Mehr Trennungen im Winter Paarberaterin: «An Weihnachten ist ein gewisser Druck spürbar»

Bruno Bötschi

25.12.2023

Der Netflix-Film «A Marriage Story» mit Scarlett Johansson und Adam Driver in den Hauptrollen zeigt, was passiert, wenn die Karrierepläne eines Paares zum Ende der Ehe führen.
Der Netflix-Film «A Marriage Story» mit Scarlett Johansson und Adam Driver in den Hauptrollen zeigt, was passiert, wenn die Karrierepläne eines Paares zum Ende der Ehe führen.
Bild: Netflix

Vor Weihnachten kommt es statistisch gesehen vermehrt zu Trennungen. Wieso scheitern so viele Beziehungen gerade vor dem Fest der Liebe? Die Paar- und Sexualberaterin Bettina Disler weiss Rat.

Bruno Bötschi

Bettina Disler, gehen Sie gerne zur Arbeit?

Sehr. Weshalb fragen Sie mich das?

Ich denke, dass man in seinem Beruf mit glücklicheren Menschen zu tun haben kann, als mit Paaren, die mit Beziehungsproblemen zu einem kommen.

Fakt ist, die Paare, die zu mir kommen, streben eine Veränderung in ihrer Beziehung an. Sie wollen ein Problem lösen und das finde ich extrem spannend – auch deshalb, weil sie Ziele haben und die Motivation entsprechend gross ist. Menschen auf ihrem Weg zu begleiten finde ich etwas vom Schönsten in meinem Beruf.

Stimmt es, dass sich Ende Herbst, also kurz vor Weihnachten, mehr Paare als üblich trennen?

Ich führe keine Statistiken darüber. Ich stelle aber schon auch fest, dass kurz nach den Sommerferien und um die Weihnachtstage ein gewisser Druck spürbar ist.

Es gibt sogar Studien, die das belegen. Sozialpsycholog*innen ermittelten über einen längeren Zeitraum in Facebook-Profilen den Beziehungsstatus. Sie stellten dabei fest, dass es um Weihnachten eine eigentliche Trennungswelle gibt.

Zur Person: Bettina Disler
Bild: zVg

Bettina Disler ist systemische Paar- und Sexualberaterin und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung (DGfs). Nach ihrem Regiestudium an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und an der New York Film Academy (NYFA) inszenierte sie Opern sowie zahlreiche Filme. Später folgten ein Masterstudiengang in sexueller Gesundheit an der Hochschule für soziale Arbeit Luzern (HSLU) sowie zahlreiche Weiterbildungen. Disler lebt und arbeitet in Zürich.

Oftmals wollen Paare während der Sommerferien der gemeinsamen Beziehung noch einmal eine Chance geben und kommen dann doch zur Erkenntnis, dass die Lebensgemeinschaft keine Zukunft mehr hat. Die Trennung anfangs Winter ist zwangsläufig die Konsequenz davon – aber bevor es so weit ist, wollen es manche Paare noch mit einer Paartherapie versuchen. Sozusagen als allerletzte Chance.

Wie schaffen Sie es, während einer Beratung neutral zu bleiben und Distanz zu wahren?

Es gehört zu meinem Rollenverständnis als Paartherapeutin immer neutral zu bleiben. Für mich steht vielmehr im Vordergrund gemeinsam die Ziele der Menschen, die bei mir Rat suchen, zu erreichen.

Wahrscheinlich kennt jede*r das aus dem eigenen Freund*innenkreis: Das Gefühl, dass eine Person zu lange in einer toxischen Beziehung ausharrt, das Bedürfnis, dieser Person zu sagen: Tu dir das doch nicht länger an, das führt doch zu nichts. Wie gehen Sie als Paartherapeutin mit solchen Verhältnissen um?

Es kommt immer wieder vor, dass ich Paare darüber aufkläre, dass eine Paartherapie nicht in jedem Fall dazu führt, dass man zusammenbleibt – es kann auch sein, dass am Ende eine Trennung steht. Paarberatung ist ein Ausloten zwischen Zusammenbleiben und Auseinandergehen.

Was löst der Hinweis auf eine mögliche Trennung bei ihren Klient*innen aus?

Manche Paare erschrecken, andere sagen: «Deswegen sind wir ja hier.» Oft wird dann auch die Frage diskutiert, in welcher Partnerschaft die Trennung erfolgen soll. Paare, die zusammen Kinder haben, bleiben ihr Leben lang Eltern. In der Elternpartnerschaft kann man sich also nicht trennen, in der Liebes- und Sexualpartnerschaft hingegen schon.

