16.7.2021 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 286/53 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine Arzneimittelstrategie für Europa“
(COM(2020) 761 final)
(2021/C 286/10)
Berichterstatter: |
Martin SCHAFFENRATH |
Befassung |
Europäische Kommission, 14.1.2021 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
Zuständige Fachgruppe |
Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch |
Annahme in der Fachgruppe |
31.3.2021 |
Verabschiedung auf der Plenartagung |
27.4.2021 |
Plenartagung Nr. |
560 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
232/1/4 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt allen voran die Intention der Europäischen Kommission, mit der neuen Arzneimittelstrategie für Europa neben der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der pharmazeutischen Industrie, die Versorgung mit sicheren, qualitativ hochwertigen sowie leistbaren Arzneimitteln und die finanzielle Tragfähigkeit der mitgliedstaatlichen Gesundheitssysteme zu gewährleisten. Besonders in folgenden Bereichen spielen neue gemeinsame europäische Ansätze eine zentrale Rolle:
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1.2. |
Die aktuelle COVID-19-Pandemie zeigt, wie wichtig ein koordiniertes europäisches Vorgehen ist. Der EWSA verweist daher auf die Bedeutung gemeinsamer Strategien in Bezug auf die Arzneimittelforschung und -entwicklung sowie Preisbildung, insbesondere wenn es um risikoreiche Produkte geht und die Investitionsrentabilität für Hersteller nicht gewährleistet ist. |
1.3. |
Der EWSA betont, dass bei allfälligen politischen Maßnahmen auf EU-Ebene die Achtung der mitgliedstaatlichen Kompetenzen sowie des Subsidiaritätsprinzips gemäß Artikel 168 Abs. 7 AEUV sichergestellt werden muss, um den unterschiedlich organisierten nationalen Gesundheitssystemen Rechnung zu tragen und sie finanziell nicht zu destabilisieren. Dies ist besonders wichtig, wenn es um Fragen der Preisbildung und Erstattung geht, die in den alleinigen Verantwortungsbereich der Mitgliedstaaten fallen. Gleichwohl muss sichergestellt werden, dass Informationen, Erkenntnisse und bewährte Verfahren kontinuierlich auf EU-Ebene ausgetauscht werden, um dadurch jegliche Fragmentierung und Ungleichheiten zu vermeiden. |
1.4. |
Der EWSA stellt fest, dass sich der europäische Arzneimittelsektor unter den derzeit gegebenen Rahmenbedingungen in den letzten Jahren in eine Richtung entwickelt hat, die teils zu Missbrauch der diversen Anreizsysteme geführt hat, in vielerlei Hinsicht einen Mangel an Transparenz aufweist und zu einer Konzentration auf Geschäftsfelder mit hohen Gewinnmargen sowie zum Teil zu übermäßigen Preisforderungen geführt hat. Der EWSA sieht es daher als dringend geboten an, den gegenwärtigen Rechtsrahmen für Arzneimittel zu überarbeiten, anzupassen und diesen verstärkt mit Konditionalitäten hinsichtlich Leistbarkeit und Verfügbarkeit zu verknüpfen. |
1.5. |
Der EWSA betont besonders die zentrale Rolle eines funktionierenden, fairen sowie effizienten Binnenmarkts, in dem zum einen echte medizinische Innovation mit einem wirklichen Mehrwert für die Gesundheitsversorgung gefördert als auch honoriert, und zum anderen auch der Wettbewerb für einen gerechten sowie leistbaren Zugang zu Arzneimitteln gestärkt wird. |
1.6. |
Im Sinne der Förderung innovativer Forschung und Entwicklung (FuE) als Basis für die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Arzneimittelindustrie, befürwortet der EWSA insbesondere die angedachte Vereinheitlichung des Rechtsrahmens zum Schutz des geistigen Eigentums sowie dessen konsistente Anwendung in den Mitgliedstaaten. |
