EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 20.7.2021
COM(2021) 700 final
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN EMPTY
Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2021
Die Lage der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union
{SWD(2021) 701 final} - {SWD(2021) 702 final} - {SWD(2021) 703 final} - {SWD(2021) 704 final} - {SWD(2021) 705 final} - {SWD(2021) 706 final} - {SWD(2021) 707 final} - {SWD(2021) 708 final} - {SWD(2021) 709 final} - {SWD(2021) 710 final} - {SWD(2021) 711 final} - {SWD(2021) 712 final} - {SWD(2021) 713 final} - {SWD(2021) 714 final} - {SWD(2021) 715 final} - {SWD(2021) 716 final} - {SWD(2021) 717 final} - {SWD(2021) 718 final} - {SWD(2021) 719 final} - {SWD(2021) 720 final} - {SWD(2021) 721 final} - {SWD(2021) 722 final} - {SWD(2021) 723 final} - {SWD(2021) 724 final} - {SWD(2021) 725 final} - {SWD(2021) 726 final} - {SWD(2021) 727 final}
1.EINLEITUNG
Die EU stützt sich auf gemeinsame Werte, zu denen die Achtung der Grundrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehören. Diese Grundrechte werden von den europäischen Bürgerinnen und Bürger als eine der größten Stärken der EU gesehen, und ihre Wahrung ist eine gemeinsame Verantwortung aller EU-Organe und Mitgliedstaaten. Zwar wird anerkannt, dass die EU über sehr hohe Standards in diesen Bereichen verfügt, doch sollten diese Werte niemals als selbstverständlich angesehen werden. Für die Förderung und Wahrung der Rechtsstaatlichkeit sind Wachsamkeit und ständige Verbesserung erforderlich, weil immer das Risiko von Rückschritten besteht.
Die Rechtsstaatlichkeit ist nicht nur wesentlicher Bestandteil der demokratischen Identität der EU und der Mitgliedstaaten, sondern auch von grundlegender Bedeutung für das Funktionieren der EU und für das Vertrauen der Bürger und Unternehmen in die öffentlichen Institutionen. Zwar haben die Mitgliedstaaten unterschiedliche Rechtssysteme und -traditionen, die Kernbedeutung der Rechtsstaatlichkeit ist in der gesamten EU aber gleich. Die Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit sind allen Mitgliedstaaten gemein – Rechtmäßigkeit, Rechtssicherheit, Verbot der willkürlichen Ausübung exekutiver Gewalt, wirksamer Rechtsschutz durch unabhängige und unparteiische Gerichte, uneingeschränkte Achtung der Grundrechte, Gewaltenteilung, fortwährende Verpflichtung aller Behörden, sich an geltendes Recht und etablierte Verfahren zu halten, und die Gleichheit vor dem Gesetz – sind in den nationalen Verfassungen verankert und in den Rechtsvorschriften umgesetzt.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz sind von den Mitgliedstaaten bei Reformen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit klare rechtliche Anforderungen zu erfüllen. Die Achtung der Rechtsstaatlichkeit setzt die Einhaltung des EU-Rechts und des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts voraus, auf dem die EU gründet.
Der Bericht über die Rechtsstaatlichkeit ist auf dieser gemeinsamen und objektiven Grundlage als jährlicher Zyklus konzipiert, um die Rechtsstaatlichkeit zu fördern und zu verhindern, dass Probleme entstehen oder sich verschärfen, und um diese zu bewältigen, wobei alle Mitgliedstaaten gleichermaßen berücksichtigt werden. Ziel ist es, die Rechtsstaatlichkeit unter vollständiger Achtung der Traditionen und Besonderheiten der einzelnen Mitgliedstaaten zu stärken, indem eine konstruktive Debatte angestoßen wird und alle Mitgliedstaaten aufgefordert werden, zu überprüfen, wie Herausforderungen angegangen werden können, sowie aus den Erfahrungen der jeweils anderen zu lernen.
Die Rechtsstaatlichkeit ist auch eine wichtige Dimension und ein Leitprinzip für die Maßnahmen der EU im Außenbereich. Die Glaubwürdigkeit unserer auswärtigen politischen Maßnahmen hängt von der Rechtsstaatlichkeit in der EU selbst ab. Der Druck auf die Rechtsstaatlichkeit wächst weltweit, und die EU setzt sich aktiv dafür ein, Demokratien in der ganzen Welt zu schützen, zu inspirieren und zu unterstützen. Entwicklungen in Gebieten nahe an unseren Grenzen, wie vor Kurzem in Belarus, haben daran erinnert, dass es notwendig ist, unsere Werte in den Nachbarländern entschlossen zu fördern. Außerdem wird die EU bei ihren Maßnahmen im Außenbereich weiterhin einen soliden und kohärenten Ansatz verfolgen und insbesondere die Rechtsstaatlichkeit in ihre Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Erweiterung, in den Nachbarländern und weltweit integrieren.
Zudem besteht eine enge Verbindung zu den EU-Politiken für eine wirtschaftliche Erholung: solide Justizsysteme, ein stabiler Rahmen für die Korruptionsbekämpfung und ein klares und kohärentes System der Rechtsetzung, der Schutz der finanziellen Interessen der EU und nachhaltiges Wachstum. Dies ist ein entscheidender Faktor bei der Anwendung der EU-Instrumente, mit denen Strukturreformen in den Mitgliedstaaten gefördert werden. Darüber hinaus sind die Qualität der öffentlichen Verwaltung und die Kultur der Rechtsstaatlichkeit, wie sie sich in der Art und Weise widerspiegelt, in der die Behörden das Recht anwenden und Gerichtsentscheidungen umsetzen, von zentraler Bedeutung.
Um die Arbeit im Bereich der Rechtsstaatlichkeit zu vertiefen, ist eine enge und kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen den Organen der Union und den Mitgliedstaaten erforderlich. Die Kommission wertet die Reaktion des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der nationalen Parlamente auf den Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020 als ermutigendes Zeichen und sieht einer weiteren Stärkung der interinstitutionellen Zusammenarbeit zur Rechtsstaatlichkeit erwartungsvoll entgegen.
Der Bericht ist zudem Teil der umfassenderen Bemühungen der EU zur Förderung und Verteidigung ihrer Grundwerte. Dazu zählen der Europäische Aktionsplan für Demokratie und die erneuerte Strategie zur Umsetzung der Charta der Grundrechte sowie gezielte Strategien zum Erreichen der „Union der Gleichheit“. Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Überwachung der Anwendung des Unionsrechts und der Schutz der Grundrechte gemäß der Charta, auch im Zuge von Vertragsverletzungsverfahren.
Der Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2021 umfasst die gleichen Themen wie im vergangenen Jahr – Justizsysteme, den Rahmen für die Korruptionsbekämpfung, Medienpluralismus und Medienfreiheit sowie weitere Aspekte der institutionellen Kontrolle und Gegenkontrolle – wodurch die mit dem Bericht 2020 begonnene Überprüfung fortgeführt und gleichzeitig die Bewertung der Kommission weiter vertieft wird. Des Weiteren enthält er Ausführungen zu den mit der COVID-19-Pandemie verbundenen Auswirkungen und Herausforderungen. In den Länderkapiteln, die einen Bestandteil dieses Berichts bilden, werden die neuen Entwicklungen seit dem ersten Bericht und die Folgemaßnahmen zu den im Bericht 2020 ermittelten Herausforderungen und Entwicklungen analysiert.
2.COVID-19-PANDEMIE UND RECHTSSTAATLICHKEIT
Die COVID-19-Pandemie ist mit besonderen Herausforderungen für die Rechtsstaatlichkeit verbunden. Die Erfordernisse der öffentlichen Gesundheit machten außergewöhnliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie notwendig, durch die häufig der Alltag auf den Kopf gestellt wurde und in deren Folge Grundrechte eingeschränkt wurden. Die Dringlichkeit in Zusammenhang mit Notmaßnahmen kann die demokratische Legitimität sowie die normale Arbeitsweise von Verfassungs- und Rechtssystemen sowie öffentlicher Verwaltungen belasten.
Die Kommission hat die Entwicklungen in allen Mitgliedstaaten überwacht und die ergriffenen außergewöhnlichen Maßnahmen analysiert, wobei ihre Auswirkungen auf die Rechtsstaatlichkeit in den Länderkapiteln beleuchtet werden. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, ob die COVID-19-bezogenen Maßnahmen zeitlich befristet waren, ob ihre Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt waren, in welchem Umfang eine ständige Kontrolle durch nationale Parlamente und Gerichte erfolgte und auf welcher Rechtsgrundlage die Maßnahmen getroffen wurden. Gleichermaßen kritisch war die Fähigkeit, ein System von Kontrolle und Gegenkontrolle unter Achtung der Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten. Dazu zählt die Rolle von Parlamenten, Verfassungsgerichten und anderen nationalen Gerichten sowie von Ombudsstellen und nationalen Menschenrechtsinstitutionen bei der Überprüfung des Rechtsrahmens und der ergriffenen Maßnahmen. Dies betrifft auch den Umfang, in dem die Rolle von Medien und der Zivilgesellschaft bei der Ausübung einer öffentlichen Kontrolle aufrechterhalten werden konnte und welche Maßnahmen von den Behörden ergriffen wurden, um die Auswirkungen der Pandemie auf diese Akteure abzumildern. Da die zur Bekämpfung der Pandemie ergriffenen Maßnahmen häufig gelockerte Verwaltungsvorschriften und -kontrollen im Interesse einer schnellen Reaktion umfassten, sind auch die zur Verhinderung von Korruption und Interessenkonflikten bei öffentlichen Ausgaben während der Pandemie getroffenen Maßnahmen von Bedeutung.
Insgesamt geht aus der Überwachung hervor, dass sich die nationalen Systeme durch eine erhebliche Resilienz auszeichneten. Über die unmittelbare Reaktion hinaus sind jedoch Überlegungen anzustellen, wie eine bessere Vorbereitung auf die Auswirkungen von Krisen auf die Rechtsstaatlichkeit, die sich über längere Zeiträume erstrecken können, möglich ist. In manchen Mitgliedstaaten war bereits ein in ihrer Verfassung, im Gesundheitswesen oder anderen Gesetzen verankerter Rechtsrahmen für Krisensituationen vorhanden. Dieser Weitblick war dabei hilfreich, die Rechtmäßigkeit der COVID-19-Maßnahmen, die sich auf einen bereits zuvor bestehenden Rahmen stützen konnten, zu stärken. In anderen Mitgliedstaaten wurde eine neue Notfallregelung speziell für diese Pandemie eingeführt. Im Laufe der Pandemie änderten die meisten Mitgliedstaaten – häufig mehrmals – den Rechtsrahmen für pandemiebedingte Maßnahmen. Diese Änderungen fanden häufig in einer angespannten politischen Lage in beschleunigten Verfahren und mit eingeschränkter rechtsstaatlicher Kontrolle und eingeschränkten Parlamentsdebatten statt. In manchen Mitgliedstaaten war der Rechtsrahmen, unter dem Grundrechte eingeschränkt wurden, nicht eindeutig festgelegt. In ihrem Zwischenbericht 2020 hat die Venedig-Kommission darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass ein klarer Rechtsrahmen vor einer Krise vorhanden ist, sodass die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte sowie die verfassungsrechtlichen Anforderungen von Anfang an integriert sind.
Durch die dringenden Anforderungen der Krise gerieten die etablierten Verfassungssysteme unter Druck. In manchen Mitgliedstaaten behielten die Parlamente die Verantwortung für die legislative Kontrolle aller pandemiebedingten Maßnahmen. In anderen wurde eine gestärkte parlamentarische Kontrolle nach einer Anfangsphase, in der diese beschränkt war, wiederhergestellt. Hinsichtlich der Kontrolle der Exekutive änderten zudem viele Parlamente ihre Geschäftsordnungen, was physische Präsenz und Abstimmungen anbelangt, um eine demokratische Partizipation zu ermöglichen. Auch andere Institutionen, die für das Gewaltenteilungsprinzip entscheidend sind, konnten sich trotz der schwerwiegenden Auswirkungen der Pandemie auf ihre Arbeitsfähigkeit anpassen. In vielen Mitgliedstaaten spielten die Gerichte und Verfassungsgerichte eine wichtige Rolle, wenn es darum ging, dass eine gerichtliche Kontrolle aufrechterhalten blieb. Ombudsstellen und Menschenrechtsinstitutionen unternahmen besondere Anstrengungen für die Aufrechterhaltung ihrer Arbeit und stellten sich zahlreichen Herausforderungen, um Notmaßnahmen zu prüfen. Es erwies sich als schwieriger, die Fähigkeit der Gesellschaft insgesamt zur Beteiligung an der Ausgestaltung der Maßnahmen aufrechtzuerhalten, da öffentliche Konsultationen, der institutionalisierte soziale Dialog und Anhörungen der Interessenvertreter im Allgemeinen eingeschränkt waren.
Auch die regulatorischen und administrativen Maßnahmen der Regierungen gerieten unter Druck, doch es wurden Schritte eingeleitet, um die Auswirkungen abzumildern. Beispielsweise trug ein hohes Maß an Digitalisierung dazu bei, die Beeinträchtigungen zu begrenzen. In den Aufbau- und Resilienzplänen zahlreicher Mitgliedstaaten ist eine Unterstützung für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und der Justiz sowie für eine bessere Politikgestaltung vorgesehen. Für öffentliche Verwaltungen wurden in Bereichen wie dem öffentlichen Auftragswesen vereinfachte Verfahren eingeführt, um die Entscheidungsfindung zu beschleunigen. Dadurch entstanden Risiken für die Rechtsstaatlichkeit und die Korruptionsbekämpfung, doch wurden diese in manchen Fällen durch die in die Ausnahmeregelungen integrierten Garantien abgemildert.
Das demokratische Gefüge zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit stützt sich auch auf die Medien und die Zivilgesellschaft, deren Arbeit durch pandemiebedingte Einschränkungen stark beschnitten wurde. Die Rolle der Medien für die Bereitstellung zuverlässiger Informationen und Aufklärung über die Maßnahmen der Behörden ist in einer Krise wichtiger denn je. Nachrichtenmedien waren von zentraler Bedeutung, um die Bürger zu informieren und sachlich geprüfte Informationen über die Pandemie bereitzustellen, doch gleichzeitig waren viele von ihnen mit erheblichen wirtschaftlichen Herausforderungen konfrontiert. Deshalb ergriffen mehrere Mitgliedstaaten Maßnahmen, insbesondere über Regelungen zur Unterstützung der Medien und Journalisten. Transparenz und Fairness bei der Verteilung solcher Unterstützung sind dabei entscheidend. Auch die Arbeit von Journalisten wurde durch Beschränkungen des Zugangs der Öffentlichkeit zu Informationen und zur breiten Öffentlichkeit behindert. Transparenz und Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen bereiteten generell Sorge und waren in mehreren Fällen der Grund, aus dem pandemiebedingte Maßnahmen von der Zivilgesellschaft und Bürgern vor Gericht angefochten wurden.
Insgesamt sind viele positive Entwicklungen und Beispiele zu verzeichnen, die herangezogen werden können, um die rechtliche und politische Reaktion in Zeiten einer Krise zu verbessern, sodass die Rechtsstaatlichkeit und die demokratische Resilienz gestärkt werden. Die Erfahrungen haben stärker für die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit und die Handlungen von Behörden in Zeiten einer Krise sensibilisiert. Dies könnte sinnvollerweise der Gegenstand von Diskussionen auf EU-Ebene im Europäischen Parlament und im Rat sowie auf nationaler Ebene sein. Eine solche Diskussion könnte sich auch auf Analysen stützen, die derzeit von internationalen Organisationen wie dem Europarat
vorgenommen werden.
3.SCHLÜSSELASPEKTE DER LAGE IM BEREICH DER RECHTSSTAATLICHKEIT IN DEN MITGLIEDSTAATEN
Mit Blick auf die vier Pfeiler des Berichts über die Rechtsstaatlichkeit werden in den folgenden vier Abschnitten einige wichtige gemeinsame Themen und Trends, spezifische Herausforderungen und positive Entwicklungen beleuchtet. Es werden Beispiele für Entwicklungen in bestimmten Mitgliedstaaten angeführt, die diese Trends widerspiegeln und aus der in den Länderkapiteln dargelegten Bewertung aller 27 Mitgliedstaaten entnommen sind.