Wenn Sie auf Ihre über 10-jährige Erfahrung als Paar- und Sexualberaterin zurückschauen: Verlaufen Trennungen heute anständiger als früher?

Diese Frage kann ich so nicht beantworten. Was mir beim Thema Trennung aber immer wieder auffällt: In vielen Fällen beurteilen die Partner*innen die aktuelle Beziehungssituation unterschiedlich.

Wie meinen Sie das?

Ich mache Ihnen ein Beispiel: Während jemand sich schon viele Gedanken über eine mögliche Trennung gemacht hat, hinkt die andere Person hinterher, glaubt gar, es sei noch alles wie früher. In so einer Situation ist es unabdingbar, dass die Person, die sich trennen will, nicht mehr länger wartet und den Schritt dazu wahrnimmt.

Viele Studien zeigen, dass sich fast jede*r die grosse Liebe wünscht, die für immer hält. Trotzdem klappt es so oft nicht. Warum?

Interessanter wäre doch zu schauen, warum es bei einigen eben doch klappt. Was ich zudem beobachte ist, dass immer mehr jüngere Menschen davon überzeugt sind, dass es die grosse Liebe nicht gibt. Einige sehen deshalb die Lösung darin, mehrere Personen gleichzeitig zu lieben, also im sogenannten polyamoren Beziehungsmodell.

Ich behaupte jetzt mal frech: Mehr Menschen in einer Beziehung gleich mehr Probleme.

Das haben Sie jetzt aber gesagt. Aus meiner Praxiserfahrung kann ich sagen, das polyamore Beziehungsmodell ist sicher nicht einfacher zu handhaben als das monogame. Genauso wie auch eine offene Beziehung oder das Swinger-Modell viele Herausforderungen mit sich bringen.

Gibt es in der Liebe überhaupt jemals Sicherheit?

Nein. Im Leben ist nichts ist für immer und ewig gemacht. Aber genau das ist es ja, was das Leben so besonders aufregend macht.

Glauben Sie persönlich noch an das Konzept Ehe?

Ich glaube an das Konzept der Liebe und bin ein grosser Fan davon.

Jede Trennung ist anders – haben Sie trotzdem Tipps, wie Frau oder Mann am besten mit einer Trennung umgehen sollten?

Ganz wichtig ist, dass die Betroffenen in sich gehen und überlegen, welchen Teil sie in die Beziehung eingebracht haben und welchen nicht.

Selbstkritik ist demnach gefragt.

So ist es. Eine Beziehung besteht immer aus zwei oder mehreren Beteiligten. Natürlich kann ich behaupten, mein Gegenüber trage die ganze Schuld an der aktuellen Misere, aber dem ist eben nur in wenigen Fällen wirklich so.

Sie erleben es in Ihrer Praxis sicher immer wieder, dass sich einer der beiden Partner auf die Opferrolle spezialisiert.

Es ist einfach die Opferposition einzunehmen und zu behaupten, die andere Person sei an allem Schuld, statt zu versuchen ebenfalls Verantwortung zu übernehmen und sich einzugestehen, dass man auch seinen Anteil an der Situation beigetragen hat.

Wurden Sie auch schon einmal verlassen?

Ja. Ich wurde einmal geghostet.

Wie bitte?

Ich hatte einen Partner, der von einem Tag auf den anderen aus meinem Leben verschwand – und zwar auf Nimmerwiedersehen. Damals wusste ich allerdings noch nicht, dass es einmal einen Begriff dafür geben würde.

Zurück zum Thema «Weihnachten und Trennungen»: Wie ist die aktuelle Lage in Ihrer Praxis?

Natürlich gibt es Paare, die jetzt zu mir kommen, weil sie sagen, es sei fünf vor zwölf Uhr, manche betonen auch es sei fünf nach. Aber ich habe eben auch Paare, die seit Jahren regelmässig zu mir kommen …

… weil die Krise nie vorbei geht?

Nein (lacht). Die Paare kommen alle paar Monate regelmässig vorbei, weil sie verhindern wollen je wieder in eine schwere Krise zu geraten.

Wie oft kommen solche Paare zu Ihnen?

Ein- bis viermal im Jahr.

Sind es nach wie vor die Frauen, die mehrheitlich den Anstoss für eine Paartherapie geben?

Das würde ich so nicht sagen – in meiner Praxis ist das Verhältnis ziemlich ausgeglichen.

Kann man aus einer Beziehung etwas für die Nächste lernen?

Unbedingt. Nur tun dies nicht alle auf Anhieb.

Mein Fazit von unserem heutigen Gespräch: Eine Beziehung führen zu können ist demnach nicht selbstverständlich.

So ist es – eine Beziehung zu führen ist eine Kunst und im besten Fall tut man dies mit viel Liebe.


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