14.12.2020 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 433/36 |
Vorabentscheidungsersuchen der Corte suprema di cassazione (Italien), eingereicht am 30. September 2020 — Randstad Italia SpA/Umana SpA u. a.
(Rechtssache C-497/20)
(2020/C 433/45)
Verfahrenssprache: Italienisch
Vorlegendes Gericht
Corte suprema di cassazione
Parteien des Ausgangsverfahrens
Kassationsbeschwerdeführerin: Randstad Italia SpA
Kassationsbeschwerdegegnerinnen: Umana SpA, Azienda USL Valle d’Aosta, IN. VA SpA, Synergie Italia agenzia per il lavoro SpA
Vorlagefragen
1. |
Stehen Art. 4 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 1 EUV sowie Art. 2 Abs. 1 und 2 und Art. 267 AEUV, auch im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, einer Auslegungspraxis wie jene betreffend Art. 111 Abs. 8 der Verfassung, Art. 360 Abs. 1 Nr. 1 und Art. 362 der Zivilprozessordnung sowie Art. 110 der Verwaltungsprozessordnung — soweit diese Bestimmungen die Kassationsbeschwerde gegen Urteile des Consiglio di Stato (Staatsrat) aus „Gründen, welche die Gerichtsbarkeit betreffen“ zulassen — entgegen, die aus dem Urteil der Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof) Nr. 6/2018 und der nachfolgenden nationalen Rechtsprechung hervorgeht, die in Abänderung der bisherigen Rechtsprechungslinie entschieden hat, dass das Rechtsmittel der Kassationsbeschwerde hinsichtlich der sogenannten „fehlenden Gerichtsbarkeit“ nicht zur Anfechtung von Urteilen des Consiglio di Stato (Staatsrat) erhoben werden kann, die auf nationaler Ebene entwickelten Auslegungspraktiken folgen, die in Widerspruch zu Urteilen des Gerichtshofs in unionsrechtlich geregelten Bereichen (im vorliegenden Fall, in Bezug auf der Vergabe öffentlicher Aufträge), in denen die Mitgliedstaaten auf die mit diesem Recht unvereinbare Ausübung ihrer Hoheitsrechte verzichtet haben, stehen, wodurch entgegen dem Erfordernis, dass das Unionsrecht unter Berücksichtigung der Beschränkung der „Verfahrensautonomie“ der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung von prozessualen Rechtsinstituten von jedem Gericht vollständig und umgehend, in verbindlicher Weise und in Übereinstimmung mit seiner korrekten Auslegung durch den Gerichtshof anzuwenden ist, Verstöße gegen das Unionsrecht, die mit dem zuvor genannten Rechtsmittel korrigiert werden könnten, verfestigt werden sowie die einheitliche Anwendung des Unionsrechts und der wirksame gerichtliche Rechtsschutz subjektiver, unionsrechtlich relevanter Rechtspositionen gefährdet werden? |
2. |
Stehen Art. 4 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 1 EUV sowie Art. 267 AEUV, auch im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, einer Auslegung und Anwendung von Art. 111 Abs. 8 der Verfassung, Art. 360 Abs. 1 Nr. 1 und Art. 362 der Zivilprozessordnung sowie Art. 110 der Verwaltungsprozessordnung entgegen, die aus der nationalen Rechtsprechungspraxis hervorgeht, nach der die Kassationsbeschwerde vor den Vereinigten Senaten aus „Gründen, welche die Gerichtsbarkeit betreffen“ hinsichtlich der sogenannten „fehlenden Gerichtsbarkeit“ nicht zur Anfechtung von Urteilen des Consiglio di Stato (Staatsrat) erhoben werden kann, die bei der Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über die Anwendung des Unionsrechts betreffende Fragen die Vorlage an den Gerichtshof ohne Begründung unterlassen, ohne dass die von diesem (ausgehend vom Urteil vom 6. Oktober 1982, Cilfit, C-238/81) abschließend aufgestellten und eng auszulegenden Voraussetzungen, die das nationale Gericht von der oben genannten Pflicht befreien, vorlägen, was in Widerspruch zu dem Grundsatz steht, nach dem nationale, wenn auch gesetzliche oder verfassungsrechtliche Verfahrensvorschriften oder -praktiken mit dem Unionsrecht unvereinbar sind, die vorsehen, dass dem (letztinstanzlichen oder einem anderen) nationalen Gericht — auch vorübergehend — die Freiheit zur Vorlage entzogen wird, wodurch die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofs zur richtigen und verbindlichen Auslegung des Unionsrechts beschnitten wird, sich die etwaige zum Unionsrecht in Widerspruch stehende Auslegung des vom nationalen Gericht angewandten Rechts nicht ausräumen lässt (und deren Verfestigung begünstigt wird) sowie die einheitliche Auslegung und die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes für subjektive, sich aus dem Unionsrecht ergebende Rechtspositionen beeinträchtigt werden? |
3. |
Sind die vom Gerichtshof in den Urteilen vom 5. September 2019, Lombardi, C-333/18, vom 5. April 2016, PFE, C-689/13 und vom 4. Juli 2013, Fastweb, C-100/12 hinsichtlich Art. 1 Abs. 1 und 3 sowie Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/665/EWG (1) in der Fassung der Richtlinie 2007/66/EG (2) aufgestellten Grundsätze auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar, in dem der Consiglio di Stato (Staatsrat), nachdem die Wettbewerberin den Ausschluss von einem Vergabeverfahren und die Auftragsvergabe an ein anderes Unternehmen beanstandet hat, in der Sache nur den Klagegrund, mit dem das ausgeschlossene Unternehmen die für sein technisches Angebot vergebene, unter der „Sperrschwelle“ liegende Punktzahl beanstandet, prüft und vorrangig die Anschlussberufungen des öffentlichen Auftraggebers und der Zuschlagsempfängerin prüft und diesen stattgibt sowie die anderen Hauptklagegründe, die das Ergebnis des Vergabeverfahrens aus anderen Gründen (Unbestimmtheit der Kriterien für die Beurteilung der Angebote im Lastenheft; fehlende Begründung der vergebenen Bewertung; rechtswidrige Ernennung und Zusammensetzung des Vergabeausschusses) beanstanden, für unzulässig erklärt (und deren Prüfung in der Sache unterlässt), und zwar in Anwendung einer nationalen Rechtsprechungspraxis, nach der das von einem Vergabeverfahren ausgeschlossene Unternehmen nicht zur Geltendmachung von Rügen zur Anfechtung der Auftragsvergabe an die Wettbewerberin — auch durch Nichtigerklärung des Vergabeverfahrens — legitimiert sei, da zu prüfen wäre, ob die Wirkung, dass dem Unternehmen das Recht verwehrt wird, dem Gericht jedweden Grund für die Anfechtung des Ergebnisses des Vergabeverfahrens zur Prüfung vorzulegen, mit dem Unionsrecht in einer Situation vereinbar ist, in der der Ausschluss des Unternehmens nicht endgültig festgestellt wurde und sich jeder Wettbewerber auf ein äquivalentes berechtigtes Interesse am Ausschluss des Angebots der jeweils anderen berufen kann, was zu der Feststellung, dass es dem öffentlichen Auftraggeber unmöglich ist, ein ordnungsgemäßes Angebot auszuwählen, sowie zur Einleitung eines neuen Vergabeverfahrens führen kann, an dem jeder Bieter teilnehmen könnte? |
(1) Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. 1989, L 395, S. 33).
(2) Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge (ABl. 2007, L 335, S. 31).