Hinweis für den Leser – Methodik
Die in diesem Abschnitt enthaltene Bewertung ist in Verbindung mit den 27 Länderkapiteln, in denen die spezifischen nationalen Bewertungen dargestellt werden, zu sehen. Aus den Länderkapiteln entnommene Beispiele sollen die allgemeinen Feststellungen verdeutlichen, der detaillierte Kontext wird jedoch in den Länderkapiteln erläutert, in denen ein tieferes Verständnis der Entwicklungen und Debatten auf europäischer und nationaler Ebene vermittelt wird.
Die in den Länderkapiteln enthaltene Bewertung wurde in Übereinstimmung mit dem mit den Mitgliedstaaten erörterten Anwendungsbereich und unter Zugrundelegung der entsprechenden Methodik durchgeführt.
Die Länderkapitel stützen sich auf eine von der Kommission eigenverantwortlich durchgeführte qualitative Bewertung, deren Schwerpunkt auf einer Synthese der wesentlichen Entwicklungen seit September 2020 liegt. Dabei werden Herausforderungen und positive Aspekte sowie in den Mitgliedstaaten ermittelte bewährte Verfahren vorgestellt. Bei einer Bezugnahme auf die Entwicklung seit dem vorhergehenden Bericht wird überprüft, in welchem Umfang 2020 ermittelten Problemen Rechnung getragen wurde, ob sie weiter bestehen oder ob sich die Situation weiter verschlechtert/verschärft hat.
Die Kommission stützt sich durch die Anwendung derselben Methodik und die Überprüfung des gleichen Themenspektrums in allen Mitgliedstaaten unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf die Lage auf einen kohärenten und gleichwertigen Ansatz. In den einzelnen Länderkapiteln liegt der Schwerpunkt der Analysen insbesondere auf Themen, bei denen im vorhergehenden Bericht wichtige Entwicklungen oder bedeutende Herausforderungen festgestellt wurden, die während des Betrachtungszeitraums fortbestanden. Die für die Bewertungen verwendeten Begriffe sollen vergleichbar und in allen Länderkapiteln einheitlich sein sowie den Schweregrad erfassen, wobei der allgemeine länderspezifische Kontext berücksichtigt wird. Die Länderkapitel zielen nicht darauf ab, eine umfassende Beschreibung aller Probleme hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten zu vermitteln, vielmehr sollen wichtige Entwicklungen vorgestellt werden. Die Bewertung bezieht sich auf die Anforderungen des Unionsrechts unter Einbeziehung der auf die Rechtsprechung des EuGH zurückgehenden Erfordernisse. Darüber hinaus bieten Empfehlungen und Stellungnahmen des Europarats einen wertvollen Referenzrahmen für maßgebliche Standards und bewährte Verfahren.
Der Bericht ist das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und stützt sich auf eine Vielzahl nationaler und sonstiger Quellen. Alle Mitgliedstaaten beteiligten sich an dem Prozess, indem sie schriftliche Beiträge
bereitstellten und sich an zu diesem Zweck zwischen März und Mai durchgeführten Besuchen in den Ländern beteiligten
. Eine gezielte Konsultation der Interessenträger lieferte zudem wertvolle horizontale und länderspezifische Beiträge.
Darüber hinaus stellte der Europarat eine Übersicht über seine jüngsten Stellungnahmen und Berichte bezüglich EU-Mitgliedstaaten zur Verfügung. Vor der Annahme dieses Berichts wurde den Mitgliedstaaten Gelegenheit geboten, aktualisierte sachliche Daten zu ihren Länderkapiteln vorzulegen.
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3.1 Justizsysteme
Unabhängigkeit, Qualität und Wirksamkeit sind die für ein wirksames Justizsystem wesentlichen Parameter, und zwar unabhängig vom Modell des nationalen Rechtssystems und der Tradition, in dem es verankert ist. Die Unabhängigkeit der nationalen Gerichte ist eine notwendige Voraussetzung, um einen wirksamen Rechtsschutz sicherzustellen – eine Pflicht der Mitgliedstaaten aus den Verträgen. Wie vom Gerichtshof der Europäischen Union erneut bestätigt, ist das Vorhandensein einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle, die der Gewährleistung der Einhaltung des Unionsrechts dient, einem Rechtsstaat inhärent.
Wirksame Justizsysteme sind die Grundlage für gegenseitiges Vertrauen, das das Fundament für den gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts bildet. Die Themen, die sich aus der Analyse in den 27 Länderkapiteln herauskristallisierten, sind Schlüsselparameter für die Unabhängigkeit der Justiz: die Reformen der Justizräte, das Verfahren für die Ernennung von Richtern und die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft. Ein besonderer Schwerpunkt lag in zahlreichen Mitgliedstaaten auch auf der Integrität und Rechenschaftspflicht von Richtern und Staatsanwälten sowie auf den Fortschritten bei der Digitalisierung. Organe der Rechtspflege spielen eine zentrale Rolle dabei, den Schutz der Grundrechte zu gewährleisten und die Rechtsstaatlichkeit zu stärken. Für ein wirksames Justizsystem ist es erforderlich, dass Anwälte ihrer Tätigkeit der Beratung und Vertretung von Mandanten frei nachgehen können, und Anwaltskammern können einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Unabhängigkeit und berufliche Integrität von Anwälten zu garantieren.
Fast alle Mitgliedstaaten sind nach wie vor mit Justizreformen befasst, was die hohe politische Bedeutung des Themas zeigt. Den Länderkapiteln ist zu entnehmen, dass sich die Ziele, der Umfang, die Form und der Stand der Umsetzung dieser Reformen unterscheiden. Die Organisation der Justizsysteme fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, und die nationalen Gerichte fungieren bei der Anwendung des Unionsrechts als EU-Gerichte. Bei der Reform ihrer Justizsysteme müssen die Mitgliedstaaten die durch das Unionsrecht und die Rechtsprechung des EuGH festgelegten Anforderungen erfüllen, durch die die Wirksamkeit der in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Rechte garantiert wird. Seit dem ersten Bericht über die Rechtsstaatlichkeit hat der EuGH in mehreren Urteilen die entscheidende Bedeutung eines wirksamen Rechtsschutzes für die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und der Werte, auf die sich die EU stützt, bekräftigt.
Wahrgenommene Unabhängigkeit der Justiz in der EU
Nach dem EU-Justizbarometer zeigen die 2021 durchgeführten Eurobarometer-Befragungen von Unternehmen und der Öffentlichkeit, dass sich im Vergleich zu 2020 weiterhin dieselben Mitgliedstaaten am oberen bzw. am unteren Ende der Skala der wahrgenommenen Unabhängigkeit der Justiz gruppieren. In der breiten Öffentlichkeit in Österreich, Finnland, Deutschland, den Niederlanden und Luxemburg ist das Niveau der wahrgenommenen Unabhängigkeit der Justiz nach wie vor sehr hoch (über 75 %), während in Kroatien, Polen und der Slowakei die wahrgenommene Unabhängigkeit weiterhin sehr niedrig (unter 30 %) ist.
Justizräte und Verfahren für die Ernennung von Richtern als elementare Garantien für die Unabhängigkeit der Justiz
Im Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020 wird ausgeführt, dass in einer Reihe von Mitgliedstaaten Schritte unternommen wurden, um die Unabhängigkeit der Justiz zu stärken und den Einfluss der Legislative und der Exekutive auf das Justizsystem zu verringern. Die wichtige Rolle der Justizräte für den Schutz der Unabhängigkeit der Gerichte wird zunehmend anerkannt. Die in
Irland
und
Finnland
eingerichteten neuen Justizräte haben jetzt ihre Tätigkeit aufgenommen. In
Luxemburg
sind bezüglich des Vorschlags zur Einrichtung eines unabhängigen Justizrates Fortschritte festzustellen, und es finden Konsultationen statt, bei denen unter anderem die Empfehlungen des Europarats zur Anpassung seiner Zusammensetzung einbezogen werden. In
Schweden
setzt die Untersuchungskommission zur Stärkung des Schutzes der Demokratie und der Unabhängigkeit des Justizwesens ihre Arbeit fort und beabsichtigt, 2023 Vorschläge für legislative und konstitutionelle Reformen vorzulegen.
In anderen Mitgliedstaaten werden derzeit Reformen zur Stärkung der bestehenden Justizräte durchgeführt oder wurden solche Reformen abgeschlossen. Beispielsweise wurden in der
Slowakei
im Rahmen von Reformen Änderungen am Verfahren für die Bestellung und Abberufung der Mitglieder des Justizrates vorgenommen und die Befugnisse des Rates erweitert. In
Italien
wird derzeit eine Reform der Wahl der Richter in den Hohen Justizrat im Parlament diskutiert, die auf eine Stärkung ihrer Unabhängigkeit abzielt. In
Zypern
sind Reformen zur Verbesserung der Repräsentativität der Mitglieder des Justizrates anhängig. In den
Niederlanden
werden weitere Überlegungen zur Änderung des Ernennungsverfahrens für die Mitglieder des Rates angestellt, die auf eine Stärkung seiner Unabhängigkeit von der Exekutive abzielen. In
Frankreich
ist eine geplante Reform zur Stärkung der Unabhängigkeit des Rates noch nicht bis zur Annahme vorangekommen. In
Bulgarien
wurde eine Reform des Rates, die Teil einer umfassenderen Verfassungsreform war, vom Parlament nicht gebilligt. Der Europarat hat Standards bezüglich der Zusammensetzung und Befugnisse der Justizräte festgelegt, die als eine wichtige Orientierungshilfe für Reformen herangezogen werden können.
Das Verfahren für die Ernennung von Richtern kann entscheidenden Einfluss auf die Unabhängigkeit der Justiz und die öffentliche Wahrnehmung ihrer Unabhängigkeit haben. Der EuGH hat klargestellt, dass nach dem Unionsrecht zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der Justiz materielle Voraussetzungen und Verfahrensmodalitäten, die für die Ernennung von Richtern maßgebend sind, keine berechtigten Zweifel an deren Unempfänglichkeit für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität als Richter aufkommen lassen dürfen.
Seit dem letzten Bericht wurden in mehreren Mitgliedstaaten Reformen zur Stärkung des Ernennungsverfahrens für Richter fortgesetzt. Beispielsweise wurde in
Tschechien
ein neues transparentes und einheitliches System für die Ernennung neuer Richter und Gerichtspräsidenten angenommen. In
Lettland
werden die im vergangenen Jahr festgelegten neuen Ernennungsverfahren jetzt eingeführt und angewandt. In
Malta
sind die umfassenden Reformen aus dem Jahr 2020 jetzt umgesetzt und werden angewandt und haben einen Beitrag zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz geleistet.
Reformen der Ernennungsverfahren, insbesondere für hochrangige Positionen im Justizsystem, haben wichtige Debatten auf nationaler Ebene ausgelöst. Beispielsweise hat in
Irland
ein Gesetzesentwurf für eine Reform des Systems für Ernennungen und Beförderungen im Justizsystem frühere Bedenken zerstreut, doch würde nach der Reform der Regierung nach wie vor ein großer Ermessensspielraum eingeräumt. In
Deutschland
findet nach einiger Kritik eine Debatte über die Auswahlkriterien für vorsitzende Richter an Bundesgerichten statt. In
Zypern
diskutiert das Parlament nach wie vor einen Entwurf für eine Rechtsvorschrift zu den Ernennungsverfahren für Richter und Präsidenten des neu vorgeschlagenen Verfassungsgerichts und obersten Gerichts. In
Österreich
gibt die begrenzte Beteiligung der Justiz an den Ernennungen von Gerichtspräsidenten und Vizepräsidenten von Verwaltungsgerichten nach wie vor Anlass zu Bedenken.
Stärkung der Autonomie und Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften
Zwar gibt es in der EU kein einheitliches Modell für die institutionellen Strukturen der Staatsanwaltschaft, doch können institutionelle Garantien dazu beitragen, dass die Strafverfolgung ausreichend unabhängig und ohne unzulässigen politischen Druck tätig sein kann. Die Unabhängigkeit der Strafverfolgung hat wichtige Auswirkungen auf die Kapazitäten zur Bekämpfung von Kriminalität und Korruption. In
Zypern
erfolgt eine Umstrukturierung des „Law Office“, in deren Rahmen gesonderte eigenständige Direktionen eingerichtet werden, Ziel ist dabei, die Trennung der beiden Hauptfunktionen der Generalstaatsanwaltschaft wirksamer zu machen. In
Österreich
wird derzeit eine Reform zur Schaffung einer unabhängigen Bundesstaatsanwaltschaft vorbereitet. In
Luxemburg
wurden Vorschläge vorgelegt, die darauf abzielen, die Möglichkeit der Exekutive zur Erteilung von Anweisungen in Einzelfällen einzuschränken.
In
Portugal
wird derzeit das System hierarchischer Anweisungen für Staatsanwälte gerichtlich geprüft, nachdem von Staatsanwälten Bedenken hinsichtlich einer Einmischung in ihre interne Autonomie vorgebracht wurden. In
Spanien
bestehen nach wie vor Fragen bezüglich des Systems für die Ernennung des Generalstaatsanwalts. Keine Veränderungen sind in
Polen
zu verzeichnen, wo die Doppelfunktion des Justizministers, der gleichzeitig der Generalstaatsanwalt ist, weiterhin Anlass zur Sorge gibt. In
Ungarn
ist zwar die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft gesetzlich verankert, doch wurden Bedenken, dass die Staatsanwaltschaft in mancherlei Hinsicht nicht ausreichend gegen politische Einflussnahme gesichert ist, nicht ausgeräumt.
Gewährleistung der Rechenschaftspflicht im Justizwesen und Schutz der Unabhängigkeit der Gerichte in Disziplinarverfahren
Eine Reihe von Mitgliedstaaten hat den Integritätsrahmen für Richter und Staatsanwälte gestärkt. In
Belgien
wurde der Integritätsrahmen ausgebaut, indem allgemeine ethische Grundsätze für alle Kategorien von Angehörigen des Justizwesens angewandt und Fortbildungen zu ethischen Fragen für ordentliche und ehrenamtliche Richter durchgeführt werden. In
Österreich
wird ein umfassendes Compliance-Management-System für Gerichte und Staatsanwaltschaften eingeführt, und in
Lettland
wurde ein neuer Ehrenkodex für Richter angenommen. In
Litauen
und
Italien
sind Initiativen zur Stärkung der Integritätsregeln im Gange, die Maßnahmen zu Vermögenserklärungen einschließen. Solche Initiativen können dazu beitragen, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz zu stärken. In
Portugal
,
Kroatien
, der
Slowakei
und
Italien
haben die Justizbehörden, einschließlich der Justizräte, wichtige Schritte unternommen, um angeblichen Verstößen gegen ethische Regeln für die Justiz, disziplinarrechtlich relevantem Fehlverhalten oder Korruption im Justizwesen nachzugehen.
In einer Reihe von Mitgliedstaaten sind Reformen zur Stärkung der Garantien für die Unabhängigkeit der Justiz in Disziplinarverfahren im Gange. In
Frankreich
haben Überlegungen über mögliche Reformen der Haftung und des Schutzes von Friedensrichter begonnen, während gleichzeitig eine allgemeinere Reform der Disziplinarregelung zur Verbesserung der Unabhängigkeit der Justiz erörtert wird. In
Irland
sind Arbeiten zur Einführung einer Disziplinarregelung für Richter im Gange, aber die Rolle des Parlaments bei der Abberufung von Richtern bleibt unverändert. In
Slowenien
brachte die Justiz Diskussionen über eine Verbesserung des Rahmens für Disziplinarverfahren auf den Weg. In
Tschechien
wird im Parlament ein Entwurf eines Gesetzes diskutiert, mit dem die Möglichkeit einer Überprüfung in Disziplinarverfahren eingeführt werden soll. In
Malta
sind bei der Reform der Verfahren für die Abberufung von Richtern und Staatsanwälten von 2020 zusätzliche Garantien vorgesehen.
Die Unabhängigkeit der Justiz gibt in manchen Mitgliedstaaten nach wie vor Anlass zur Sorge
Die Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der Justiz unterscheiden sich in ihrer Intensität und in ihrem Umfang. Schwerwiegende strukturelle Bedenken bestehen nur in wenigen Mitgliedstaaten und haben sich vertieft, aber auch kleinere Herausforderungen in anderen Mitgliedstaaten bedürfen der Aufmerksamkeit.