1.7. |
In Bezug auf resilientere Liefer- und Produktionsketten zur Stärkung der strategischen Autonomie Europas sowie zur Vermeidung von Versorgungsengpässen spricht sich der EWSA für einen ausgewogenen Ansatz zwischen der verstärkten Diversifizierung der Produktionsstandorte und einer allmählichen/graduellen, partiellen und gleichzeitig nachhaltig gestalteten Rückverlagerung der Produktion nach Europa aus. Mögliche finanzielle sowie steuerliche Anreize auf Ebene der Mitgliedstaaten und deren Effizienz sollten gemeinsam auf EU-Ebene diskutiert und analysiert werden. |
1.8. |
Darüber hinaus begrüßt der EWSA die geplante Überarbeitung des europäischen Anreizsystems für pharmazeutische FuE in Europa, allen voran des Rechtsrahmens für Kinderarzneimittel sowie Arzneimittel für seltene Krankheiten. Besonders der hohe ungedeckte Bedarf an angemessenen Therapien im Bereich der Kinderkrebserkrankungen muss einen Schwerpunkt in den zukünftigen Strategien bilden. |
1.9. |
Die Überarbeitung des Rechtsrahmens für Arzneimittel und jegliche zukünftige Initiativen auf EU-Ebene müssen nach Meinung des EWSA vorrangig nach dem Prinzip der Transparenz ausgerichtet sein, um einen wirklichen Mehrwert für das Allgemeinwohl zu generieren. Dies betrifft neben den Kosten auf Seiten der Hersteller, auch die Vergabe öffentlicher Gelder für FuE, die Inanspruchnahme von Anreizen usw. |
1.10. |
Der EWSA begrüßt und unterstützt von der Europäischen Kommission geförderte Initiativen der Mitgliedstaaten zur gemeinsamen Beschaffung innovativer und hochpreisiger Arzneimittel zur Sicherstellung der finanziellen Tragfähigkeit der nationalen Gesundheitssysteme. |
1.11. |
Der EWSA erkennt die positive Rolle von Generika und Biosimilars im Hinblick auf den Zugang zu erschwinglichen Arzneimitteln, deren Bedeutung für eine nachhaltige Finanzierung der Gesundheitssysteme sowie deren Beitrag für einen resilienten und strategisch unabhängigen europäischen Arzneimittelmarkt an. Der EWSA befürwortet Maßnahmen, z. B. im Rahmen der öffentlichen Beschaffung durch die Anwendung der MEAT-Kriterien (most economically advantageous tender) und Multi-Winner-Tender, unter Berücksichtigung von Umwelt- sowie Sozialschutzaspekten, die zu einer zukunftsfähigen Gestaltung des Marktes für Generika und Biosimilar-Arzneimittel führen. |
1.12. |
Der EWSA mahnt zu Vorsicht, wenn es um beschleunigte Zulassungen auf Basis mangelnder Evidenz und verstärkter Nutzung realer Daten geht, und es sich nicht um eine grenzüberschreitende Gesundheitskrise handelt. Eine Risikoverschiebung zu Lasten der Patientinnen und Patienten von der prä- in die post-Marktzulassungsphase muss unbedingt verhindert werden. Daten und Studienergebnisse sollten daher konsequent publiziert werden, um eine effiziente Beobachtung nach der Marktzulassung sicherzustellen. |
2. Allgemeine Bemerkungen
2.1. |
Dem am 18. November 2020 erschienen Bericht „Gesundheit auf einen Blick: Europa“ (2) zufolge stiegen die Gesundheitsausgaben in allen 27 Mitgliedstaaten der Union zwischen 2013 und 2019 jährlich um durchschnittlich 3,0 % und lagen 2019 bei 8,3 % des BIP. Auch wenn dieser Anteil sich entsprechend dem Wirtschaftswachstum in den Mitgliedstaaten entwickelt hat, ist ein drastischer Anstieg im Zuge der aktuellen COVID-19-Pandemie zu erwarten. |
2.2. |
Wie bereits in den Ratsschlussfolgerungen 2016 (3) sowie dem Initiativbericht des Europäischen Parlaments über Optionen zur Verbesserung des Zugangs zu Arzneimitteln (4) betont wurde, setzen die steigenden Arzneimittelpreise die nationalen Gesundheitssysteme immer weiter unter Druck. Die Balance im komplexen Arzneimittelsystem zwischen Zulassung und Maßnahmen zur Förderung der Innovation ist in der EU daher wiederherzustellen, um einen gleichberechtigten Zugang zu Arzneimitteln in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten.. |
