestehen in mehrfacher Hinsicht Wechselwirkungen. Durch sie entstehen neue Anforderungen an Kompetenzen und Qualifikationen; daneben ermöglichen sie auch neue Lern- und Unterrichtsmethoden. Zudem können digitale und KI-Techniken genutzt werden, um den Wandel in der Arbeitswelt und im täglichen Leben und somit den Bedarf an allgemeiner und beruflicher Bildung vorwegzunehmen. Außerdem versetzt die allgemeine und berufliche Bildung die Menschen in die Lage, die digitale Entwicklung mitzugestalten.

2.5.

Eine Reihe von Berührungspunkten besteht auch zwischen Digitalisierung und KI und Fragen der Inklusivität. So unterstützen diese Technologien etwa Menschen mit Behinderungen bei der Arbeit und besseren Bewältigung ihres Alltags. Sie können auch dazu beitragen, Menschen aus der Isolation herauszuholen. Inklusivität bedeutet aber auch, dass alle — unabhängig von Geschlecht, Alter oder sozioökonomischem Hintergrund — Zugang zu diesen Technologien und den erforderlichen Kompetenzen haben.

2.6.

Die Bildung fällt generell in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten. Es gibt jedoch unterschiedliche Arten der Zusammenarbeit, etwa den Austausch bewährter Vorgehensweisen. Außerdem wird an der Schaffung eines europäischen Bildungsraums gearbeitet, der auf dem Programm Erasmus+ und weiteren EU-Förderinstrumenten aufbaut. Die Anerkennung von Berufsqualifikationen ist eine weitere sehr wichtige Form der Zusammenarbeit.

2.7.

Der EWSA will die Frage der digitalen und KI-bezogenen Kompetenzen und Bildung sowohl unter dem Gesichtspunkt des Erfolgs im globalen Wettbewerb als auch der sozialen Inklusivität erörtern und hält in diesem Zusammenhang folgende drei Fragestellungen für relevant:

Auf welche Art von Kompetenzen und Qualifikationen kommt es im KI-Zeitalter entscheidend an?

Wie können diese Kompetenzen und Qualifikationen am besten erworben werden?

Welche Art von Maßnahmen müssen zur Unterstützung der Fortschritte in diesem Bereich auf der nationalen und europäischen Ebene ergriffen werden?

3.   Auf welche Art von Kompetenzen und Qualifikationen kommt es im KI-Zeitalter entscheidend an?

3.1.

Angesichts der Tatsache, dass die Digitalisierung und insbesondere die KI erhebliche Auswirkungen auf den Alltag der Menschen sowie auf die Entwicklung von Unternehmen, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Arbeit der Zukunft haben, sind Entwicklung und Fortschritt auf verschiedenen kognitiven Ebenen erforderlich. Auf der einen Seite geht es um Bewusstsein, Wissen und Verstehen, auf der anderen um Qualifikationen und Kompetenzen. Um im globalen Wettbewerb bestehen zu können, braucht es Spitzenqualifikationen und herausragende Talente, aber ebenso einen soliden Grundstock an gut ausgebildeten Fachkräften.

3.2.

Offenkundig werden die durch Digitalisierung, KI und Robotik gebotenen Unterstützungsmöglichkeiten von den Menschen weniger stark wahrgenommen als die Bedenken im Zusammenhang mit Arbeitsplätzen, Sicherheit und Schutz der Privatsphäre. Deshalb müssen die Chancen, die mit der Digitalisierung und KI für die Gesellschaft als Ganzes verbunden sind, besser bekannt gemacht werden.

3.3.

Ein besseres Verständnis des Wesens und der Funktionsweise der KI ist eine weitere Voraussetzung, damit die Menschen besser verstehen und kritisch hinterfragen können, wo und wie KI eingesetzt werden kann. Für ein solches besseres Verständnis muss nicht nur bei Arbeitgebern und Unternehmen gesorgt werden, sondern auch bei Arbeitnehmern, Verbrauchern und politischen Entscheidungsträgern.