In einigen Mitgliedstaaten waren die Reformen auf eine Verringerung der Garantien für die Unabhängigkeit der Justiz ausgerichtet. Diese Änderungen gaben Anlass zu ernsthafter Besorgnis, die sich in manchen Fällen noch verschärft hat, da die Änderungen zu einem zunehmenden Einfluss der Exekutive und Legislative auf die Funktionsweise des Justizsystems geführt haben. Reformen der Disziplinarverfahren und der Haftung von Richtern sind dabei besonders bedenklich. Als Reaktion auf diese Entwicklungen haben nationale Richter Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH eingeleitet. In
Polen
geben die Reformen, einschließlich neuer Entwicklungen, Anlass zu großer Besorgnis, worauf bereits 2020 verwiesen wurde. Insbesondere kann die Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts nicht garantiert werden, diese erlässt jedoch weiterhin Entscheidungen mit direkten Auswirkungen auf Richter und die Art, wie sie ihre Funktion ausüben, was mit einer „abschreckenden Wirkung“ auf Richter einhergeht. Darüber hinaus wurden Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit und Legitimität des Verfassungsgerichtshofes noch nicht ausgeräumt, wie durch die Feststellung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestätigt wird, nach der die Zusammensetzung eines Spruchkörpers des Verfassungsgerichtshofes nicht der Anforderung eines „auf Gesetz beruhenden Gerichts“ entsprach. In
Ungarn
sind Änderungen weiterhin auf eine Verringerung zuvor bestehender Garantien ausgerichtet. Das Justizsystem ist Gegenstand neuer Entwicklungen, beispielsweise mit Blick auf die Ernennung des neuen Präsidenten des Obersten Gerichtshofes (Kúria). Hierdurch nehmen die bestehenden Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der Justiz weiter zu, was auch im Rahmen des vom Europäischen Parlament eingeleiteten Verfahrens gemäß Artikel 7 Absatz 1 EUV zum Ausdruck kommt.
Dagegen zielen Maßnahmen in
Rumänien
darauf ab, den 2017-2019 in Kraft getretenen Änderungen, die negative Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Justiz und die Korruptionsbekämpfung hatten, Rechnung zu tragen. Manche dieser Reformen wurden im Rahmen einer Vorabentscheidung des EuGH geprüft, der die zur Gewährleistung der Konformität mit dem Unionsrecht zu erfüllenden Kriterien festlegt. Es sind legislative Änderungen im Gange, um diesen Problemen Rechnung zu tragen.
Auch in anderen Mitgliedstaaten bestehen nach wie vor Herausforderungen, was die Unabhängigkeit der Justiz betrifft. In
Bulgarien
geben die Zusammensetzung und die Funktionsweise des obersten Justizrates und der Inspektion des obersten Justizrates weiterhin Anlass zu Bedenken. Ein neues Gesetz, mit dem dem seit Langem bestehenden Problem der Rechenschaftspflicht und dem Fehlen einer wirksamen strafrechtlichen Haftung der Generalstaatsanwaltschaft begegnet werden sollte, wurde für verfassungswidrig erklärt. Das Problem ist deshalb weiterhin ungelöst, was sich auf den Einfluss des Generalstaatsanwalts auf das Justizsystem auswirkt. In der
Slowakei
wurden wichtige Maßnahmen ergriffen, um die Integrität und Unabhängigkeit der Justiz zu stärken, die sowohl legislative Schritte als auch Schritte zur Bekämpfung von Korruption innerhalb der Justiz umfassten. Allerdings bestehen nach wie vor große Herausforderungen, die auch die möglichen Auswirkungen bestimmter Reformen auf die Unabhängigkeit der Justiz einschließen, wie etwa die Reform der Abberufung von Mitgliedern des Justizrates und die neue Regelung zur strafrechtlichen Haftung von Richtern.
Politische Angriffe auf die Justiz und wiederholte Versuche, die Reputation von Richtern zu unterminieren, sind nach wie vor in einigen Mitgliedstaaten zu verzeichnen. Bisweilen zielen diese Angriffe auf Richter und Staatsanwälte, die öffentlich Stellung beziehen oder gerichtlich gegen Justizreformen vorgehen, die ihres Erachtens mit negativen Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Justiz einhergehen. Dies kann eine abschreckende Wirkung auf Richter und Staatsanwälte sowie negative Folgen für das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Justizwesen haben.
Konflikte im Bereich der Unabhängigkeit der Justiz zeigen sich auch im Stillstand, in Verzögerungen und öffentlichen Debatten in Zusammenhang mit Ernennungen für hohe Posten im Justizwesen. In
Kroatien
hat das laufende Verfahren zur Ernennung des neuen Präsidenten des Obersten Gerichtshofes zu Kontroversen geführt, wobei wiederholt herabsetzende öffentliche Äußerungen gegen Richter getätigt wurden. In
Slowenien
werden Ernennungen von Staatsanwälten ungerechtfertigt verzögert, und der Umstand, dass Delegierte Europäische Staatsanwälte nicht fristgemäß ernannt werden, lässt Bedenken entstehen. In
Spanien
übt der Justizrat seit Dezember 2018 seine Funktionen ad interim aus, was weiterhin die Sorgen nährt, dass er als hinsichtlich einer Politisierung gefährdet wahrgenommen werden könnte. In
Litauen
ist die Ernennung eines neuen Präsidenten des Obersten Gerichtshofes seit September 2019 ausstehend, und der amtierende Präsident nimmt seine Funktion weiterhin ad interim wahr.
Investitionen in die Justiz und Digitalisierung
Die COVID-19-Pandemie hat die Funktionsweise der nationalen Justizsysteme und die Tätigkeiten der Gerichte beeinträchtigt. Insbesondere in der ersten Phase der Pandemie waren Unterbrechungen oder Verzögerungen bei der Bearbeitung von Rechtssachen und Gerichtsverfahren festzustellen, was in einigen Mitgliedstaaten zu erheblichen zusätzlichen Rückständen geführt hat. Trotz der von den Mitgliedstaaten und den Justizbehörden eingeleiteten Schritte, um die Justizsysteme bei der Anpassung zu unterstützen, machte dies die Anfälligkeit für Störungen in einer Notsituation deutlich. Die Durchführung strafrechtlicher Ermittlungen und gerichtlicher Strafverfahren während der Pandemie war in vielen Mitgliedstaaten eine Herausforderung, insbesondere mit Blick auf die Sicherstellung, dass die Rechte von Verdächtigen und Beschuldigten sowie die Rechte von Opfern in vollem Umfang geachtet und alle Zeugen gehört wurden, ohne dass unangemessene Verzögerungen entstanden. Einschränkungen der Freizügigkeit und des Zugangs zu Räumlichkeiten stellten eine zusätzliche Herausforderung für die Arbeit von Staatsanwälten und Polizei dar.
Generell ist festzustellen, dass in den Mitgliedstaaten, in denen bereits ein hohes Maß an Digitalisierung und geeignete Verfahrensregeln und -garantien vorhanden waren, die Justizsysteme wirksamer funktionierten und das Risiko von Rückständen abgemildert wurde. Beispielsweise war in
Estland
die fortgeschrittene Digitalisierung des Justizsystems – wie die Entwicklung eines spezifischen virtuellen Gerichtssaales – ein entscheidender Faktor für die Sicherstellung der Resilienz des Justizsystems. In
Ungarn
war aufgrund des hohen Digitalisierungsgrads für Verfahren in Zivil-/Handelssachen sowie in Verwaltungssachen und Strafverfahren eine Anpassung des Justizsystems möglich. In
Finnland
legte die nationale Gerichtsverwaltung besonderes Augenmerk auf die Bereitstellung von Leitlinien und technischer Hilfe für Optionen wie Remote-Verbindungen bei Gerichtsverfahren.
Die Pandemie hat der Digitalisierung der Justizsysteme neue Dringlichkeit verliehen
, und es besteht ein großes Interesse an der Übernahme bewährter Verfahrensweisen. In zahlreichen Mitgliedstaaten werden Initiativen auf den Weg gebracht, um die elektronische Kommunikation zwischen Gerichten und Nutzern von Gerichten sicherzustellen. In
Belgien
umfasst das Programm der Föderalregierung ehrgeizige Initiativen zur Verbesserung der Digitalisierung des Justizsystems bis 2025. In
Frankreich
sind Fortschritte bei umfassenden Projekten zur Digitalisierung aller Bereiche des Justizwesens festzustellen, einschließlich der Schaffung einer digitalen Dienststelle für Straftaten – ein zentraler Zugangspunkt für Strafverfahren – und der Möglichkeit, in manchen Verfahrensbereichen online Anträge einzureichen sowie Rechtshilfe zu beantragen. In
Dänemark
wird durch eine neue Datenbank der Online-Zugang zu Urteilen verbessert. Zu den laufenden Projekten in
Spanien
zählt die Entwicklung eines IT-Instruments, mit dem Aufzeichnungen von Gerichtsverfahren und Anhörungen automatisch in Text umgewandelt werden. In den
Niederlanden
entwickeln Gerichte und Staatsanwaltschaft gemeinsam einen digitalen Plan für die Strafgerichtsbarkeit. Die Stärkung der Resilienz der Justizsysteme durch Strukturreformen und Digitalisierung ist eine Priorität im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität, und eine Reihe von Mitgliedstaaten haben dies in ihre nationalen Aufbau- und Resilienzpläne aufgenommen.
Wirksame Justizsysteme stützen sich auf angemessene personelle und finanzielle Mittel. Die Justizsysteme in
Malta
,
Belgien
,
Italien
,
Griechenland
,
Portugal
und
Zypern
haben nach wie vor erhebliche Herausforderungen im Bereich der Effizienz zu bewältigen. Investitionen in personelle und finanzielle Ressourcen sowie in die Digitalisierung des Justizsystems und die Beseitigung struktureller Hindernisse sind unerlässlich, um die Effizienz der Justizsysteme und einen wirksamen Rechtsschutz wesentlich zu verbessern.
3.2 Rahmen zur Korruptionsbekämpfung
Die Korruptionsbekämpfung ist von wesentlicher Bedeutung zur Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit und zur Wahrung des Vertrauens der Bürger in die öffentlichen Einrichtungen. In diesem Abschnitt stehen die verschiedenen Phasen der zur Bekämpfung von Korruption wesentlichen nationalen Maßnahmen, die Strategien zur Korruptionsbekämpfung, die Kapazität des Strafrechtssystems zur Bekämpfung von Korruption und die von den Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen zur Verhinderung von Korruption im Mittelpunkt.
Korruptionswahrnehmung in der EU
Der Korruptionswahrnehmungsindex (CPI) 2020 zeigt, dass die EU-Mitgliedstaaten weiterhin zu den Ländern mit den weltweit besten Ergebnissen zählen. Zehn Mitgliedstaaten sind unter den zwanzig Ländern, die weltweit als am wenigsten korrupt wahrgenommen werden. Sechs Mitgliedstaaten (Dänemark, Finnland, Schweden, Niederlande, Deutschland und Luxemburg) erzielten einen Wert von über 80/100 auf dem Index und weitere fünf Mitgliedstaaten (Österreich, Belgien, Estland, Irland und Irland) von über 69/100. Einige Mitgliedstaaten liegen zwar weiterhin unterhalb des EU-Durchschnitts (63/100), ihre Werte haben sich in den vergangenen fünf Jahren aber verbessert (Spanien, Italien und Griechenland). In einigen anderen Mitgliedstaaten ist eine deutliche Verschlechterung des wahrgenommenen Korruptionsgrads festzustellen (Polen, Malta und Ungarn).
Nationale Strategien zur Korruptionsbekämpfung müssen zu konkreten Ergebnissen führen
Ein strategischer Rahmen zur Korruptionsbekämpfung ermöglicht, dass eine politische Verpflichtung in konkrete Maßnahmen umgesetzt wird, und trägt dazu bei, legislative oder institutionelle Lücken in einer kohärenten, umfassenden und koordinierten Weise zu schließen. Klare und messbare Ziele, angemessene Haushaltsmittel, regelmäßige Evaluierungen und klar definierte Zuständigkeiten für spezialisierte Einrichtungen sowie ein starkes Engagement der einschlägigen Interessenträger sind wichtige Elemente, damit diese Strategien wirksam umgesetzt werden und zu greifbaren Ergebnissen führen.
Im September 2020 haben
Finnland
und
Schweden
erstmals nationale Strategien zur Korruptionsbekämpfung oder Aktionspläne angenommen, und in
Portugal
wartet ein Vorschlag der Regierung auf seine Billigung durch das Parlament.
Bulgarien
,
Tschechien
,
Estland
,
Litauen
und
Malta
haben ihre bestehenden Strategien und begleitenden Aktionspläne überarbeitet, und in
Kroatien
,
Deutschland
,
Griechenland
und
Lettland
ist das Verfahren zur Überarbeitung im Gange.
Rumänien
hat eine interne Evaluierung und eine externe Prüfung durchgeführt und bereitet eine neue nationale Strategie zur Korruptionsbekämpfung für 2021-2025 vor.
In
Ungarn
ist das Programm zur Korruptionsbekämpfung auf die Stärkung der Integrität des öffentlichen Dienstes begrenzt und bleiben andere Risikobereiche unberücksichtigt. In anderen Mitgliedstaaten gibt es zwar Strategien, doch sind Verzögerungen bei ihrer Umsetzung festzustellen. Dies ist beispielsweise in
Tschechien
der Fall, wo wesentliche Reforminitiativen im Bereich Korruptionsprävention noch anhängig sind.
Reformen zur Stärkung der Kapazität für die Korruptionsbekämpfung
In den meisten Mitgliedstaaten gelten umfangreiche Rechtsvorschriften, in denen Instrumente zur Bekämpfung von Korruption in all ihren Formen vorgesehen sind, die im Strafrechtssystem eingesetzt werden können. In mehreren Mitgliedstaaten wurden weiterhin Bemühungen unternommen, um Lücken zu schließen und bestehende Rahmen an die internationalen Standards der Korruptionsbekämpfung und das Unionsrecht anzugleichen. Beispielsweise hat die
Slowakei
ihren Strafrechtsrahmen mit dem Inkrafttreten eines neuen Gesetzes zur Beschlagnahme von Vermögenswerten ergänzt, mit dem zudem neue Straftatbestände eingeführt wurden, wie die Straftat der Annahme oder des Angebots ungerechtfertigter Vorteile.
Italien
führte strengere Sanktionen für Betrug ein und erweiterte den persönlichen Anwendungsbereich von internationaler Korruption.
Ungarn
erließ eine Rechtsvorschrift, um ausländischer Bestechung zu begegnen und informelle Zahlungen im Gesundheitswesen unter Strafe zu stellen. Reformen im Bereich des materiellen Strafrechts oder Strafprozessrechts werden in anderen Mitgliedstaaten diskutiert. In
Schweden
erfolgt derzeit z. B. eine Überprüfung der Verjährung aller Straftaten, darunter auch von Korruptionsdelikten, in deren Folge die Hindernisse für eine wirksame Urteilsfindung in komplexen Korruptionsfällen beseitigt werden könnten.
Manche Mitgliedstaaten haben Maßnahmen für die Stärkung der Kapazitäten der Behörden zur Korruptionsbekämpfung und zum Abbau von Hindernissen für eine wirksame Untersuchung und Strafverfolgung eingeführt.
Litauen
hat seine für die Untersuchung von Korruptionsfällen zuständige Polizeisondereinheit ausgebaut, die auch mit analytischen Aufgaben zur Bereitstellung strategischer Unterstützung für die Behörden betraut ist. In
Zypern
wurde die Generalstaatsanwaltschaft erheblich gestärkt, um Finanzkriminalität, einschließlich Korruption, strafrechtlich zu verfolgen.
Dänemark
bereitet die Einrichtung einer neuen nationalen Untersuchungseinheit vor, durch die ein wirksamerer Ansatz für schwere Straftaten, einschließlich komplexer Korruptionsfälle, erreicht werden soll. In
Slowenien
wurde durch Änderungen der Rechtsvorschriften die Unabhängigkeit, Organisation und Arbeitsweise der Kommission für die Prävention von Korruption verbessert.
In manchen Mitgliedstaaten fanden strukturelle und organisatorische Änderungen statt oder werden derzeit geprüft. In
Malta
hat der Generalstaatsanwalt die strafrechtliche Verfolgung bestimmter schwerer Straftaten übernommen, darunter hochrangige Korruption, und es wurde eine Taskforce für komplexe Finanzkriminalität eingerichtet.