2.3. |
Besonders die steigenden Preise für neu zugelassene Therapien bringen die Stabilität des Arzneimittelbudgets und somit auch den Zugang für Patientinnen und Patienten zu Arzneimitteln in Gefahr (5). Als besonders kritisch in diesem Zusammenhang sieht der EWSA die starke Clusterbildung (z. B. Krebs) rund um bereits gut erforschte Bereiche, die sich weitgehend auch mit den bestehenden Portfolios der Hersteller decken. In Zukunft müssen daher wirksame Möglichkeiten gefunden werden, um dieses Clustering aufzubrechen Therapien sollen leistbar und in der Folge für alle Patientinnen und Patienten gleichberechtigt zugänglich sein. Zu diesem Zweck ist es notwendig, FuE in Bereiche mit einem wirklichen ungedeckten medizinischen Bedarf, z. B. seltene Krankheiten oder Kinderkrebsarten, zu lenken. |
2.4. |
Im Fahrplan zum europäischen Aktionsplan für geistiges Eigentum (6) wird bereits betont, dass die Union über einen starken Rechtsrahmen zum Schutz des geistigen Eigentums verfügt. Jegliche Änderung an diesem System sollte daher von einer fundierten Folgenabschätzung begleitet werden, um ausschließlich notwendige Änderungen vorzunehmen. |
2.4.1. |
Mit Patenten, ergänzenden Schutzzertifikaten (SPCs) und Datenexklusivität sollen Anreize geschaffen werden, um Forschung in neuen Gebieten zu fördern. Bei der Weiterentwicklung der Arzneimittelstrategie gilt es, sich am gesellschaftlichen Mehrwert zu orientieren. Zentraler Fokus sollte auf dem Zugang zu und der Verfügbarkeit von wirksamen, sicheren und erschwinglichen Arzneimitteln zum Wohle aller Patientinnen und Patienten liegen, gemäß dem Recht auf eine angemessene Gesundheitsversorgung, wie in der europäischen Säule sozialer Rechte festgelegt (7). Dies bezieht sich nicht nur auf die Versorgung mit innovativen neuen, patentgeschützten Arzneimitteln, sondern gleichermaßen auf den Zugang zu Generika und Biosimilars. Ein funktionierender und fairer Binnenmarkt spielt daher eine zentrale Rolle. |
2.4.2. |
Weiter befürwortet der EWSA die Harmonisierung des Rechtsrahmens zu SPCs, um dadurch das Erteilungsverfahren kohärenter zu gestalten und die Fragmentierung der Anwendung in den Mitgliedstaaten zu beseitigen. In Anbetracht der sozialen Auswirkungen von SPCs muss sichergestellt werden, dass die in diesem Zusammenhang zentral einzurichtende Behörde EU-Institutionen unterstellt ist. |
2.4.3. |
Mit großem Bedenken sieht der EWSA eine mögliche Verlängerung von Exklusivrechten und eine weitere Stärkung des Rechts am geistigen Eigentum im Hinblick auf den Arzneimittelmarkt. Um den Zugang von Patientinnen und Patienten zu leistbaren Therapien auch weiterhin zu ermöglichen, darf der Preiswettbewerb durch die Entwicklung und Markteinführung von Generika sowie Biosimilars dadurch keinesfalls erschwert werden. Es gilt daher den Mehrfachschutz eines Produkts in den verschiedenen Mitgliedstaaten bzw. durch mehrere Patente („patent slicing“) zu vermeiden, zumal es keinerlei Evidenz dafür gibt, dass ein starker Schutz des geistigen Eigentums Innovation und Produktivität fördert (8). |
2.4.4. |