3.4.

Darüber hinaus bedarf es im KI-Zeitalter der Fähigkeit des ethischen Denkens, um zu gewährleisten, dass digitale Lösungen und KI im Einklang mit den Menschenrechten entwickelt und genutzt werden. Neben Fragen, die die Menschen betreffen, müssen auch Umwelt- und Klimaaspekte der Digitalisierung und der KI verstanden werden — sowohl die Chancen, die diese Technologien bieten, als auch die damit verbundenen Risiken. Diese ethischen und sonstigen Überlegungen müssen mittels partizipatorischer Governance umgesetzt werden, d. h., die Zivilgesellschaft und die Sozialpartner müssen in die einzelnen Bereiche und Prozesse eingebunden werden.

3.5.

Zu den auf kurze Sicht dringenden Aufgaben im Bereich der Entwicklung von Kompetenzen und Qualifikationen zählen die Linderung des Fachkräftemangels und die Korrektur des Missverhältnisses zwischen Qualifikationsangebot und -nachfrage auf dem Arbeitsmarkt.

3.6.

Da eine langfristige Vorbereitung auf bestimmte Berufe immer schwieriger wird, müssen Berufsbildungsmaßnahmen ständig an neue Entwicklungen angepasst werden und sich auf eine Reihe von Kompetenzen und Qualifikationen stützen, die unabhängig von der jeweiligen Entwicklung benötigt werden.

3.7.

Es gilt, wichtige Frage zu klären, u. a.: Welche Qualifikationen haben gegenüber Maschinen und Robotern einen Mehrwert? Und welche Qualifikationen wollen wir ganz unabhängig davon behalten? Dies macht deutlich, dass eine gute Grundlage an Querschnittskompetenzen wie logisches Denken, kritisches Denken, Kreativität sowie soziale Kompetenz und Interaktionsfähigkeit erforderlich ist.

3.8.

Zudem muss sowohl kurz- als auch langfristig dafür gesorgt werden, dass die gesamte Gesellschaft zumindest über grundlegende digitale Kompetenzen verfügt. Neben einer Digital- und KI-Grundkompetenz sind allgemeine Kompetenzen gefragt, die dazu befähigen müssen, KI im Alltag und bei der Arbeit einzusetzen, um innovative Lösungen zu finden und diese anzuwenden. Dies gilt für Menschen aller Altersstufen und aus allen Gesellschaftsschichten sowie für Menschen mit Behinderungen, für die KI besondere Chancen birgt.

3.9.

Die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik), aber auch die Geistes- und Sozialwissenschaften gewinnen im KI-Zeitalter an Bedeutung. Außerdem werden multi- und interdisziplinäre Qualifikationen benötigt, um systemische Fragen und mehrdimensionale Probleme verstehen zu können, für deren Lösung die Digitalisierung und KI eingesetzt werden können.

3.10.

Aufgrund der Veränderungen in der Arbeitswelt steigt auch die Bedeutung unternehmerischer Kompetenzen. Gebraucht werden diese jedoch nicht nur von den Unternehmern selbst, sondern von jedem Einzelnen zur Organisation der eigenen Berufstätigkeit und des eigenen Alltags. Dieser rasche Wandel erfordert ferner Anpassungsfähigkeit und Resilienz in der Arbeitswelt und von der Gesellschaft insgesamt. Unternehmen müssen nach Wegen suchen, um die Weiterbildung von Arbeitnehmern zu gewährleisten und so diesen Wandel in der Arbeitswelt zu erleichtern.

3.11.

Zudem bedarf es im KI-Zeitalter diverser Kompetenzen in den Bereichen Zusammenarbeit, Kommunikation und Unterricht: Sowohl im Beruf als auch im Alltag werden Menschen zunehmend mit intelligenten Systemen wie KI und Robotik zusammenarbeiten und kommunizieren müssen. Darüber hinaus geht es bei KI und Robotik nicht mehr nur um Programmieren, sondern zunehmend auch um Wissensvermittlung.

3.12.