Österreich
überarbeitet derzeit sein System von Meldepflichten, das als Quelle unnötiger Belastungen und Verzögerungen betrachtet wird, was mit negativen Folgen für Ermittlungen in Korruptionsfällen einhergeht.
Herausforderungen in Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermittlungen, Strafverfolgungsmaßnahmen und der Verhängung von Strafen für Korruption
In verschiedenen Mitgliedstaaten waren weiterhin große oder hoch komplexe Korruptionsfälle zu verzeichnen, an denen manchmal hochrangige Beamte beteiligt waren. Die Bemühungen der
Slowakei
zur Bekämpfung von Korruption haben deutlich zugenommen, was dazu führte, dass eine Reihe hochrangiger Korruptionsfälle untersucht und strafrechtlich verfolgt wurde. In
Estland
führte Fall, in dem derzeit Ermittlungen laufen, im Januar 2021 zum Rücktritt der vorangegangenen Regierung. In
Tschechien
wurden im Zuge von Untersuchungen und Prüfungen, die auf nationaler und europäischer Ebene zur Verwendung von EU-Mitteln durchgeführt werden, vor Kurzem Beweise für einen Interessenkonflikt auf obersten Führungsebene ermittelt, und ein Fall wurde von der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) angenommen. In
Österreich
wurden die Ermittlungen im Bereich hochrangige Korruption infolge jüngster politischer Skandale verstärkt. In
Rumänien
sind Verbesserungen hinsichtlich der Wirksamkeit bei der Ermittlung und Bestrafung hochrangiger Korruption festzustellen, obwohl Änderungen am Strafgesetzbuch und Strafverfahrensrecht sowie der Justizgesetze unerlässlich für eine wirksame Korruptionsbekämpfung sind.
In zahlreichen Mitgliedstaaten haben die für die Untersuchung von Korruption und Strafverfolgungsbehörden zugewiesenen Mittel zu gewissen Schwierigkeiten bei der Einstellung oder Bindung hoch spezialisierten Personals geführt.
Lettland
berichtete von personellen Herausforderungen, die sich auf die operative Effizienz einiger Staatsanwaltschaften auswirkten.
Kroatien
und
Luxemburg
haben Schwierigkeiten, qualifizierte Bewerber einzustellen. In
Spanien
stellen die Strafverfolgungsbehörden fest, dass der Mangel an angemessenen Ressourcen die Geschwindigkeit der Ermittlungen in und der strafrechtlichen Verfolgung von Korruptionsfällen beeinträchtigt. Dies gilt auch für Fälle von Korruption auf hoher Ebene, von denen viele seit mehreren Jahren in der Ermittlungsphase feststecken. In der
Slowakei
und
Polen
wird von Fällen berichtet, in denen rechtliche Beschränkungen beim Zugang zu Finanzdaten zu Hindernissen bei Ermittlungen führten.
In manchen Mitgliedstaaten bestehen Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der Ermittlungen, Strafverfolgung und Urteilsfindung in Korruptionsfällen fort. In
Italien
werden Maßnahmen geprüft, um Verurteilungen und Gerichtsverfahren zu beschleunigen. In
Kroatien
finden zwar weiterhin Strafverfolgung und Ermittlungen von hochrangigen Korruptionsfällen statt, doch aufgrund langwieriger Gerichtsverfahren erfolgen Verurteilungen häufig mit Verzögerungen. In
Malta
wurden zwar die Kapazitäten von Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden für die Bearbeitung von Korruptionsfällen ausgebaut, doch angesichts des Anstiegs der Zahl an eingeleiteten Fällen sind die Untersuchungen nach wie vor langwierig und es sind noch keine Erfolge bei Verurteilungen in hochrangigen Fällen zu verzeichnen. In
Bulgarien
sind trotz einer stärkeren Ermittlungstätigkeit und verstärkten Ressourcen nur wenige Fortschritte in hochrangigen Korruptionsfällen zu verzeichnen, und eine solide Erfolgsbilanz bei rechtskräftigen Verurteilungen steht noch aus. In
Ungarn
ist zwar die Quote der Anklageerhebung für Korruptionsfälle hoch und seit 2020 wurden einige neue hochrangige Fälle, an denen Politiker beteiligt sind, eröffnet, doch die Erfolgsbilanz der Ermittlungen bei einem Verdacht betreffend hochrangige Beamte und ihren unmittelbaren Kreis ist nach wie vor begrenzt.
Stärkung der Korruptionsprävention und des Integritätsrahmens
Der Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020 zeigte auf, dass zahlreiche Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Stärkung der Korruptionsprävention und Integritätsrahmen ergriffen hatten, und viele dieser Bemühungen wurden fortgeführt.
-Prävention von Interessenkonflikten und Stärkung der Integrität öffentlicher Einrichtungen
In manchen Mitgliedstaaten, wie etwa in
Spanien
, wurden die Integritätsrahmen durch Verhaltenskodizes für Parlamentarier ergänzt, oder es wurden klarere oder konsolidierte Vorschriften zu Geschenken, Interessenkonflikten und Unvereinbarkeiten für leitende und hochrangige Beamte erlassen, wie beispielsweise in
Finnland
,
Italien
und
Portugal
. Darüber hinaus haben manche Mitgliedstaaten wie
Belgien
,
Zypern
, die
Niederlande
und
Malta
Integritäts- und Kontrollprogramme eingeführt bzw. Aufsichtsorgane in den Strafverfolgungsbehörden eingerichtet, was zur Stärkung der Integrität in der Polizei beiträgt.
-Lobbying und Drehtüreffekt
Lobbying ist ein rechtmäßiger Akt der politischen Teilhabe. Es muss von hohen Anforderungen an Transparenz und Integrität begleitet werden, um Rechenschaftspflicht und Inklusivität in der Entscheidungsfindung sicherzustellen. In manchen Mitgliedstaaten wurden die Rahmen überarbeitet, um für mehr Transparenz und einen verbesserten Zugang zu Informationen über Lobbying zu sorgen. In
Deutschland
wurde beispielsweise ein neues Gesetz zur Einführung eines elektronischen Lobbyregisters auf Bundesebene erlassen. In
Litauen
traten neue Vorschriften in Kraft, nach denen ein bereichsübergreifendes System für Erklärungen vorgesehen ist, nach dem Lobbyisten, Politiker und Beamte ihre Treffen in einem Lobbyregister melden müssen. In
Spanien
wird die Einrichtung eines Transparenzregisters diskutiert. In
Estland
wurden unverbindliche Leitlinien zu Lobbying und Interessenkonflikten eingeführt. In
Tschechien
ist die Annahme eines Entwurfs für eine neue Rechtsvorschrift zu Lobbying weiterhin ausstehend.
Ein weiterer Bereich, der in zahlreichen Mitgliedstaaten im Mittelpunkt der öffentlichen Kontrolle steht, sind die Vorschriften zum „Drehtüreffekt“ zwischen öffentlichen und privaten Funktionen und ihre Durchsetzung. Die Einführung strengerer Einschränkungen im Anschluss an eine Tätigkeit, wie etwa „Karenzzeiten“, werden derzeit z. B. in
Finnland
und
Italien
diskutiert.
Frankreich
hat vor Kurzem eine Gesetzesänderung vorgenommen, um den Drehtüreffekt in das Mandat der für Transparenz und Integrität im öffentlichen Leben zuständigen Agentur aufzunehmen. Zwar wurden in
Portugal
vor Kurzem neue Vorschriften eingeführt, nach denen relativ lange Karenzzeiten und abschreckende Strafen bei Nichteinhaltung vorgesehen sind, doch müssen sie noch überwacht und durchgesetzt werden.
-Offenlegung von Vermögenswerten und Interessen
In allen Mitgliedstaaten gelten Vorschriften, mit denen sichergestellt wird, dass bestimmte Kategorien von Verantwortlichen des öffentlichen Sektors Pflichten hinsichtlich der Offenlegung von Vermögenswerten und Interessen unterliegen. Allerdings sind beim Umfang, der Transparenz und Zugänglichkeit der offengelegten Informationen bzw. beim System der Überprüfung und Durchsetzung Unterschiede festzustellen. In einer Reihe von Mitgliedstaaten zielen die in jüngster Zeit durchgeführten Reformen auf eine Verbesserung des Systems. In
Estland
wurde der Kreis der Personen, die verpflichtet sind, eine Erklärung über die finanziellen Interessen vorzulegen, auf politische Berater von Ministern erweitert, und in
Kroatien
wurden Vermögenserklärungen von Richtern und Staatsanwälten öffentlich zugänglich gemacht. In
Portugal
wurde die Pflicht zur Online-Veröffentlichung vollständiger und konsolidierter Vermögenserklärungen eingeführt. In
Litauen
gibt es jetzt ein neues Register, in dem Angaben in Interessenerklärungen mit mehreren anderen nationalen Registern verknüpft werden können. Schließlich ist in anderen Mitgliedstaaten, die in der Vergangenheit Reformen durchgeführt haben, eine zufriedenstellende Entwicklung im Bereich Überwachung und Kontrolle zu verzeichnen. In
Frankreich
führen die zuständigen Behörden systematische und regelmäßige Kontrollen durch, die in manchen Fällen zur Übermittlung der Vorgänge an die Staatsanwaltschaft für eine mögliche strafrechtliche Weiterverfolgung führen. In
Rumänien
erfolgt die Einreichung von Vermögens- und Interessenerklärung seit April 2021 elektronisch, und es wird angenommen, dass die Überprüfungsarbeiten dadurch weiter vereinfacht werden.
In manchen Mitgliedstaaten bestehen weiterhin Schwachstellen. In
Belgien
werden Erklärungen nicht veröffentlicht oder auf ihre Richtigkeit überprüft und sind diese nur für Ermittlungsrichter im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen zugänglich. In
Griechenland
werden Vermögenserklärungen von Beamten und Parlamentsabgeordneten zwar veröffentlicht, doch treten Verzögerungen auf und die für die Öffentlichkeit zugänglichen Daten sind nach wie vor begrenzt. In
Ungarn
gelten zwar umfangreiche Offenlegungspflichten, doch bestehen weiterhin Bedenken, da keine systematischen Kontrollen stattfinden und nur eine unzureichende Überwachung von Vermögens- und Interessenerklärungen gegeben ist; zudem kann beim Verdacht auf einen ungerechtfertigten Vermögensanstieg eine Prüfung durch die Steuerbehörden nur erfolgen, wenn auch die Ermittlungsbehörden strafrechtliche Untersuchungen eingeleitet haben. In
Slowenien
werden zwar die Kategorien von Beamten, die Offenlegungspflichten unterliegen, weiter ausgeweitet, doch die für die Überwachung und Überprüfung eingesetzten Ressourcen wurden nicht entsprechend ausgebaut. Auch bei der Kommission für die Lösung von Interessenkonflikten in
Kroatien
besteht weiterhin ein Personalmangel.
-Schutz von Hinweisgebern
Im Rahmen der Umsetzung der EU-Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebern von 2019 sind die Mitgliedstaaten derzeit mit der Überarbeitung bestehender nationaler Vorschriften oder der Einführung neuer Rechtsvorschriften befasst. Manche Mitgliedstaaten haben die institutionellen Rahmenbedingungen für den Umgang mit Berichten von Hinweisgebern vereinfacht. Dies war in der
Slowakei
der Fall, wo das Parlament den Leiter einer neuen unabhängigen Dienststelle für den Schutz von Hinweisgebern ernannt hat, die sowohl den privaten als auch den öffentlichen Sektor abdeckt. In den
Niederlanden
wird das Gesetz über die Behörde für Hinweisgeber nach einer Evaluierung geändert, um den Rechtsschutz von Hinweisgebern zu erhöhen.
-Finanzierung politischer Parteien
Die Finanzierung politischer Parteien kann als Instrument für Korruption verwendet werden, weshalb Transparenz und strenge Rechtsvorschriften ein wichtiger Faktor sind. Reformen zur Steigerung der Transparenz und Kontrolle der Finanzierung politischer Parteien wurden in mehreren Mitgliedstaaten durchgeführt oder werden derzeit diskutiert. In
Luxemburg
wurden die Rechtsvorschriften zur Finanzierung politischer Parteien überarbeitet, um für eine größere Transparenz zu sorgen. In
Finnland
überprüft derzeit eine parlamentarische Arbeitsgruppe die Ausarbeitung einer einschlägigen Rechtsvorschrift. In
Tschechien
ist eine detailliertere Analyse des Systems der Parteienfinanzierung vorgesehen, in deren Rahmen legislative Lücken und Herausforderungen in der Praxis ermittelt werden sollen. In den
Niederlanden
zielt ein derzeit im Parlament erörterter Vorschlag für eine Rechtsvorschrift auf den Schutz der Funktionsweise und der Organisation politischer Parteien vor ausländischer Einflussnahme.
Abschwächung der Auswirkungen der Pandemie auf die Korruption
Die COVID-19-Pandemie beeinflusste in manchen Mitgliedstaaten das Reformtempo bzw. die Urteilsfindung in Korruptionsfällen, da die Behörden und Gerichte mit der dringenden Bekämpfung der Gesundheitskrise konfrontiert waren. GRECO empfahl eine Straffung der Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung in pandemiebezogenen Prozessen, wie der Zuweisung und Auszahlung von Aufbaufonds, im Eilverfahren angenommene Vorschriften und medizinische Versorgung. Gleichzeitig wiesen die Kommission und der Rat darauf hin, dass die Korruptionsbekämpfung weiterhin wichtig ist. Gleichermaßen warnte die OECD davor, dass Integritätsverletzungen und korrupte Verhaltensweisen die Erholung beeinträchtigen könnten, wobei sie insbesondere auf die Notwendigkeit hinwies, unmittelbaren Risiken bei Vergabeverfahren in Notsituationen Rechnung zu tragen und Risikobewertungen zur Korruptionsbekämpfung in Maßnahmen zur wirtschaftlichen Erholung zu integrieren.
Die Korruptionsrisiken haben während der Pandemie offenbar zugenommen, insbesondere mit der stärkeren Nutzung von beschleunigten und vereinfachten Vergabeverfahren, was zu Direktvergaben oder außerwettbewerblichen Vergaben geführt hat. Diese außergewöhnlichen Umstände veranlassten die Prüfungs- und Kontrollbehörden in mehreren Mitgliedstaaten, wie etwa in
Zypern
,
Portugal
,
Frankreich
,
Italien
und
Litauen
, Leitlinien für den Umgang mit diesen Risiken herauszugeben oder gezielte Prüfungen wie in
Österreich
oder
Rumänien
durchzuführen.
3.3 Medienpluralismus und Medienfreiheit
Medienpluralismus und Medienfreiheit sind zentrale Faktoren für die Rechtsstaatlichkeit, demokratische Rechenschaftspflicht und die Bekämpfung von Korruption. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, für ein förderliches Umfeld für Journalisten zu sorgen, ihre Sicherheit zu schützen sowie Medienpluralismus und Medienfreiheit zu fördern. Dieser Abschnitt konzentriert sich auf Bereiche, in denen politische Entscheidungen und Strategien erhebliche Auswirkungen auf die Fähigkeit der Medien zur Wahrnehmung ihrer Rolle haben.
Media Pluralism Monitor
Mit dem Media Pluralism Monitor werden die Risiken für die Medienfreiheit und den Medienpluralismus in allen Mitgliedstaaten bewertet, wobei der Schwerpunkt auf vier Bereichen liegt – Grundschutz der Medienfreiheit, Pluralität des Marktes, politische Unabhängigkeit und soziale Inklusivität der Medien. Die aktuellsten Ergebnisse des Monitors (MPM 2021) weisen bei drei Schlüsselindikatoren auf eine Verschlechterung der Situation gegenüber dem MPM 2020 hin: Meinungsfreiheit, Schutz des Rechts auf Informationen und des Journalistenberufs sowie Schutz von Journalisten. Auch in diesem Zusammenhang hatten die von einigen Regierungen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie ergriffenen Maßnahmen Auswirkungen auf dieses Ergebnis. Zwar bestätigen die Ergebnisse, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle Medienaufsichtsbehörden vor Einflussnahmen geschützt sind, und zwar sowohl mit Blick auf die Ernennung ihrer Räte als auch bei der Wahrnehmung ihres Auftrags, doch ist eine leichte Verbesserung festzustellen. Die Transparenz in Bezug auf die Eigentumsverhältnisse im Medienbereich stellt durchschnittlich weiterhin ein mittleres Risiko in den Mitgliedstaaten dar, was auf das Fehlen wirksamer Rechtsvorschriften und den Umstand zurückzuführen ist, dass die Informationen nur öffentlichen Stellen, nicht aber der Öffentlichkeit bereitgestellt werden. Wie in den Länderkapiteln dargelegt, gilt aus einer Reihe von Gründen die politische Unabhängigkeit der Medien in denselben sechs Mitgliedstaaten, die im MPM 2020 ermittelt worden waren, als Bereich mit hohem Risiko.