Besonders im Kontext der aktuellen politischen Diskussion rund um die Rückverlagerung der Produktionsstandorte nach Europa zur Sicherstellung der Versorgung muss eine Änderung des Rechtsrahmens zum geistigen Eigentum genauestens analysiert werden. Der Folgenabschätzung zur sogenannten Fälschungsschutz-Richtlinie 2011/62/EU (9) zufolge käme die große Mehrheit aktiver Wirkstoffe für Generika aus Indien und China, wohingegen die aktiven Wirkstoffe neuer, patentgeschützter Arzneimittel größtenteils in Europa produziert werden. Entsprechend müssten zur Rückverlagerung insbesondere der Generika-Produktion andere Anreize und Mechanismen als eine weitere Stärkung des Rechts am geistigen Eigentum ergriffen werden. Alternative Maßnahmen könnten z. B. Lizenzvereinbarungen, Abnahmegarantien oder auch sogenannte Patent-Pools für Arzneimittel (10), sein. Gleichzeitig zur Rückverlagerung sollten darüber hinaus auch Möglichkeiten gefunden werden, die Produktion sowohl inner- als auch außerhalb Europas verstärkt zu diversifizieren, um dadurch die Lieferketten zu stärken und zu sichern. |
2.5. |
Im Bereich der Arzneimittel für seltene Leiden (OMPs) begrüßt der EWSA, dass die Zahl der zugelassenen OMPs durch die in der Verordnung (EG) Nr. 141/2000 (11) festgelegten Anreize stetig stieg, wodurch ein gleichberechtigter Zugang für Patientinnen und Patienten deutlich verbessert wurde und somit zu begrüßen ist. Allerdings wird der Zugang mehr und mehr durch hohe Preisforderungen von Seiten der Hersteller konterkariert (12). Der EWSA betont daher, dass der OMP-Status nicht für unverhältnismäßige Preisforderungen und Profite ausgenutzt werden darf, und befürwortet daher die durch die im November 2020 veröffentlichte Folgenabschätzung (13) eingeleitete Überarbeitung dieses Rechtsrahmens. Anzudenken wäre eine regelmäßige automatische Reevaluierung der Kriterien sowie eine Anpassung der Dauer der Marktexklusivität unter bestimmten, noch zu definierenden Voraussetzungen. Ebenso unterstützt der EWSA eine mögliche Überarbeitung der Kriterien, insbesondere der Prävalenz (unter Berücksichtigung aller zugelassenen Indikationen), hinsichtlich der Ausweisung als OMP. |
2.6. |
Der EWSA unterstützt besonders die Forderung der Europäischen Kommission wie auch zahlreicher Abgeordneter des Europäischen Parlaments nach mehr Transparenz im gesamten Arzneimittelsektor, insbesondere im Hinblick auf die FuE-Kosten. Da meist grundlegende Regelungen zur Kostentransparenz bei der Entwicklung von Arzneimitteln fehlen, kann die Preisbildung neuer Arzneimittel basierend auf dem Argument hoher Forschungsausgaben von den zuständigen Preisbildungs- und Erstattungsbehörden, und somit die Angemessenheit der geforderten Preise, nicht nachgeprüft werden. |
2.6.1. |
Wichtiges Instrument in diesem Zusammenhang könnte nach Erachten des EWSA die Transparenzrichtlinie 89/105/EWG (14) sein. Diese sieht in Artikel 6 vor, dass Mitgliedstaaten, die eine Positivliste führen, eine vollständige Liste jener Erzeugnisse, die unter ihr Krankenversicherungssystem fallen, sowie die von ihren zuständigen Behörden festgelegten Preise veröffentlichen und sie der Kommission übermitteln. Tatsächlich bezahlte Preise sind jedoch durch vertrauliche Einkaufsvereinbarungen geschützt, wodurch der Austausch zwischen nationalen Behörden erheblich erschwert wird. Die EURIPID-Datenbank (15) könnte in diesem Zusammenhang als Ausgangspunkt dienen, unter der Bedingung, dass alle Mitgliedstaaten zur Einmeldung ihrer Preisinformationen verpflichtet werden. |
2.6.2. |
Ebenfalls von zentraler Bedeutung ist nach Meinung des EWSA eine deutliche Erhöhung der Transparenz im Hinblick auf die globalen pharmazeutischen Liefer- und Produktionsketten, um möglichen Versorgungsengpässen entgegenzuwirken und die Resilienz der Gesundheitssysteme zu stärken. Von zentraler Bedeutung hierfür ist neben der Einrichtung eines koordinierten Meldesystems, wie bereits im Zusammenhang mit der Europäischen Gesundheitsunion vorgesehen, bei gleichzeitiger verpflichtender Teilnahme aller relevanten Akteure, auch die Einrichtung einer strategischen Bevorratung mit von der WHO als essentiell ausgewiesenen Arzneimitteln. |