Zusätzlich zu dem Mehr an Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen in der Gesamtgesellschaft bedarf es auch herausragender Talente, damit die EU im globalen Wettbewerb bestehen und bei Innovation und Investitionen in die Digitalisierung und KI eine Spitzenposition einnehmen kann. Neben KI-Entwicklern sind mehr Talente und Fachkräfte gefragt, um KI in den einzelnen Bereichen vom verarbeitenden Gewerbe bis hin zur Dienstleistungsbranche anzuwenden. All dies erfordert Spitzenqualifikationen in den Bereichen Naturwissenschaft, Mathematik und Technik.

3.13.

Auch solide unternehmerische Kompetenzen sind notwendig, um die wirtschaftlichen Chancen, die die Digitalisierung und KI eröffnen, etwa für die Expansion von Unternehmen nutzen zu können. Vertrauenswürdige KI könnte zu einem Wettbewerbsvorteil für die EU werden, weshalb ethische Aspekte eine zentrale Rolle bei den Qualifikationen von Entwicklern und Nutzern von KI spielen sollten.

3.14.

Um im Wettlauf um Kompetenzen bestehen zu können, muss das ganze Potenzial der Gesellschaft voll ausgeschöpft werden. Besonderes Augenmerk sollte auf die digitalen Kompetenzen und das Interesse von Frauen und Mädchen an den MINT-Fächern gelegt werden, um sie stärker in die Weiterentwicklung der Digitalisierung und KI einzubinden. Auf diese Weise könnten die Bedingungen in vielen Branchen sowie in Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt verbessert und ein Beitrag zur Überwindung geschlechtsspezifischer Vorurteile im Zusammenhang mit Daten und Technologien geleistet werden.

4.   Wie können die Kompetenzen und Qualifikationen für das KI-Zeitalter am besten erworben werden?

4.1.

Es liegt auf der Hand, dass die derzeitigen Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung reformiert und begleitend die entsprechenden Finanzmittel bereitgestellt werden müssen, damit die für das KI-Zeitalter erforderlichen Kompetenzen und Qualifikationen verbessert werden können. Andererseits bringen Digitalisierung und KI derart tiefgreifende Veränderungen mit sich, dass das gesamte Konzept des Lernens und Lehrens überdacht werden muss. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, die Lehrkräfte sowie alle Akteure im Bildungswesen entsprechend auf die neue Denkweise und Kultur vorzubereiten.

4.2.

Kontinuierliches Lernen muss ein Recht für jeden sein, um mit den aktuellen und künftigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen Schritt halten und den Fortschritt mitgestalten zu können. Dabei muss auf Chancengleichheit geachtet und das Prinzip befolgt werden, dass niemand zurückgelassen werden darf. Kontinuierliches Lernen bedeutet Lernen für die Arbeit, trägt aber auch zur persönlichen und beruflichen Entfaltung, zur sozialen Inklusion sowie zur aktiven Bürgerschaft bei.

4.3.

In der Grundschule sollten den Schülerinnen und Schülern grundlegende digitale Fähigkeiten vermittelt werden, vor allem aber müssen dort die Grundlagen für kontinuierliches Lernen gelegt werden. Alle Menschen sollten demnach Lernkompetenzen und gründlichere Kenntnisse für das KI-Zeitalter erwerben, darunter das Verständnis sozialer und ethischer Aspekte. Auch muss verstanden werden, wie das Prinzip des „human in command“, d. h., dass der Mensch die Kontrolle behält, umgesetzt werden kann.

4.4.

Lernen darf nicht mehr als Abfolge verschiedener Bildungsmaßnahmen gesehen werden, sondern sollte gezielt auf den Einzelnen zugeschnitten werden („Lerndesign“). Im KI-Zeitalter erfordert ein solches Lerndesign geeignete Methoden zur Feststellung des individuellen Lernbedarfs sowie die Bereitstellung eines angepassten Lernangebots, wobei die spezifische Rolle der öffentlichen Bildung zu achten ist. Außerdem müssen die Menschen auf neue Arten von Aktivitäten setzen, um sich selbst Ziele zu stecken.