Laufende Reformen zur Stärkung der Unabhängigkeit der Medienaufsicht
Die nationalen Medienaufsichtsbehörden spielen eine zentrale Rolle bei der Wahrung und Durchsetzung des Medienpluralismus. Wie im Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020 hervorgehoben, hat ihre Unabhängigkeit von wirtschaftlichen und politischen Interessen bei der Umsetzung medienspezifischer Vorschriften und Entscheidungen der Medienpolitik direkten Einfluss auf die Marktpluralität und die politische Unabhängigkeit des Medienumfelds. In allen Mitgliedstaaten gibt es Rechtsvorschriften, in denen die Zuständigkeiten und Unabhängigkeit der Medienaufsichtsbehörden geregelt sind. Die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie)
umfasst spezifische Anforderungen zur Stärkung der Unabhängigkeit der nationalen Medienbehörden. Seit der Veröffentlichung des ersten Berichts haben manche Mitgliedstaaten wie
Belgien
,
Bulgarien
,
Griechenland
,
Lettland
,
Luxemburg
und
Schweden
im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie neue Rechtsvorschriften erlassen, durch die die Unabhängigkeit ihrer Medienaufsichtsbehörden weiter gestärkt werden soll. Andere Mitgliedstaaten (
Tschechien
,
Zypern
,
Estland
,
Frankreich
und
Polen
) haben solche Rechtsvorschriften angekündigt oder bereiten sie vor.
Bezüglich der funktionellen Unabhängigkeit und Wirksamkeit mancher Aufsichtsbehörden bestehen nach wie Bedenken. Beispielsweise wurde in
Rumänien
die Arbeit der Aufsichtsbehörde dadurch behindert, dass nach dem Auslaufen mehrerer früherer Mandate keine neuen Mitglieder ernannt wurden oder keine ausreichenden Mittel zur Verfügung standen. Auch in
Spanien
und
Slowenien
wurden Bedenken hinsichtlich der Angemessenheit der Ressourcen der Aufsichtsbehörde geäußert. Politischer Einfluss auf das Ernennungsverfahren oder das Fehlen eines wirksamen Schutzes vor politischer Einflussnahme sind in manchen Mitgliedstaaten weiterhin Grund zur Sorge, auch wenn eine formelle Unabhängigkeit gesetzlich verankert ist. Dies trifft auf Mitgliedstaaten wie
Kroatien
,
Malta
, die
Slowakei
und
Ungarn
zu.
Verbesserungen und Hindernisse mit Blick auf die Transparenz in Bezug auf die Eigentumsverhältnisse im Medienbereich
Transparenz in Bezug auf die Eigentumsverhältnisse im Medienbereich ist eine wesentliche Voraussetzung, um eine zuverlässige Analyse der Pluralität der Medienmärkte vornehmen zu können und der Öffentlichkeit zu ermöglichen, die über die Medien verbreiteten Informationen und Meinungen zu bewerten. In Einklang mit internationalen Standards und den EU-Rechtsvorschriften sind die Mitgliedstaaten gefordert, spezifische Maßnahmen in diesem Bereich zu ergreifen. Seit dem letzten Bericht wurde in
Griechenland
eine neue Rechtsvorschrift zur Verbesserung der Transparenz in Bezug auf die Eigentumsverhältnisse im Medienbereich und öffentlichen Verfügbarkeit von Informationen über die Eigentumsverhältnisse im Medienbereich angenommen. In
Finnland
sind die Mediendiensteanbieter nach einer neuen spezifischen Rechtsvorschrift verpflichtet, Informationen über ihre Eigentumsstruktur öffentlich zugänglich zu machen. In mehreren anderen Mitgliedstaaten werden derzeit Gesetze zur Verbesserung der Transparenz in Bezug auf die Eigentumsverhältnisse im Medienbereich vorbereitet, und in einigen anderen wurde die Zugänglichkeit von Informationen verbessert. Beispielsweise wurde in
Irland
eine durchsuchbare Datenbank mit Informationen über die Eigentumsverhältnisse im Medienbereich eingerichtet, durch die die öffentliche Aufsicht erleichtert wird.
Litauen
richtet derzeit ein öffentlich zugängliches Informationssystem für die Offenlegung von Informationen über die Eigentumsverhältnisse und schrittweise die Einnahmen aus staatlicher Werbung ein.
Bedenken hinsichtlich der fehlenden Transparenz der letztendlichen Eigentumsstrukturen bestehen in mehreren Mitgliedstaaten, was insbesondere auf praktische Probleme bei der Ermittlung der eigentlichen Eigentümer zurückzuführen ist. In
Slowenien
gelten spezifische Bestimmungen zur Transparenz, doch die Bedenken bestehen weiter, da die eigentlichen wirtschaftlichen Eigentümer im Medienregister nicht immer ermittelbar sind. In
Tschechien
wurde eine Rechtsvorschrift angenommen, mit der der Zugang der Öffentlichkeit über ein Register zu begrenzten Informationen über die Eigentumsverhältnisse aller Unternehmen, einschließlich Medienunternehmen, garantiert wird, doch es bestehen weiterhin Bedenken, da die Medienunternehmen nach dem System nicht verpflichtet sind, ihre vollständigen Eigentumsstrukturen offenzulegen. Das Fehlen von Transparenz in Bezug auf die Eigentumsverhältnisse im Medienbereich gibt in
Bulgarien
weiterhin Grund zur Sorge, da die Daten zu den Eigentumsverhältnissen im Medienbereich immer noch nicht vollständig für die Öffentlichkeit offengelegt werden.
Risiken hinsichtlich der Transparenz und fairen Verteilung staatlicher Werbung
Durch transparente Regeln und faire Kriterien verringert sich das Risiko von Vetternwirtschaft bei der Verteilung staatlicher Werbung. Fehlen solche Regeln, nimmt das Risiko zu, dass öffentliche Gelder parteiisch bestimmten Medienunternehmen zugewiesen werden, und ist eine indirekte politische Einflussnahme auf die Medien möglich, wodurch ihre Unabhängigkeit untergraben wird.
Im Bericht von 2020 wurde darauf hingewiesen, dass in vielen Mitgliedstaaten keine spezifische Rechtsvorschrift zu diesem Sachverhalt vorhanden ist. Dies ist nach wie vor der Fall, obwohl die zentralen oder lokalen Behörden in einer Reihe von Mitgliedstaaten weiterhin erhebliche Mittel für staatliche Werbung in den Medien zuweisen. In
Österreich
sind hohe Beträge für staatliche Werbung in den Medien der Grund für weiter bestehende Bedenken hinsichtlich der Transparenz und Fairness bei der Verteilung und geben Anlass zur Sorge mit Blick auf eine unzureichende Aufmerksamkeit für den Medienpluralismus. In
Kroatien
ist die staatliche Werbung zwar teilweise reguliert, doch berichten Interessenträger, dass durch sie häufig die politische Unabhängigkeit der Medienunternehmen untergraben wird, da diese wirtschaftlich von diesen Mitteln abhängig sind, insbesondere auf lokaler Ebene. In
Bulgarien
geht das Fehlen gesetzlicher Schutzmaßnahmen für eine faire und transparente Verteilung von staatlicher Werbung mit Bedenken hinsichtlich der Transparenz bei der Zuteilung öffentlicher Mittel für Medienunternehmen einher. In
Ungarn
ermöglicht es die Verteilung staatlicher Werbung der Regierung nach wie vor, indirekt politischen Einfluss auf die Medien auszuüben, wobei der Staat der größte Werbetreibende in dem Land ist und ein Großteil der Mittel regierungsfreundlichen Medienunternehmen zugutekommt. In
Polen
scheint die staatliche Werbung größtenteils Medienunternehmen zuzukommen, die als regierungsfreundlich gelten.
Politischer Druck und Einfluss auf die Medien
Schwachstellen und Risiken nehmen zu, wenn die politische Unabhängigkeit der Medien in Gefahr ist, Vorschriften zum Schutz vor politischer Einflussnahme fehlen oder Vorschriften gelten, die politischen Akteuren das Eigentum an Medien gestatten. Seit der Veröffentlichung des letzten Berichts war in einer Reihe von Fällen politischer Druck auf die Medien offensichtlich. In
Tschechien
hatten politische Auseinandersetzungen weiterhin Einfluss auf die tschechische Aufsichtsstelle für das Fernsehen. In
Malta
wurde aufgrund des Umstands, dass die beiden wichtigen politischen Parteien ihre eigenen Fernseh- und Radiosendern besitzen, eine Verfassungsklage eingereicht, in der der entsprechende Abschnitt des maltesischen Rundfunkgesetzes angefochten und Gründe gegen die Art und Weise vorgebracht wurden, in der die Vorschriften von der Medienaufsichtsbehörde angewandt werden. In
Slowenien
werden mögliche Änderungen an der Finanzierung der öffentlichen Rundfunkanstalt und der auf die nationale Presseagentur ausgeübte Druck von Interessenträgern als politisch motiviert gesehen. In
Polen
hat die mögliche Übernahme eines großen privaten Pressekonzerns durch ein staatlich kontrolliertes Ölunternehmen Bedenken mit Blick auf eine mögliche Bedrohung des Pluralismus des Medienmarktes entstehen lassen. In
Bulgarien
ist der politische Einfluss auf die Medien weiterhin Anlass zur Sorge, auch aufgrund des Fehlens von Vorschriften, mit denen verhindert wird, dass Medienunternehmen im Eigentum von Politikern und politischen Parteien sind. In
Ungarn
nahm der Medienrat eine Reihe von Entscheidungen an, die zur Folge hatten, dass einer der letzten unabhängigen Radiosender in Ungarn seinen Betrieb einstellte.
Der Zugang zu Informationen ist für die Medien, die Zivilgesellschaft und das Vertrauen der Öffentlichkeit von zentraler Bedeutung
Das Recht auf Zugang zu Informationen, die bei Behörden vorhanden sind, ist eine grundlegende Voraussetzung für die Medien, die Zivilgesellschaft und die Bürger im Allgemeinen, um in der Lage zu sein, ihre Rolle in demokratischen Debatten und bei der Kontrolle öffentlicher Einrichtungen wahrzunehmen. In
Zypern
traten 2020 neue Rechtsvorschriften zur Schaffung des Rahmens und der Bedingungen für den Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen in Kraft, und mehrere weitere Mitgliedstaaten planen derzeit, eine umfassende Rechtsvorschrift über den Zugang zu Informationen (
Österreich
) oder die Einführung von Mechanismen zur Mediation bei Beschwerden (
Niederlande
) zu erlassen. Zwar wird der Zugang zu Informationen in allen Mitgliedstaaten gesetzlich garantiert, doch bleiben in zahlreichen Fällen praktische Hindernisse. In
Rumänien
zeigt sich bei der regelmäßigen Überwachung durch die nationalen Behörden, dass sich die Umsetzung in der Verwaltung unterscheidet und Transparenzmaßnahmen von öffentlichen Stellen eine unzureichende Priorität eingeräumt wird, wobei die Einhaltung durch lokale Behörden am geringsten ist. In
Kroatien
wurden Schwachstellen bezüglich der Durchsetzung von Entscheidungen des Informationsbeauftragten hervorgehoben. In
Luxemburg
geben die langwierigen Verfahren für den Zugang zu offiziellen Dokumenten nach wie vor Anlass zur Sorge. In
Dänemark
sind bestehende Beschränkungen des Rechts auf Zugang zu öffentlichen Akten Gegenstand von Diskussionen.
Schutz von Journalisten vor Gefahren und Angriffen
Die Notwendigkeit, sich mit der Sicherheit von Journalisten in der EU zu befassen, wurde durch jüngste Fälle wie die Morde an dem griechischen Journalisten Giorgios Karaivaz im April 2021 und dem niederländischen Journalisten Peter De Vries im Juli 2021 überaus deutlich; in beiden Mordfällen laufen die Ermittlungen. Zahlreiche Journalisten sind weiterhin Gefahren und Angriffen ausgesetzt, insbesondere wenn sie in den Bereichen Kriminalität und Korruption recherchieren. In der
Slowakei
wurde eine Reihe von Personen, die am Mord an dem Investigativjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten im Jahr 2018 beteiligt waren, verurteilt, und das Gerichtsverfahren zum mutmaßlichen Drahtzieher läuft noch. In
Malta
ist die öffentliche Untersuchung der Ermordung der Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia im Jahr 2017 nun abgeschlossen worden. Es gab eine Reihe von Entwicklungen im ihre Ermordung betreffenden Strafverfahren.
2020 verzeichnete die Plattform zur Förderung des Schutzes des Journalismus und der Sicherheit von Journalisten des Europarats die höchste Zahl an Warnungen überhaupt: ein Anstieg von 40 % gegenüber 2019. Die Mapping Media Freedom Platform beobachtete 2020 zudem 280 Fälle von Verletzungen der Medienfreiheit, von denen insgesamt 908 Personen oder Medienunternehmen in 23 Mitgliedstaaten betroffen waren. Diese Verletzungen umfassten Belästigungen oder seelische Misshandlung, rechtliche Bedrohungen, tätliche Angriffe, Angriffe auf das Vermögen, Hassrede, Verleumdungskampagnen und Zensur. Tätliche Angriffe wurden insbesondere im Zusammenhang mit öffentlichen Protesten gemeldet, und Journalisten in
Frankreich
,
Deutschland
,
Griechenland
und
Polen
wurden von Demonstranten, in manchen Fällen aber auch von der Polizei angegriffen. Online-Bedrohungen nehmen in der gesamten EU zu, wobei Journalistinnen und Journalisten, die einer ethnischen Minderheit angehören, besonders gefährdet sind. Diese Situation ist insbesondere beunruhigend, wenn solche Angriffe von Politikern oder anderen mächtigen öffentlichen Personen ausgehen. In
Slowenien
war z. B. eine Reihe von prominenten Fällen zu verzeichnen, die Belästigungen und Bedrohungen von Journalisten durch Politiker im Internet betrafen. In
Portugal
wird derzeit ein Fall einer polizeilichen Überwachung untersucht, die darauf abzielte, die Quellen von Journalisten zu ermitteln, und ohne richterliche Anweisung durchgeführt worden war. In
Italien
betrifft eine aktuelle Meldung eine angebliche Telefonüberwachung mehrerer Journalisten, die an Migrationsthemen arbeiteten, im Rahmen einer Untersuchung der Staatsanwaltschaft zu den Beziehungen zwischen NRO und Menschenhändlern.
Mechanismen, die Journalisten, die Hilfe benötigen, praktische Unterstützung bieten, gibt es in mehreren Mitgliedstaaten. In den
Niederlanden
wurde das Projekt „PersVeilig“, das auf eine Verringerung der Bedrohungen, Gewalt und Aggressionen gegen Journalisten ausgerichtet ist, 2021 einer Prüfung unterzogen, in deren Rahmen Vorschläge für Verbesserungen vorgelegt wurden. In
Italien
wird ein 2017 eingerichtetes Koordinierungszentrum für den Umgang mit Taten gegen Journalisten weiterhin als vorbildliche Praxis auf EU-Ebene betrachtet. Andere Mitgliedstaaten prüfen die Einführung neuer rechtlicher Garantien für den Schutz von Journalisten. In
Finnland
plant die Regierung Änderungen am Strafgesetzbuch, um die strafrechtliche Verfolgung von rechtswidrigen Drohungen oder die gezielte Auswahl gefährdeter Opfer, wie freie Journalisten, zu erleichtern sowie das Strafmaß für geschlechterbezogene Gewalt zu erhöhen, damit der an Journalistinnen gerichteten Hassrede Rechnung getragen wird. Auch in
Schweden
werden im Rahmen der laufenden Prüfung des strafrechtlichen Schutzes für bestimmte wesentliche Funktionen in der Gesellschaft Schritte eingeleitet, um den Schutz von Journalisten zu verbessern.
Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung (SLAPP), eine besondere Form der Belästigung, die gegen Journalisten und andere am Schutz des öffentlichen Interesses Beteiligte eingesetzt wird, häufig in Kombination mit Bedrohungen der physischen Sicherheit, sind in mehreren Mitgliedstaaten Anlass zu großer Sorge. Beispielsweise hatte in
Kroatien
der umfassende Einsatz von SLAPP gravierende Auswirkungen auf Medienunternehmen, insbesondere auf kleinere oder lokale Medien, sowie freie Journalisten. In anderen Ländern wie
Polen
wurde von den Nachrichtenmedien eine Zunahme von Klagen gegen Journalisten mit einschüchternder Wirkung in Verbindung mit Abmahnungen, die an Journalisten und Nachrichtenredaktionen gerichtet waren, festgestellt, die auf die Einstellung kritischer Berichterstattung über Unternehmen oder öffentliche Einrichtungen abzielten. Dies scheint insbesondere kleinere Medienunternehmen und freie Journalisten zu betreffen, wobei ein hohes Risiko von Selbstzensur besteht.
Die Auswirkungen der Pandemie auf Medienfreiheit und Medienpluralismus
Die Nachrichtenmedien in Europa waren von zentraler Bedeutung, um die Bürger während der COVID-19-Pandemie zu informieren. Der Bedarf an faktengeprüften Informationen und Nachrichten hat erheblich zugenommen, wie im Aktionsplan zu Audiovisuellem und Medien der Kommission festgestellt wird. Gleichzeitig stellte die Pandemie den Mediensektor sowie einzelne Journalisten und Angehörige der Medienberufe vor erhebliche wirtschaftliche Herausforderungen.
In mehreren Länderkapiteln wird auf einen beispiellosen Einnahmenverlust und Liquiditätsprobleme von Nachrichtenorganen oder sogar Konkurs und Schließung hingewiesen. Regionale und lokale Medienunternehmen sind offenbar am stärksten betroffen, was zur Folge hat, dass in manchen Mitgliedstaaten jetzt große Gebiete keine lokalen Nachrichtenorgane haben. In mehreren Mitgliedstaaten waren Angehörige der Medienberufe mit sich verschlechternden wirtschaftlichen und Arbeitsbedingungen konfrontiert. Die Arbeitslosigkeit in dem Sektor nahm zu, und viele Medienschaffende und Journalisten – insbesondere diejenigen mit prekären Arbeitsbedingungen oder Freie – verloren ihr Einkommen. Durch all dies können sie leichter unter Druck gesetzt werden.
Um den Auswirkungen der Pandemie entgegenzuwirken, hat etwa die Hälfte aller Mitgliedstaaten spezielle Unterstützungsprogramme für Medien aufgelegt, die deren Rahmen in erster Linie Mittel oder Finanzhilfen für alle oder einige Mediensektoren bereitgestellt werden. Lokale Medien waren beispielsweise in
Estland
,
Schweden
,
Finnland
,
Dänemark
, den
Niederlanden
,
Frankreich
und
Italien
explizit in diese Programme eingeschlossen. Mehrere Mitgliedstaaten, wie
Zypern
,
Litauen
,
Portugal
und
Rumänien
, unterstützten durch öffentliche Werbung für COVID-19-bezogene Sensibilisierungskampagnen einerseits die Medien und stellten andererseits der Öffentlichkeit Informationen zur Verfügung. In manchen Ländern konnten Journalisten die allgemeine Arbeitslosenunterstützung nutzen (
Irland
), während sich in anderen Mitgliedstaaten die Situation für freie Journalisten häufig schwierig gestaltete. Die meisten dieser Maßnahmen wurden von den Medienvertretern begrüßt, obgleich manche Aspekte infrage gestellt wurden, wie z. B. ihre Transparenz (
Malta
), die Fairness der Kriterien für die Verteilung (
Österreich
) oder die möglichen Auswirkungen auf das Vertrauen der Bürger in die Medien (
Rumänien
).
Die Auswirkungen der Pandemie auf die Medien und die zu ihrer Abmilderung ergriffenen Maßnahmen sind jedoch nicht auf wirtschaftliche Aspekte begrenzt. Aufgrund einer Reihe von Einschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie gestaltete sich die Arbeit von Journalisten schwieriger und beeinträchtigte bisweilen ihren Zugang zu öffentlichen Informationen. Zwar waren Unterbrechungen und Ausnahmen von den allgemeinen Regeln für den Zugang zu Informationen im Allgemeinen auf die Anfangsphase der Pandemie beschränkt (z. B.
Spanien
,
Italien
), doch wurde in Mitgliedstaaten wie
Ungarn
der Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen durch im Laufe der Pandemie eingeführte Notmaßnahmen erschwert, wodurch ein zeitnaher Zugang zu solchen Informationen für unabhängige Medienunternehmen schwieriger wurde. Des Weiteren waren Journalisten in manchen Mitgliedstaaten weiterhin mit Hindernissen beim Zugang zu Orten oder mit einem selektiven Zugang zu Online- oder physischen Pressekonferenzen konfrontiert. In
Polen
besteht die Gefahr, dass die Ausübung des Rechts auf Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen infolge einer laufenden Verfassungsklage weiter eingeschränkt wird, und aufgrund der Pandemie wurden die im Verwaltungsrecht festgelegten Fristen ausgesetzt, sodass der Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen beschränkt ist oder mit Verzögerungen gewährt wird. In
Rumänien
wurden offenbar Verzögerungen oder die Ablehnung, Informationen bereitzustellen, mit der Pandemie begründet, und die Datenschutzvorschriften wurden zur Begrenzung des Zugangs herangezogen. Andere Mitgliedstaaten wie
Litauen
und die
Niederlande
hingegen befreiten Journalisten von den Reiseverboten aufgrund der COVID-19-Pandemie, sodass sie weiterhin Ereignisse verfolgen und aus erster Hand berichten konnten.
3.4 Sonstige institutionelle Aspekte in Zusammenhang mit dem System von Kontrolle und Gegenkontrolle
Die Rechtsstaatlichkeit in einer Demokratie beruht auf einer institutionellen Kontrolle und Gegenkontrolle zwischen staatlichen Organen, wodurch ihre Funktionsweise, Zusammenarbeit und die gegenseitige Kontrolle garantiert werden, sodass die Macht von einer staatlichen Stelle unter der Kontrolle der anderen in Einklang mit der politischen und rechtlichen Tradition des einzelnen Mitgliedsstaats ausgeübt wird. Die Zivilgesellschaft spielt eine zentrale Rolle im System von Kontrolle und Gegenkontrolle.
In diesem Abschnitt werden wichtige Entwicklungen in Zusammenhang mit diesem System von Kontrolle und Gegenkontrolle beleuchtet. Dazu zählen das Verfahren für die Ausarbeitung von Gesetzen, das Gesetzgebungsverfahren und die Überprüfung von Gesetzen sowie die Rolle unabhängiger Behörden bei der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit. Ein zugrunde liegendes Thema in diesem Zusammenhang ist die Qualität der öffentlichen Verwaltung und die Art und Weise, in der Behörden das Gesetz anwenden und Gerichtsentscheidungen umsetzen. Ein förderlicher Rahmen für die Zivilgesellschaft ermöglicht Debatten und die Kontrolle der Regierungsverantwortlichen, und wenn ihr Handlungsspielraum eingeengt wird, ist dies als Zeichen zu sehen, dass die Rechtsstaatlichkeit gefährdet ist. In diesem Abschnitt werden Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Rechtsrahmen, unter dem COVID-19-Maßnahmen ergriffen wurden, sowie die Rolle von Parlamenten, Verfassungsgerichten, Gerichten und Ombudspersonen beleuchtet.
Verfassungsreformen und Debatten zur Stärkung der institutionellen Kontrollen und Gegenkontrollen
Bei den Verfassungsreformprozessen zur Stärkung der Garantien sowie des Systems von Kontrolle und Gegenkontrolle, auf die im letzten Jahr hingewiesen wurde, sind weitere Fortschritte zu verzeichnen. In
Zypern
ist die Errichtung eines gesonderten Verfassungsgerichts, das die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen vom obersten Gericht übernehmen würde, jetzt im Parlament anhängig. In
Malta
wurde die Verfassungsreform bezüglich der Ernennung bestimmter unabhängiger Ausschüsse abgeschlossen, doch mit Blick auf den Verfassungskonvent, der sich mit der Stärkung der Rolle des Parlaments befassen würde, sind nur wenige Fortschritte festzustellen. In
Luxemburg
wird die zuvor angekündigte Verfassungsreform nicht weiterverfolgt: Nach dem jetzigen Konzept sollen gezielte Überarbeitungen zu bestimmten Themen vorgenommen werden, beispielsweise zum Justizrat. Nach einer parlamentarischen Untersuchung zur Umsetzung des Systems für Erziehungszulagen finden in den
Niederlanden
derzeit umfassende Debatten zur ordnungsgemäßen Funktionsweise des Systems von Kontrolle und Gegenkontrolle statt.
Um die Entwicklung eines ausgewogenen Systems zu fördern, stützt sich eine Reihe von Mitgliedstaaten auf unterschiedliche Sichtweisen und Expertise, einschließlich internationaler Expertengremien wie der Venedig-Kommission. Nach Auffassung der Kommission ist dies ein konstruktiver Ansatz.
Inklusivität, Qualität und Transparenz der Rechtssetzung bleiben eine Herausforderung
Eine Reihe von Mitgliedstaaten hat Schritte für eine weitere Verbesserung der Prozesse zur Erarbeitung evidenzbasierter Politik, für Konsultationen und die Einbeziehung von Interessenträgern eingeleitet, um dafür Sorge zu tragen, dass Gesetze auf eine breite Diskussion innerhalb der Gesellschaft zurückgehen. Das innovative Projekt des Bürgerkonvents für Klima in
Frankreich
erweckte erhebliche Aufmerksamkeit und Interesse aus anderen Mitgliedstaaten. In
Portugal
brachte das Parlament Maßnahmen voran, um die Transparenz der Rechtssetzung und die Qualität der Rechtsvorschriften zu verbessern. In
Griechenland
wird ein neuer Rahmen für die Prüfung der Auswirkungen und der Qualität von Gesetzesentwürfen vorbereitet, und Interessenträger berichten von einer besseren Qualität und einer erheblichen Verringerung, was in letzter Minute vorgelegte unzusammenhängende Änderungen im Parlament betrifft. In
Estland
,
Lettland
und
Österreich
werden Schritte eingeleitet, um die Beteiligung von Bürgern und Interessenträgern an der Politikgestaltung zu verbessern. In
Spanien
wurde ein vierter offener Regierungsplan (2020-2024) genehmigt, der auf eine Stärkung der Verbindungen zwischen Bürgern und Behörden sowie eine verstärkte Beteiligung der Bürger an der Gestaltung von Politik abzielt.
Im Zuge des Dialogs mit Interessenträgern waren in einer Reihe von Mitgliedstaaten Herausforderungen zu erkennen, wenn es darum geht, dass Vorschriften bezüglich Inklusivität, Transparenz und Qualität der Rechtssetzungsstrategien systematisch in der Praxis angewandt werden sollen. In der
Slowakei
äußerten Interessenträger Bedenken hinsichtlich des Fehlens einer umfassenden und fundierten Diskussion über die wichtigsten Merkmale der jüngsten Verfassungsreform und bedauerten, dass die Behörden nicht eine Stellungnahme der Venedig-Kommission zu ihrer Justiz- und Verfassungsreform einholten. In
Tschechien
wurde von einer hohen Zahl an Dringlichkeitsverfahren berichtet, und Interessenträger äußerten Bedenken, dass diese Verfahren auch für Rechtsakte eingesetzt wurden, die nicht mit der Bekämpfung der Pandemie in Zusammenhang standen. In
Frankreich
ist die Zahl der beschleunigten Verfahren im Parlament erheblich gestiegen, was Konsequenzen für die Konsultation von Interessengruppen und die parlamentarische Arbeit hat. In
Belgien
sieht sich der Staatsrat mit Herausforderungen konfrontiert, was die Vorlage von Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen betrifft, die auf unzureichende Mittel und häufig verkürzte Fristen für Konsultationen zurückzuführen sind.
In einigen Mitgliedstaaten hat das Gesetzgebungsverfahren Anlass zu Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit gegeben. In
Ungarn
wird die Vorhersehbarkeit des Regelungsumfeldes weiterhin durch häufige und plötzliche Änderungen von Rechtsvorschriften unterminiert, und in manchen Fällen hat sich das Tempo für das Erlassen neuer Rechtsvorschriften noch beschleunigt. In
Polen
wird nach wie vor das beschleunigte Verfahren für die Annahme von Vorschriften eingesetzt, unter anderem für wichtige Strukturreformen des Justizwesens, wie die jüngsten Änderungen am Gesetz zum Obersten Gerichtshof. In
Bulgarien
gibt die Praxis, wichtige gesetzliche Änderungen über Änderungen an anderen nicht damit zusammenhängenden Rechtsakten vorzunehmen, durch die öffentliche Konsultationen und Vorgaben für Folgenabschätzungen umgangen werden, weiterhin Anlass zur Sorge. In
Rumänien
bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich der Stabilität und Berechenbarkeit der Rechtsvorschriften, da die Vorschriften häufig geändert werden und die resultierenden Gesetze widersprüchlich sein können, obwohl in dieser Legislaturperiode ermutigende Signale aus dem Parlament zu verzeichnen waren.
Wichtige Entwicklungen bei obersten Gerichten und Verfassungsgerichten mit Blick auf das System von Kontrolle und Gegenkontrolle
Die obersten Gerichte und Verfassungsgerichte spielen eine zentrale Rolle im System von Kontrolle und Gegenkontrolle. Allerdings geben die Entwicklungen in manchen Mitgliedstaaten Anlass zur Sorge. In der
Slowakei
wurde bei der Verfassungsreform im Dezember 2020 die Zuständigkeit des Verfassungsgerichts für die Überprüfung von Verfassungsrecht explizit ausgeschlossen. Diese spezifische Reform wird jetzt wiederum durch das Verfassungsgericht überprüft. In
Ungarn
wurden Bedenken hinsichtlich der Rolle des Verfassungsgerichts bei der Überprüfung rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen geäußert: Das Gericht fungiert als weitere Berufungsinstanz und entscheidet in der Hauptsache in gleicher Weise wie die ordentlichen Berufungsgerichte, obwohl es nicht Teil des Gerichtssystems ist, was Fragen hinsichtlich der Rechtssicherheit aufwirft.
Einige jüngere Entwicklungen haben zudem Bedenken hinsichtlich des Prinzips des Vorrangs des Unionsrechts entstehen lassen. Die Achtung der Rechtsstaatlichkeit und die Gleichstellung der Mitgliedstaaten in der EU erfordern, dass das Unionsrecht Vorrang vor nationalem Recht hat und die Urteile des EuGH für alle Behörden der Mitgliedstaaten, auch die nationalen Gerichte, bindend sind. Am 9. Juni 2021 leitete die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen
Deutschland
aufgrund des Verstoßes gegen den Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts in Zusammenhang mit dem Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020 ein. In
Polen
hat dieses Urteil dazu geführt, die Zuständigkeit des EuGH für den Umgang mit Fällen in Zusammenhang mit der Unabhängigkeit der Justiz infrage zu stellen, und die Regierung hat das polnische Verfassungsgericht zu einer Erklärung aufgefordert, nach der die polnische Verfassung Vorrang vor dem Unionsrecht hat. Am 14. Juli 2021 entschied das Verfassungsgericht, dass einstweilige Verfügungen des EuGH, die die Organisation der polnischen Gerichte betreffen, nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar sind, und am 16. Juli 2021 hob der Erste Präsident des Obersten Gerichtshofs Polens ein Dekret zur Umsetzung einer früheren Anordnung des EuGH auf, die Tätigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs in Disziplinarverfahren gegen Richter auszusetzen. In
Frankreich
hat ein Urteil des Staatsrates zur Datenspeicherung Bedenken hinsichtlich seiner Wechselwirkung mit der EU-Rechtsordnung entstehen lassen. In
Rumänien
widersprach eine Entscheidung des Verfassungsgerichts den Ergebnissen einer Vorabentscheidung des EuGH und stellte den Grundsatz des Vorrangs des EU-Rechts in Frage, was für Gerichte, die bei der Entscheidung über Rechtssachen die in der Vorabentscheidung festgelegten Anforderungen des EU-Rechts anwenden müssen, ein erhebliches Hindernis darstellen kann.