2.6.3. |
Vor dem Hintergrund der aktuellen COVID-19-Pandemie schließt sich der EWSA der Forderung zahlreicher Abgeordneter des Europäischen Parlaments sowie relevanter Stakeholder nach mehr Transparenz hinsichtlich der Abnahmevereinbarungen mit pharmazeutischen Herstellern für COVID-19-Impfstoffe an. Transparenz ist der Schlüssel zum Vertrauen und der Akzeptanz der EU-Bürgerinnen und Bürger in die Immunisierung gegen das Virus. Dies sollte nicht nur für die aktuellen Impfstoffverträge gelten, sondern auch als neuer Transparenzrahmen für jegliche künftige gemeinsame Beschaffungsmaßnahmen dienen. |
2.7. |
Was Maßnahmen zur gemeinsamen Beschaffung von neu zugelassenen hochpreisigen Arzneimitteln betrifft, so sollten diese auf europäischer Ebene explizit gestärkt und gefördert werden. Neben einer erhöhten Versorgungssicherheit in Europa kann so auch die Verhandlungsposition gegenüber pharmazeutischen Herstellern gestärkt und durch ein größeres Einkaufsvolumen eindeutige Kostensenkungen erzielt werden. |
2.8. |
Im Hinblick auf die Förderung von pharmazeutischer FuE unterstützt der EWSA die Kritik zahlreicher Akteure und Stakeholder hinsichtlich der mangelnden Transparenz, der nur unzureichenden Einbindung öffentlicher Stakeholder sowie des mangelnden Zugangs der Öffentlichkeit zu den Forschungsergebnissen. |
2.8.1. |
Der EWSA fordert daher, dass in Zukunft jegliche Forschungsfinanzierung mittels öffentlicher Gelder als auch FuE-Kosten publik gemacht werden, um dies bei Fragen der nationalen Preisgestaltung berücksichtigen und einen wahren „public return on public investment“ gewährleisten zu können. Eine regelmäßige Evaluierung der Forschungsförderung und Bericht an das Europäische Parlament wäre hier zu überlegen. Besonders in sensiblen Bereichen der Gesundheitsversorgung ist die alleinige Ausrichtung der Forschungsförderung an den Industrieinteressen nachteilig. Alle relevanten Akteure müssen daher in Zukunft maßgeblich in die Forschungsagenden der Europäischen Kommission eingebunden werden, um sicherzustellen, dass diese an den tatsächlichen medizinischen sowie gesellschaftlichen Bedürfnissen ausgerichtet wird. |
2.8.2. |
Unabdingbar in diesem Zusammenhang ist die Festlegung einer gemeinsamen, EU-weit gültigen Definition des „ungedeckten medizinischen Bedarfs“ (UMN), um effizient die pharmazeutischen FuE-Aktivitäten in jene Bereiche zu lenken, wo keine angemessene bzw. wirksame Therapie existiert. Diese Kriterien sollten an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten sowie der öffentlichen Gesundheit ausgerichtet sein. |
2.9. |
Gleichzeitig plädiert der EWSA im Zusammenhang mit medizinischer FuE sowie klinischen Studien für Maßnahmen auf EU-Ebene zur verstärkten Berücksichtigung der Geschlechtsunterschiede als auch der unterschiedlichen Wirkung von Arzneimitteln im medizinischen Alltag, basierend auf entsprechenden relevanten Indikatoren. Weiters wird gefordert, die Transparenz und somit auch das Bewusstsein aller Akteure in dieser Hinsicht zu stärken. |
2.10. |