4.5.

Die KI selbst bietet Möglichkeiten für ein stärker lernerzentriertes Lernen. KI-gestütztes Lerndesign ermöglicht eine Analyse der Nachfrage nach Kompetenzen und Qualifikationen sowie eine Selbstbewertung, unterstützt bei der Entwicklung individueller Lernwege sowie dabei, formale, nicht-formale und informelle Lernangebote miteinander zu kombinieren. Außerdem kann KI zur Bereitstellung von Inhalten für lernerzentrierte allgemeine und berufliche Bildung genutzt werden.

4.6.

Um ein individualisierteres Lernen zu ermöglichen und mehr Möglichkeiten für interdisziplinäre und institutionsübergreifende Studien zu schaffen, sollten die Bildungseinrichtungen Lernmodule anbieten, die flexibel miteinander kombiniert werden können.

4.7.

Neben der allgemeinen Grundbildung und der beruflichen Bildung besteht ein deutlicher Bedarf an Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen. Diese Art des Lernens findet zunehmend am Arbeitsplatz statt. Die Zusammenarbeit zwischen Bildungseinrichtungen und den Sozialpartnern durch die Schaffung von Netzen, die Großunternehmen wie auch KMU einschließen, spielt eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der am Arbeitsplatz erforderlichen Fortbildung.

4.8.

Da die Zahl derer, die sich laufend weiterbilden, ständig steigt, sind hier leicht skalierbare Methoden gefragt. Offene Online-Lehrveranstaltungen (Massive Open Online Courses, MOOCs) sind diesbezüglich vielversprechend. Sie können z. B. genutzt werden, um das allgemeine Wissen über KI zu verbessern (so wie dies etwa bei dem finnischen Lehrgang „Elemente der KI“ der Fall ist) oder auch um die Kompetenzen und Qualifikationen zu verbessern, die für die Anwendung von KI sowie für die Nutzung der virtuellen oder erweiterten Realität notwendig sind.

4.9.

Die nicht-formale Bildung ist von entscheidender Bedeutung für die weitere Förderung inklusiver Bildungssysteme und ein Schlüsselelement für das lebensbegleitende und alle Lebensbereiche umfassende Lernen. Daher sollte, wie vom EWSA in seiner früheren Stellungnahme (4) vorgeschlagen, mehr Gewicht auf die Bewertung und Validierung der Ergebnisse der nicht-formalen Bildung und des informellen Lernens sowie auch auf die Unterstützung aller Interessenträger in diesem Bereich gelegt werden.

4.10.

Jugendorganisationen leisten einen wesentlichen Beitrag zur Befähigung junger Menschen als Arbeitnehmer und Bürger. Sie bieten Bildungsangebote, die dem individuellen Bedarf entsprechen, und können somit auch die jungen Menschen erreichen, die sich außerhalb der Reichweite formaler Bildungsanbieter befinden. Außerdem können sie die formale Bildung ergänzen, indem sie anders geartete Qualifikationen und Kompetenzen vermitteln.

4.11.

Es gibt eine positive Übereinstimmung zwischen den von den Arbeitgebern nachgefragten persönlichen Kompetenzen und den von Jugendorganisationen vermittelten Kompetenzen. Die nicht-formale Bildung spielt auch eine wichtige Rolle bei Umschulung und Weiterbildung sowie bei der Vermittlung digitaler Kompetenzen an ältere Menschen.

4.12.

Eine Zusammenarbeit sowohl in der Forschung als auch in der Bildung wird erforderlich sein, um im globalen Wettlauf um Talente erfolgreich sein zu können. Forschungsprojekte sind eine effiziente Form der Hochschulbildung und eine gute Möglichkeit zur Förderung neuer Talente von Weltrang. Netze von miteinander verbundenen Exzellenz- und Innovationszentren sind wichtige Instrumente zur gemeinsamen Nutzung von Qualifikationen. Bei Forschungsprojekten, die sich auf eine Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und der Wirtschaft stützen, gehen Talente häufig ein Beschäftigungsverhältnis mit Unternehmen ein. Hochrangige Forschungsprojekte können somit auch dazu beitragen, Spitzenkräfte in der EU zu halten und ausländische Talente anzuziehen.