Die Schlüsselrolle der Ombudspersonen und nationalen Menschenrechtsinstitutionen
Die Ombudspersonen und die nationalen Menschenrechtsinstitutionen spielen eine wichtige Rolle für die Gewährleistung des Systems von Kontrolle und Gegenkontrolle, da sie das Recht auf eine gute Verwaltung und faire Behandlung verteidigen und auf Verletzungen der Grundrechte hinweisen. In den
Niederlanden
war die Ombudsperson eine der Ersten, die die Verwaltung auf die unfaire Behandlung in Zusammenhang mit Erstattungen von Erziehungszulagen aufmerksam machte und das Fehlen von Folgemaßnahmen der Regierung kritisierte. In
Griechenland
wurden die Befugnisse der Ombudsperson gestärkt, insbesondere was Untersuchungen von Fällen von Willkür der Strafverfolgungsbehörden betrifft; zudem ist sie in Fällen von Verletzungen der Grundrechte tätig geworden. In
Malta
wurde im Zuge einer Verfassungsreform die Ernennung, Suspendierung und Abberufung der Ombudsperson gestärkt, und mit der anhängigen Ernennung einer neuen Ombudsperson werden die neuen Vorschriften erstmals angewandt.
In bestimmten Mitgliedstaaten waren die Ernennung und Abberufung von Ombudspersonen Gegenstand politischer Auseinandersetzungen und Rechtsstreitigkeiten. In
Polen
spielte die Ombudsperson weiter eine entscheidende Rolle als Garantie der Rechtsstaatlichkeit. Das Mandat des letzten Amtsinhabers endete 2020, er übte die Funktion jedoch weiterhin aus, da keine politische Einigung über seine Nachfolge erzielt werden konnte. Die fortgesetzte Ausübung der Befugnisse der scheidenden Ombudsperson fand im Juli 2021 nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichts und angesichts des Umstands, dass parlamentarische Verfahren jetzt auf eine Ernennung mit parteiübergreifender Unterstützung hindeuten, ein Ende. In
Rumänien
befand das Verfassungsgericht die Entscheidung des Parlaments, die im Rahmen eines früheren parlamentarischen Mandats ernannte Ombudsperson abzuberufen, für verfassungswidrig, sodass sie wieder in ihre Funktionen eingesetzt wurde.
Organisationen der Zivilgesellschaft sind wesentliche Akteure für die Rechtsstaatlichkeit
In den meisten Mitgliedstaaten besteht ein förderliches und unterstützendes Umfeld für die Zivilgesellschaft, und der zivilgesellschaftliche Raum wird weiterhin als offen eingestuft. Zudem stellten die Behörden in manchen Mitgliedstaaten zusätzliche finanzielle Unterstützung für die Förderung von Organisationen der Zivilgesellschaft bereit. In
Estland
wurde ein neues Regierungsprogramm für 2021-2024 aufgelegt, um weitere strategische Partnerschaften zwischen Organisationen der Zivilgesellschaft und öffentlichen Einrichtungen aufzubauen. In mehreren Mitgliedstaaten bringt sich die Zivilgesellschaft stärker in die Basisarbeit im Bereich Rechtsstaatlichkeit ein.
In manchen Mitgliedstaaten sind Organisationen der Zivilgesellschaft jedoch schwerwiegenden Herausforderungen ausgesetzt. Dazu zählen beispielsweise vorsätzliche Bedrohungen, auch durch finanzielle Kürzungen oder Kontrollen, durch Behörden oder ein unangemessener Schutz vor physischen und verbalen Angriffen, willkürlichen Entscheidungen, strategischen Klagen gegen öffentliche Beteiligung (SLAPP) oder eine Senkung des Schutzniveaus der Grundrechte, das die Arbeit der Zivilgesellschaft garantiert. Beispielsweise wird in
Ungarn
weiterhin Druck auf Organisationen der Zivilgesellschaft mit einer regierungskritischen Einstellung ausgeübt; zwar wurde das Gesetz über die Transparenz von mit ausländischen Mitteln finanzierten Organisationen der Zivilgesellschaft nach dem Urteil des EuGH aufgehoben, doch wurden neue Maßnahmen eingeführt. In
Polen
sind regierungskritische NRO Schikanen und Bedrohungen seitens der Behörden und Beamten ausgesetzt. In
Griechenland
wirft das Registrierungsverfahren für NRO, die im Bereich Asyl, Migration und soziale Integration tätig sind, Fragen auf. Trotz einiger Fortschritte geben die Herausforderungen in Bezug auf die Registrierung auch in
Zypern
Anlass zur Sorge. In
Malta
haben Organisationen der Zivilgesellschaft Bedenken hinsichtlich neuer Vorschriften für die Mittelbeschaffung geäußert, durch die es für Vereinigungen schwieriger werde, ihre Tätigkeiten durchzuführen. In der
Slowakei
lösen verbale Angriffe seitens der Behörden und Politiker auf Aktivisten und Organisationen der Zivilgesellschaft sowie eine Verringerung der öffentlichen Mittel für Organisationen, die sich für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzen, Bedenken mit Blick auf die Anerkennung der demokratischen Rolle der Zivilgesellschaft aus. In
Frankreich
und
Spanien
bestehen Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen der Rechtsvorschriften zur öffentlichen Sicherheit auf die Arbeit von Organisationen der Zivilgesellschaft mit Blick auf die Meinungsfreiheit, die Informationsfreiheit und das Recht auf Protest.
Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf das System von Kontrolle und Gegenkontrolle und öffentliche Diskussionen
Die COVID-19-Maßnahmen, einschließlich der Einschränkungen der Grundrechte, wurden auf der Grundlage unterschiedliche Rechtsrahmen angenommen: ein verfassungsgemäßer Ausnahmezustand, ein neuer spezifisch für die Pandemie eingerichteter Ausnahmezustand, Gesetze zur öffentlichen Gesundheit oder überhaupt keine spezielle Regelung. Diese rechtlichen Regelungen wurden im Laufe der Zeit häufig geändert. In den
Niederlanden
und
Schweden
wurden beispielsweise die Regelungen gestärkt, um dafür Sorge zu tragen, dass die restriktiven Maßnahmen auf einer soliden Rechtsgrundlage basieren. In
Belgien
wurde ein „Pandemiegesetz“, das eine neue Rechtsgrundlage für Notmaßnahmen bieten soll, angenommen. In einigen Mitgliedstaaten war die Verfassungsmäßigkeit der Ausnahmeregelungen und der Gesetze über die öffentliche Gesundheit Gegenstand einer Überprüfung. In der
Slowakei
prüfte das Verfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der Ausnahmeregelung, als diese eingeführt und als sie verlängert wurde, und bestätigte ihre Konformität mit der Verfassung. In den meisten Mitgliedstaaten waren die Ausnahmeregelungen zeitlich befristet, wobei viele bereits im Frühling 2021 endeten oder derzeit auslaufen.
Die fortgesetzte demokratische Kontrolle durch die Parlamente zeigte sich in regelmäßigen Debatten über die Verlängerung von Ausnahmeregelungen. Die parlamentarische Kontrolle über einzelne COVID-19-Maßnahmen gestaltete sich unterschiedlich. In
Italien
haben alle von der Regierung erlassenen Gesetzesdekrete in dringenden Fällen sofortige Wirkung, sie müssen jedoch innerhalb von 60 Tagen vom Parlament in ein Gesetz umgewandelt werden. In
Finnland
unterliegen alle Notmaßnahmen der Billigung durch das Parlament und einer verfassungsmäßigen Überprüfung durch den Justizkanzler und den Ausschuss für Verfassungsrecht. In
Portugal
wurde ein parlamentarischer Ad-hoc-Ausschuss für die Überwachung der zur Bewältigung der Pandemie angenommenen Maßnahmen eingerichtet, dem die Regierung über jede Periode des Ausnahmezustands Bericht erstatten musste, wodurch das Parlament überdies eine Ex-post-Kontrolle durchführen kann.
In einer Reihe von Mitgliedstaaten wurde die parlamentarische Kontrolle über die COVID-19-Maßnahmen im Laufe der Zeit gestärkt. In
Deutschland
wurde die parlamentarische Kontrolle durch die Einführung einer Standardliste von Maßnahmen verbessert, die per Verordnung erlassen werden können. Nach den Anforderungen in
Österreich
sind restriktivere Verordnungen durch das Parlament zu validieren, bevor sie in Kraft treten, und müssen zeitlich befristet sein; zudem wurden die Pflichten zur Konsultation gestärkt. Das Parlament in
Kroatien
ersuchte darum, dass dreimal jährlich ein Bericht über die COVID-19-Maßnahmen vorgelegt wird. In
Dänemark
wurde im Februar 2021 eine neue Rechtsvorschrift mit einer stärkeren parlamentarischen Kontrolle angenommen und insbesondere ein parlamentarischer Sonderausschuss eingerichtet, der für die Prüfung von Durchführungsverordnungen zuständig ist.
Was die Parlamente selbst betrifft, so wurde ihre Arbeitsweise von der Pandemie beeinträchtigt, doch die meisten passten ihre Geschäftsordnung an, um die Fortführung von Debatten, Abstimmungen und eine angemessene Repräsentation sicherzustellen, selbst wenn nach den Regelungen eine geringere Zahl an Personen anwesend sein dürfte und sich Abgeordnete in Selbstisolation begeben mussten. Manche Mitgliedstaaten verfügten bereits über sehr weit entwickelte IT-Plattformen, durch die ein besserer Übergang möglich war, wie etwa in
Lettland
.
Die Prüfung der Rechtmäßigkeit, Begründung und Verhältnismäßigkeit der COVID-19-Maßnahmen durch die Gerichte bildete ein wichtiges Gegengewicht zu den Befugnissen der Regierung, Entscheidungen zu treffen, durch die die Grundrechte der Bürger unverhältnismäßig beeinträchtigt werden konnten. In
Estland
umfassen alle COVID-19-bezogenen Verordnungen der Regierung Informationen, wie sie rechtlich angefochten werden können, und Bürger haben in einigen Fällen die Verwaltungsgerichte angerufen. In
Deutschland
wurden die Maßnahmen einer umfassenden gerichtlichen Prüfung unterzogen, hauptsächlich durch die höheren Verwaltungsgerichte und Verfassungsgerichte der Bundesländer, wobei mehr als 6000 Rechtssachen bis Ende 2020 registriert wurden. In
Frankreich
urteilte der Staatsrat in zahlreichen Eilverfahren, in denen das Management der Pandemie durch die Regierung angefochten wurde, und ordnete eine Reihe von Maßnahmen oder Aussetzungen von Rechtsakten an, insbesondere in Zusammenhang mit den Grundrechten. In
Polen
befanden die Gerichte, dass bestimmte Maßnahmen rechtswidrig seien, da in der polnischen Verfassung ausdrücklich festgelegt sei, dass eine Einschränkung der Grundrechte und Grundfreiheiten ausschließlich unter dem Ausnahmezustand auferlegt werden könne (welcher nicht erklärt worden war).
Unabhängige Behörden spielten während der gesamten Pandemie eine aktive Rolle, indem sie die Auswirkungen bestimmter Maßnahmen auf die Grundrechte bewerteten und die Behörden darauf hinwiesen. In
Frankreich
prüfte die nationale Menschenrechtskommission COVID-19-Maßnahmen und veröffentlichte mehrere Stellungnahmen. In
Litauen
bewerteten parlamentarische Ombudspersonen, ob Notmaßnahmen mit den Grundrechten und Grundfreiheiten vereinbar waren. In
Irland
empfahl die irische Kommission für Menschenrechte und Gleichstellung, die COVID-19-Maßnahmen um kürzere Zeiträume zu verlängern sowie die Höchstdauer einer Verlängerung gesetzlich festzulegen.
Organisationen der Zivilgesellschaft waren von der Pandemie betroffen, und zwar nicht nur durch die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und Versammlungsfreiheit, sondern auch was die Finanzierung betrifft. Die Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Konzeption und Umsetzung der COVID-19-Maßnahmen war im Allgemeinen sehr begrenzt. In
Österreich
unternahm die Regierung Bemühungen, den Dialog mit der Zivilgesellschaft weiterzuentwickeln, insbesondere durch Konsultationen bezüglich der während der Pandemie gewährten Unterstützung.
In manchen Mitgliedstaaten führten die gewonnenen Erfahrungen bereits zu Überlegungen hinsichtlich (verfassungsrechtlicher) Änderungen, um auf künftige Krisen besser vorbereitet zu sein. In
Finnland
forderte der Ausschuss für Verfassungsrecht eine gründliche Überprüfung der Anordnung des Ausnahmezustands nach Ende der Pandemie. In
Schweden
wird ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, der prüfen soll, ob die Verfassung nach Ende der Pandemie um weitere Bestimmungen zum Ausnahmezustand ergänzt werden muss. In
Italien
schlug der Senat vor, einen speziellen Beratungsausschuss beider Kammern einzusetzen, um die zentrale Rolle des Parlaments in Notlagen sicherzustellen. In
Ungarn
werden durch eine Verfassungsänderung die Befugnisse der Regierung, was Regelungen für Sonderrechte betrifft, ab Juli 2023 begrenzt. Der verfassungsgemäße Ausnahmezustand, bei dem der Regierung umfassende Befugnisse gewährt werden, ist noch in Kraft und wird aufgehoben, wenn die Regierung beschließt, ihn zu beenden.
4.ENTWICKLUNGEN UND MASSNAHMEN AUF EU-EBENE ZUR RECHTSSTAATLICHKEIT
Im vergangenen Jahr stand die Rechtsstaatlichkeit weiterhin hoch auf der Agenda der EU. Auf die Veröffentlichung des ersten jährlichen Berichts über die Rechtsstaatlichkeit im September 2020 folgten wichtige Debatten im Europäischen Parlament und im Rat. Auch die Zivilgesellschaft und die Mitgliedstaaten, einschließlich der nationalen Parlamente, waren eingebunden. Diese Entwicklungen auf EU-Ebene können als schrittweise Konsolidierung des Rechtsstaatlichkeitsprozesses entlang mehrere Achsen gesehen werden: interinstitutioneller Dialog, Dialog mit und unter den Mitgliedstaaten, Dialog mit Interessengruppen und internationale Zusammenarbeit. Gleichzeitig wurden die Handlungen zur Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit beim EuGH fortgesetzt, wobei die Kommission ihre Aufgabe als Hüterin der Verträge über Vertragsverletzungsverfahren erfüllt. Auch das Instrumentarium der EU in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit wurde weiterentwickelt, nachdem eine Einigung über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des EU-Haushalts erreicht worden war.
Stärkung der interinstitutionellen Reaktion
Ein zentrales Ziel des Berichts über die Rechtsstaatlichkeit besteht in der Sensibilisierung und Förderung einer offenen Diskussion über Fragen der Rechtsstaatlichkeit unter den Mitgliedstaaten. Wie im Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020 dargelegt, ergab sich bei einer Überprüfung des jährlichen Dialogs des Rates zur Rechtsstaatlichkeit im Jahr 2019 ein breiter Konsens, diesen Dialog auf der Grundlage des Berichts der Kommission zu stärken. Daraufhin organisierte der Ratsvorsitz im Herbst 2020 einen zweistufigen Prozess, der eine horizontale Diskussion zu allgemeinen Entwicklungen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit sowie eine gesonderte länderspezifische Diskussion umfasste, bei der zunächst fünf Mitgliedstaaten auf der Grundlage des Berichts über die Rechtsstaatlichkeit betrachtet wurden. Im Frühjahr 2021 wurde der länderspezifische Dialog unter Einbeziehung von weiteren fünf Mitgliedstaaten fortgeführt. Dadurch wird ein jährlicher Zyklus für Diskussionen im Rat (Allgemeine Angelegenheiten) eingeführt. Der aktuelle Ratsvorsitz hat angekündigt, diesen Ansatz im zweiten Halbjahr 2021 fortzuführen. Die Diskussionen im Rat zeigen bislang ein klares Interesse der Mitgliedstaaten, sich über Entwicklungen und bewährte Verfahren auszutauschen sowie in inklusiver und konstruktiver Weise einen Beitrag zur Prävention von Problemen zu leisten. Gleichzeitig findet in verschiedenen Ratsformationen ein thematischer Austausch über Fragen der Rechtsstaatlichkeit statt, der auch den Austausch bewährter Verfahren umfasst.