Nach Meinung des EWSA ist besonders positiv zu bewerten, dass die steigende Gefahr antimikrobieller Resistenzen (AMR) in der Arzneimittelstrategie explizit betont wird. Neben effizienten Maßnahmen zur Reduzierung des Einsatzes von Antibiotika, muss der Fokus besonders auf alternativen Anreizmodellen entlang des FuE-Zyklus sowie auf neuen Preisbildungssystemen liegen. Dabei kann u. a. auch auf bewährte Anreize, wie einen frühzeitigen Austausch mit der Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) sowie den Erlass der Zulassungsgebühren zurückgegriffen werden. Wichtig wird es in Zukunft sein, den Profit des Herstellers vom Verkaufsvolumen zu entkoppeln. Parallel zur Förderung neuer Antibiotika könnten aber auch andere Maßnahmen, wie z. B. Abnahmegarantien, ergriffen werden, um den Herstellern mehr Planbarkeit zu ermöglichen. |
2.11. |
Im Hinblick auf Fragen der Zulassung sowie der Markteinführung begrüßt der EWSA grundsätzlich eine schnelle Verfügbarkeit von innovativen Arzneimitteln, besonders in Bereichen mit einem hohen UMN. Dennoch garantieren schnellere Zulassungen nicht automatisch eine bessere Arzneimittelversorgung. Oberstes Ziel der europäischen Arzneimittelpolitik muss daher ein gleichberechtigter Zugang zu sicheren, leistbaren und qualitativ hochwertigen Arzneimitteln für alle Patientinnen und Patienten sein. |
2.11.1. |
Vor dem Hintergrund der sich rasant entwickelnden technologischen Möglichkeiten, und der damit einhergehenden Forderung nach flexiblen Studiendesigns, stimmt der EWSA mit der Europäischen Kommission dahingehend überein, dass randomisiert kontrollierte Studien mit (idealerweise) relevanten Komparatoren und Endpunkten weiterhin als Goldstandard für die Marktzulassung gelten müssen. Ausnahmen sollen nur in Einzelfällen und mit entsprechender Begründung erfolgen. Kommt es zu einer Verlagerung der Datengenerierung in den Post-Marktzulassungsraum, muss gewährleistet werden, dass weder die damit verbundenen Kosten von den pharmazeutischen Unternehmen hin zur öffentlichen Hand verschoben, noch die Sicherheit der Patientinnen und Patienten durch verfrühte Zulassungen gefährdet werden. Die Tatsache, dass nicht genügend Daten vorliegen und daher noch weitere generiert werden müssen, sollte in der Preisbildung Berücksichtigung finden. |
Brüssel, den 27. April 2021
Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Christa SCHWENG
(1) https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal_de.
(2) https://ec.europa.eu/health/state/glance_de.
(3) ABl. C 269 vom 23.7.2016, S. 31.
(4) https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-8-2017-0040_DE.pdf.
(5) https://www.oecd.org/health/health-systems/Addressing-Challenges-in-Access-to-Oncology-Medicines-Analytical-Report.pdf.
(6) https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/12510-Intellectual-Property-Action-Plan.
(7) https://ec.europa.eu/info/publications/european-pillar-social-rights-booklet_en.
(8) https://pubs.aeaweb.org/doi/pdf/10.1257/jep.27.1.3.
(9) https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02011L0062-20110721&from=DE (ABl. L 174 vom 1.7.2011, S. 74).
(10) https://www.who.int/bulletin/volumes/97/8/18-229179/en/.
(11) https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02000R0141-20190726&qid=1598193643269&from=DE (ABl. L 18 vom 22.1.2000, S. 1).
(12) https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/files/paediatrics/docs/orphan-regulation_study_final-report_en.pdf.
(13) https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/12767-Revision-of-the-EU-legislation-on-medicines-for-children-and-rare-diseases.
(14) ABl. L 40 vom 12.2.1989, S. 8.
(15) EURIPID ist eine freiwillige Datenbank der für Fragen der Preisbildung und Erstattung zuständigen nationalen Behörden. Darin enthalten sind — basierend auf der Transparenzrichtlinie 89/105/EWG — die offiziellen Listenpreise von größtenteils ambulant eingesetzten Arzneimitteln; https://euripid.eu/about/.