5.   Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um die im KI-Zeitalter erforderlichen Kompetenzen und Qualifikationen zu verbessern?

5.1.

Der EWSA ist der Auffassung, dass Investitionen in die allgemeine und berufliche Bildung ein zentrales Element einer Digitalisierungs- und KI-Strategie sein müssen. Gleichzeitig bilden Digitalisierung und KI eine essenzielle Dimension einer zukunftsorientierten Bildungspolitik und eines zukunftstauglichen Bildungssystems. Die EU sollte sich bemühen, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen.

5.2.

Durch die Digitalisierung und KI kommt dem kontinuierlichen Lernen als einem der wichtigsten Mittel zur Stärkung der Position der EU im globalen Kompetenz- und Bildungswettlauf unter Gewährleistung der Inklusion mehr Bedeutung zu als je zuvor. Der EWSA schlägt die Entwicklung einer EU-Strategie vor, in der die Vorkehrungen umrissen werden, die zur Förderung eines kontinuierlichen lernerzentrierten Lernens erforderlich sind, und in deren Mittelpunkt die Digitalisierung und die Anwendung von vertrauenswürdiger KI stehen. Hierbei ist den Unterschieden in den nationalen Systemen Rechnung zu tragen. Dementsprechend sollten ehrgeizigere Ziele für den EU-Bildungsraum festgelegt werden: Wenn sich nur ein Viertel der Menschen am kontinuierlichen Lernen beteiligt, reicht dies nicht aus — alle müssen ein Recht darauf haben.

5.3.

Der EWSA fordert eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bei der allgemeinen und beruflichen Bildung. Es muss umfassend auf gemeinsame Programme der allgemeinen und beruflichen Bildung gesetzt werden, darunter auch auf Master- und Promotionsstudien in KI. Der EWSA hält Vernetzungsinitiativen europäischer Hochschulen für einen guten Weg für den Ausbau KI-bezogener Spitzenqualifikationen. Auch die internationale Zusammenarbeit mit führenden Forschungs- und Bildungseinrichtungen für eine vertrauenswürdige KI ist erforderlich. Daneben sollte die Zusammenarbeit im Bereich der beruflichen Bildung gefördert und die Anerkennung von Qualifikationen weiter unterstützt werden, um eine flexible Mobilität der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten zu ermöglichen.

5.4.

Der EWSA fordert eine Aufstockung der EU-Mittel zur Finanzierung neuer Initiativen im Bereich der KI-bezogenen allgemeinen und beruflichen Bildung. Die Möglichkeiten, die Erasmus+ und andere Förderinstrumente zur Stärkung des grenzübergreifenden Austausches und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bieten, sollten eingehender geprüft werden. Des Weiteren wird es für die Heranbildung und Anwerbung herausragender Talente darauf ankommen, dass die Mittel für Forschungsprogramme aufgestockt werden, wie z. B. für die über Horizont 2020 finanzierte Initiative für ein europäisches Netz von KI-Exzellenzzentren.

5.5.

Auch der Europäische Sozialfonds und der Europäische Fonds für die Anpassung an die Globalisierung sollten zur Unterstützung der inklusiven Entwicklung digitaler und KI-Kompetenzen genutzt werden und ein Programm umfassen, das Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beim Erwerb neuer Kompetenzen zur Bewältigung des digitalen Wandels unterstützt. Dieses Programm sollte möglichst umfassend bekannt gemacht werden.

5.6.

Daten und digitale Infrastruktur spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Nutzung von digitalen Werkzeugen und KI in Bildung und Lernen zu ermöglichen. Die Verfügbarkeit, Qualität, Zuverlässigkeit, Zugänglichkeit und Interoperabilität von Daten sowie ihr freier Fluss sind daher für Bildung und Lernen im KI-Zeitalter unerlässlich. Dies ist neben Aspekten des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre bei der Datenpolitik zu berücksichtigen. Investitionen in die digitale Infrastruktur in sämtlichen Bereichen sind ebenfalls von entscheidender Bedeutung, um die Nutzung digitaler Möglichkeiten für Bildung und Lernen zu verbessern und die Entstehung einer digitalen Kluft zu verhindern.

5.7.

Ein weiterer Aspekt, der in engem Zusammenhang mit der Bildung steht, sind Investitionen in die KI-bezogene Innovation. Sowohl der öffentliche als auch der private Sektor müssen mehr Ressourcen für die Innovation bereitstellen. Zudem muss die EU einer industriepolitischen Strategie gebührende Aufmerksamkeit widmen, ein günstiges Umfeld für die europäische Industrie schaffen und auftragsorientierte Innovationen und Investitionen fördern, um den wichtigsten wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen zu begegnen.

5.8.

Insgesamt benötigt die EU einen umfassenden Ansatz für die Politik der allgemeinen und beruflichen Bildung, der deren strategischer Rolle und den wechselseitigen Verbindungen mit anderen Politikbereichen, einschließlich der Wirtschafts- und Sozialpolitik, Rechnung trägt. Für Unterstützung sollte durch die notwendigen öffentlichen und privaten Investitionen gesorgt werden, die sowohl durch Reformen zur Schaffung eines günstigen Umfelds für private Investitionen als auch durch einen angemessenen EU-Haushalt und die Verpflichtung zu einer „goldenen Regel“ erleichtert werden sollten, welche die Finanzierung wirtschaftlich und sozial produktiver Investitionen aus den Haushalten der Mitgliedstaaten ermöglicht, ohne die künftige Haushaltssolidität zu gefährden. (5) Dementsprechend sollten Bildung und Kompetenzen eine wichtige Rolle im Europäischen Semester spielen. Im Rahmen des allerersten gemeinsamen Treffens der Bildungs- und Finanzminister der EU während des finnischen EU-Ratsvorsitzes sollten hierfür die richtigen Impulse gesetzt werden.

5.9.

Darüber hinaus betont der EWSA, wie wichtig es ist, die Zivilgesellschaft in die Entwicklung von politischen Maßnahmen der allgemeinen und beruflichen Bildung und damit verbundener Maßnahmen sowie in die Gestaltung und Umsetzung neuer Programme für diese Bereiche einzubinden, die auch ethische Aspekte umfassen. Es bedarf einer Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Bildungseinrichtungen, Sozialpartnern, Verbraucherorganisationen und den anderen betroffenen Organisationen der Zivilgesellschaft.

5.10.

Den Sozialpartnern kommt im Sinne des Vertrags eine besondere Aufgabe zu. Da ihnen bei Beschäftigungsfragen eine besondere Rolle zukommt, sollten sie in Übereinstimmung mit den nationalen Vorschriften in Beschlüsse über Investitionen, Technologien und die Arbeitsorganisation eingebunden werden. Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Digitalisierung eine der sechs Prioritäten des Arbeitsprogramms 2019-2021 für den europäischen sozialen Dialog ist.

Brüssel, den 25. September 2019

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 190 vom 5.6.2019, S. 24.

(2)  Europäische Säule sozialer Rechte, Grundsatz 1. Jede Person hat das Recht auf allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen von hoher Qualität und in inklusiver Form, damit sie Kompetenzen bewahren und erwerben kann, die es ihr ermöglichen, vollständig am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und Übergänge auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu bewältigen.

(3)  ABl. C 240 vom 16.7.2019, S. 51, ABl. C 228 vom 5.7.2019, S. 16, ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 292, ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 1, ABl. C 110 vom 22.3.2019, S. 41, ABl. C 367 vom 10.10.2018, S. 15, ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 36, ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 43.

(4)  ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 49.

(5)  ABl. C 190 vom 5.6.2019, S. 24.


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