Das Europäischen Parlaments spielt bei der Richtung der Debatte über die Rechtsstaatlichkeit eine immer wichtigere Rolle, ein Trend, der sich im vergangenen Jahr fortgesetzt hat. Im Oktober 2020 nahm das Parlament eine Entschließung an, in der die Kommission und der Rat aufgefordert wurden, Verhandlungen über eine interinstitutionelle Vereinbarung über die Stärkung der Werte der Union aufzunehmen. Die Kommission begrüßte die Entschließung und teilt die Auffassung des Europäischen Parlaments, dass eine Stärkung der Kapazitäten der EU für die Überwachung und Aufrechterhaltung der gemeinsamen Werte der EU wichtig ist. Der jährliche Bericht über die Rechtsstaatlichkeit spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle; dieser erstreckt sich auf Themen, die auch für andere Werte der EU wie Demokratie und Grundrechte von direkter Bedeutung sind, was wiederum mit der Arbeit zum Europäischen Aktionsplan für Demokratie bezüglich der Förderung der Charta der Grundrechte und der Förderung einer Union der Gleichheit verknüpft ist. Der sich zwischen den Institutionen entwickelnde Dialog zur Rechtsstaatlichkeit ist in diesem größeren Kontext zu sehen und wird in den kommenden Jahren weiter ausgebaut werden. Das Europäische Parlament nahm eine Entschließung an, in der es den Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020 begrüßt und gleichzeitig seine früheren Forderungen nach Verbesserungen wiederholt, insbesondere was die Aufnahme länderspezifischer Empfehlungen betrifft. Die Kommission begrüßt die Entschließung und wird diese bei der Ausarbeitung künftiger Berichte sorgfältig berücksichtigen. Die Kommission ist weiterhin bereit, den Dialog mit dem Europäischen Parlament zu vertiefen.
Mit Blick auf die Lage in einzelnen Mitgliedstaaten hat das Europäische Parlament im vergangenen Jahr Entschließungen zur Rechtsstaatlichkeit in Bulgarien, Malta und Polen angenommen. Die Gruppe zur Beobachtung der Wahrung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des Europäischen Parlaments spielt eine wichtige Rolle bei der Vertiefung der Debatte zur Rechtsstaatlichkeit im Europäischen Parlament. Die Überwachungsgruppe organisierte einen Meinungsaustausch zur Lage in Bulgarien, Malta, Polen, der Slowakei und Slowenien, zu einem besonderen Fall in Belgien und zur Beteiligung der Zivilgesellschaft in der EU. Sie hat zudem die Lage in der Union mit Blick auf COVID-19-bezogene Maßnahmen aktiv verfolgt.
Schließlich beteiligten sich auch der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss über seine Ad-hoc-Gruppe Grundrechte und Rechtstaatlichkeit sowie der Ausschuss der Regionen über seine Fachkommission für Unionsbürgerschaft, Regieren, institutionelle Fragen und Außenbeziehungen (CIVEX) am Dialog über die Rechtsstaatlichkeit auf EU-Ebene.
Stärkung des Dialogs mit den Mitgliedstaaten
Nach der Veröffentlichung des Berichts über die Rechtsstaatlichkeit 2020 wurden besondere Anstrengungen unternommen, um die Mitgliedstaaten einzubinden. Auf politischer Ebene spielen nationale Parlamente eine zentrale Rolle bei der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, und zwar sowohl als Gesetzgeber als auch in der Funktion, von der Exekutive Rechenschaft einzufordern. Im vergangenen Jahr besuchte die Kommission die meisten nationalen Parlamente, um die Methodik und die länderspezifischen Feststellungen des Berichts über die Rechtsstaatlichkeit 2020 vorzustellen und zu erörtern.
Überdies führte die Kommission bilaterale Treffen durch, darunter Dialoge auf politischer Ebene und technische Sitzungen, um Informationen über den aktuellen Stand zentraler Reformen als Folgemaßnahmen zu den Feststellungen des Berichts über die Rechtsstaatlichkeit 2020 einzuholen. Diese Kontakte waren im ersten Jahr auf wenige Mitgliedstaaten begrenzt, sie könnten künftig aber ein wichtigeres Merkmal werden.
Das Netzwerk der Kontaktstellen für Rechtsstaatlichkeit traf sich weiterhin regelmäßig und führte Vertreter aus allen Mitgliedsstaaten zusammen. Dieses Forum, dessen Schwerpunkt ursprünglich darauf lag, den Mechanismus und seine Methodik zu fördern, fungiert jetzt zunehmend als Kanal für die laufende Kommunikation mit und zwischen den Mitgliedstaaten für die Ausarbeitung des Berichts über die Rechtsstaatlichkeit. Darüber hinaus ist vorgesehen, dass diese Sitzungen immer mehr als Plattform für den Austausch bewährter Verfahren und von Informationen über geplante rechtsstaatlichkeitsbezogene Reformen zwischen den Mitgliedstaaten auf technischer Ebene dienen.
Stärkung des Dialogs mit Interessenträgern auf nationaler und EU-Ebene
Die Zivilgesellschaft ist ein wichtiger Partner für die EU bei ihrer Arbeit zur Förderung einer stärkeren europäischen Rechtsstaatlichkeitskultur. Im Zuge der Vorbereitung des Berichts richtete die Kommission Sitzungen aus, um die Entwicklungen im Bereich Rechtsstaatlichkeit mit Interessenträgern wie europäischen Netzwerken, nationalen und europäischen Organisationen der Zivilgesellschaft und Berufsverbänden zu erörtern. Organisationen der Zivilgesellschaft reichten überdies eine hohe Zahl an schriftlichen Beiträgen für den Bericht ein.
Im Mai 2021 wurde vom portugiesischen Ratsvorsitz zusammen mit der Europäischen Kommission die erste hochrangige Konferenz zur Rechtsstaatlichkeit in Coimbra ausgerichtet, die sich dem Thema Rechtsstaatlichkeit in Europa widmete und politische Entscheidungsträger, Organisationen der Zivilgesellschaft, europäische justizielle Netze, Wissenschaftlicher und Journalisten zusammenführte. Auf der Konferenz wurde eine Bestandsaufnahme der zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit in Europa unternommenen Bemühungen vorgenommen, und im Mittelpunkt standen die Rolle der Zivilgesellschaft, Herausforderungen im Zusammenhang mit der Kommunikation von Fragen der Rechtsstaatlichkeit sowie die Rechtsstaatlichkeit im Rahmen der Pandemie und der wirtschaftlichen Erholung.
Mit der starken Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Ausarbeitung dieses zweiten Berichts wird den Organisationen der Zivilgesellschaft auf nationaler Ebene Anerkennung gezollt, und die Verbindungen und Netzwerke über nationale Grenzen hinaus wurden weiter gestärkt. Die Kommission wird weiterhin Möglichkeiten prüfen, um die Zivilgesellschaft, berufliche Netzwerke und andere Interessenträger in der Debatte zur Rechtsstaatlichkeit auf nationaler und europäischer Ebene zu mobilisieren.
Stärkung der internationalen Zusammenarbeit
Die Rechtsstaatlichkeit ist für die EU auch über ihre Grenzen hinaus ein Leitprinzip. Die EU orientiert sich an den universellen Werten und Grundsätzen der UN-Charta und des Völkerrechts, einschließlich des humanitären Völkerrechts, und tritt weltweit nachdrücklich für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein, wie es den UN-Zielen für die nachhaltige Entwicklung entspricht. Das wird auch in ihrem neuen Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie 2020-2024 deutlich. Die EU wird weiterhin ein kohärentes Konzept bei ihrer Zusammenarbeit mit Bewerberländern und möglichen Bewerberländern, Ländern in der Nachbarschaft und bei allen Maßnahmen im Außenbereich auf bilateraler, regionaler und multilateraler Ebene verfolgen. Die EU befasst sich regelmäßig mit Fragen der Rechtsstaatlichkeit in Menschenrechtsdialogen mit Partnerländern und auf multilateraler Ebene, insbesondere mit den Vereinten Nationen.
Die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit auf globaler Ebene schließt eine Stärkung der Zusammenarbeit zu Fragen der Rechtsstaatlichkeit mit internationalen und regionalen Organisationen ein. Die Bewertungen spezialisierter internationaler Stellen sind als wichtige Beiträge in die Analyse der Kommission eingeflossen, und eine engere Zusammenarbeit und der Austausch haben dazu beigetragen, das Verständnis der Kommission für die Lage in den Mitgliedstaaten zu vertiefen. Auf technischer Ebene haben sich Kontakte zwischen den Kommissionsdienststellen und den verschiedenen Stellen des Europarats zu einem regulären Element bei der Erstellung des Berichts entwickelt.
Ziel der Kommission ist eine weitere Stärkung dieses Schlüsselelements für ihre Arbeit im Bereich Rechtsstaatlichkeit, wobei sie auf ihren engen Beziehungen mit dem Europarat und anderen internationalen Stellen aufbaut. Am 26. Januar 2021 stellte die Kommission den Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2020 vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats vor. Darüber hinaus hat die Kommission an von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) organisierten Veranstaltungen teilgenommen, auf denen die unter den Rechtsstaatlichkeitsmechanismus fallende Themen vorgestellt und erörtert wurden.
Sonstige institutionelle Entwicklungen in Zusammenhang mit der Rechtsstaatlichkeit
Der EuGH hat seine Rechtsprechung zur Rechtsstaatlichkeit weiterentwickelt, insbesondere was die Anforderung des Vertrags betrifft, dass die Mitgliedstaaten für die erforderlichen Rechtsbehelfe sorgen müssen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist, wobei der EuGH die Garantien für die Unabhängigkeit der Justiz nach dem Unionsrecht weiter geklärt hat. Über den Mechanismus der Vorabentscheidungen legten die nationalen Gerichte weiterhin für die Rechtsstaatlichkeit relevante Fragen dem EuGH vor. Dieser entschied über Vorabentscheidungsersuchen zu rechtsstaatlichkeitsbezogenen Fragen von Gerichten aus Malta, Polen, den Niederlanden und Rumänien. Diese Urteile bezogen sich insbesondere auf Verfahren zur Ernennung von Richtern, die Ausführung von Europäischen Haftbefehlen bei anhaltenden Mängeln bezüglich der Unabhängigkeit der Justiz in einem Mitgliedstaat, die Disziplinarregelung für Richter, die persönliche Haftung von Richtern, die Einrichtung einer Sonderstaatsanwaltschaft für Ermittlungen gegen Richter und den Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts.
Darüber hinaus hat die Kommission durch die Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren weiterhin ihre Funktion als Hüterin der EU-Verträge wahrgenommen. In einigen speziellen Fällen hat die Kommission beim EuGH beantragt, einstweilige Maßnahmen anzuordnen, um nicht behebbare Schäden zu vermeiden.
Neben Vertragsverletzungsverfahren, die darauf abzielen, konkreten Verstößen gegen das Unionsrecht zu begegnen, ist in Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union das allgemeinere Verfahren zur Wahrung der gemeinsamen Werte der Union, zu der die Rechtsstaatlichkeit zählt, vorgesehen. Der Rat ist weiter mit zwei Verfahren befasst, die 2017 von der Kommission gegen Polen bzw. 2018 vom Europäischen Parlament gegen Ungarn zur Feststellung der eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Werte der Union eingeleitet wurden. Im September 2020 informierte die Kommission den Rat über die aktuellen Entwicklungen in den von den mit Gründen versehenen Vorschlägen abgedeckten Bereichen. Im Juni 2021 führte der Rat Anhörungen für Ungarn und Polen durch.
Die Rechtsstaatlichkeit ist eine Voraussetzung für die ordnungsgemäße Verwaltung von EU-Mitteln, und im Mai 2018 schlug die Kommission vor, ihren Vorschlägen für den neuen Haushaltsrahmen einen legislativen Vorschlag für einen speziellen Mechanismus zum Schutz der EU-Mittel vor Risiken beizufügen, die auf Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit in einzelnen Mitgliedstaaten zurückzuführen sind. Die darauf zurückgehende Verordnung wurde im Dezember 2020 angenommen. Die Kommission setzt sich uneingeschränkt für die Umsetzung der Verordnung ein und befasst sich aktiv mit ihrer konkreten Anwendung. Die Kommission konsultiert zurzeit das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten zu Leitlinien, in denen detaillierter dargelegt wird, wie die Kommission beabsichtigt, die Verordnung in der Praxis anzuwenden. Gleichzeitig hat die Kommission begonnen, mögliche Fälle zu überwachen. Die Verordnung gilt seit 1. Januar 2021 und für jeden Verstoß, der ab diesem Tag stattfindet.
Am 1. Juni 2021 nahm die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA) ihre Tätigkeit auf; in ihre Zuständigkeit fallen die Ermittlung, strafrechtliche Verfolgung und Anklageerhebung bei Betrug und anderen Straftaten bezüglich des EU-Haushalts, wodurch die Funktion des Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) ergänzt wird. Die EUStA führt strafrechtliche Ermittlungen durch, ergreift Strafverfolgungsmaßnahmen und nimmt vor den zuständigen Gerichten der teilnehmenden Mitgliedstaaten die Aufgaben der Staatsanwaltschaft wahr, bis das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Die in diesem Bericht analysierte Wirksamkeit der nationalen Justizsysteme ist ein entscheidender Faktor, um dafür Sorge zu tragen, dass die Verfahren zum Abschluss gebracht werden und wirksame Sanktionen Anwendung finden.
Die Rechtsstaatlichkeit spielt auch bei der Umsetzung der Aufbau- und Resilienzfazilität eine zentrale Rolle. Die Aufbau- und Resilienzpläne der Mitgliedstaaten umfassen wichtige Reformprinzipien, wie die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen durch wirksame öffentliche Verwaltungen und Justizsysteme. Überdies bietet die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten technische Unterstützung, die insbesondere über das Instrument für technische Unterstützung bereitgestellt wird, um die Effizienz, Qualität und Unabhängigkeit der öffentlichen Verwaltungen und Justizsysteme zu verbessern.
5.SCHLUSSFOLGERUNGEN UND NÄCHSTE SCHRITTE
Die COVID-19-Pandemie hat die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit für unsere Demokratien, unsere Grundrechte und den Alltag der europäischen Bürger erneut deutlich gemacht. Sie ist auch als Stresstest für die Rechtsstaatlichkeit zu sehen. Die in der Pandemie gewonnenen Erfahrungen zeigen, dass die nationalen Systeme im Allgemeinen eine starke Resilienz aufweisen, zugleich aber waren einige spezifischen Bereiche exponiert und in diesen geriet die Rechtsstaatlichkeit unter Druck. Die Rechtsstaatlichkeit ist eine wichtige Komponente für die Krisenvorsorge.
Im vorliegenden Bericht konnten viele positive Entwicklungen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten aufgezeigt werden, in denen zu zuvor ermittelten Herausforderungen Folgemaßnahmen ergriffen worden waren. Darüber hinaus wird deutlich, wo Herausforderungen und Bedenken, die bisweilen schwerwiegend sind, weiter bestehen oder sich verstärkt haben. Die Kommission begrüßt die von fortgesetztem Engagement und Zusammenarbeit gekennzeichnete Beteiligung aller Mitgliedstaaten sowie die Bereitschaft, in einen Dialog über sensible Themen einzutreten.
Die Annahme des Berichts über die Rechtsstaatlichkeit 2021 leitet einen neuen Zyklus des Dialogs und der Überwachung ein. Die Kommission ersucht den Rat und das Europäische Parlament, allgemeine und länderspezifische Diskussionen auf der Grundlage dieses Berichts zu führen, sowie die nationalen Parlamente und andere wichtige Akteure, die nationalen Debatten zu vertiefen. Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten auf, den in dem Bericht ermittelten Herausforderungen wirksam Rechnung zu tragen, und ist bereit, die Mitgliedstaaten bei diesen Bemühungen zu unterstützen. Die Mitgliedstaaten und die EU setzen sich gemeinsam dafür ein, die Rechtsstaatlichkeit zu schützen, zu fördern und zu stärken und zu einem lebendigen Element unserer politischen Kultur zu machen.
Die Kommission sieht der Fortführung des Dialogs mit wichtigen Akteuren für die Rechtsstaatlichkeit erwartungsvoll entgegen. Die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit sowie Demokratie und Menschenrechte werden von den europäischen Bürgerinnen und Bürger als eine der größten Stärken der EU gesehen. Dies dient allen Mitgliedstaaten und EU-Organen als Orientierungshilfe für ein verantwortungsvolles Handeln bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben.