ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu dem Abbau der Demokratie und den Gefahren für den politischen Pluralismus in Georgien
4.10.2024 - (2024/2822(RSP))
gemäß Artikel 136 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Rasa Juknevičienė, Michael Gahler, Andrzej Halicki, Sebastião Bugalho, David McAllister, Željana Zovko, Nicolás Pascual De La Parte, Isabel Wiseler‑Lima, Antonio López‑Istúriz White, Wouter Beke, Daniel Caspary, Sandra Kalniete, Ondřej Kolář, Andrey Kovatchev, Andrius Kubilius, Miriam Lexmann, Vangelis Meimarakis, Ana Miguel Pedro, Davor Ivo Stier, Michał Szczerba, Ingeborg Ter Laak, Matej Tonin, Milan Zver
im Namen der PPE-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B10-0070/2024
B10‑0079/2024
Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Abbau der Demokratie und den Gefahren für den politischen Pluralismus in Georgien
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Georgien,
– unter Hinweis auf die gemeinsame Erklärung des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und des für Nachbarschaft und Erweiterung zuständigen Mitglieds der Kommission vom 17. April 2024 zu der Annahme des Gesetzes über die Transparenz der Einflussnahme aus dem Ausland,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Hohen Vertreters vom 18. September 2024 zu dem Gesetz Georgiens über die Werte der Familie und den Schutz Minderjähriger,
– unter Hinweis auf die Erklärung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) vom 4. April 2024 zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Transparenz der Einflussnahme aus dem Ausland,
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 14. und 15. Dezember 2023,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 8. November 2023 mit dem Titel „Mitteilung 2023 über die Erweiterungspolitik der EU“ (COM(2023)0690),
– unter Hinweis auf das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Georgien andererseits[1],
– unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte,
– unter Hinweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention,
– unter Hinweis auf die gemeinsame Erklärung des Vorsitzenden des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, der Vorsitzenden der Delegation für die Beziehungen zum Südkaukasus und des Ständigen Berichterstatters des Europäischen Parlaments für Georgien vom 18. April 2024 zu der erneuten Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes über die Transparenz der Einflussnahme aus dem Ausland in Georgien,
– gestützt auf Artikel 136 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit und auf freie Meinungsäußerung, der Vereinigungsfreiheit und des Rechts, sich friedlich zu versammeln, ein in der Verfassung Georgiens verankertes Grundrecht ist;
B. in der Erwägung, dass sich Georgien als Unterzeichnerstaat der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie als Mitglied des Europarates und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa dazu verpflichtet hat, die Grundsätze der Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit sowie die Grundfreiheiten und die Menschenrechte zu achten;
C. in der Erwägung, dass Artikel 78 der Verfassung Georgiens vorsieht, dass die Verfassungsorgane im Rahmen ihrer Zuständigkeit alle Maßnahmen ergreifen, um die vollständige Integration Georgiens in die Europäische Union und die Nordatlantikvertrags-Organisation sicherzustellen;
D. in der Erwägung, dass die EU von Georgien, einem Bewerberland für den EU-Beitritt, erwartet, dass es das Assoziierungsabkommen und andere internationale Verpflichtungen, die es eingegangen ist, uneingeschränkt einhält und insbesondere die Voraussetzungen erfüllt und die Maßnahmen durchführt, die in der Empfehlung der Kommission vom 8. November 2023 dargelegt sind; in der Erwägung, dass der Europäische Rat beschlossen hat, Georgien den Status eines Bewerberlands nur unter der Voraussetzung zuzuerkennen, dass das Land die besagten Maßnahmen ergreift, darunter die Bekämpfung von gegen die EU und ihre Werte gerichteter Desinformation und Einmischung, die Einbeziehung der Oppositionsparteien und der Zivilgesellschaft in die Staatsführung, die Gewährleistung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie die substanzielle Konsultation der Zivilgesellschaft und deren Mitwirkung an gesetzgeberischen und politischen Entscheidungen und die Gewährleistung der uneingeschränkten Betätigung der Zivilgesellschaft;
E. in der Erwägung, dass das Parlament Georgiens am 20. Februar 2024 Änderungen des Wahlgesetzes angenommen hat, mit denen das Verfahren für die Wahl des Vorsitzenden und der sogenannten professionellen Mitglieder der Zentralen Wahlkommission geändert und das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden, das von einem Vertreter der Opposition besetzt wird, abgeschafft wurde;
F. in der Erwägung, dass das Parlament Georgiens am 4. April 2024 Änderungen am Wahlgesetz des Landes angenommen und verbindliche parlamentarische Quoten für Frauen abgeschafft hat, wonach mindestens jeder vierte Kandidat auf einer Parteiliste ein anderes Geschlecht haben musste als die Mehrheit der Kandidaten;
G. in der Erwägung, dass das Parlament Georgiens am 28. Mai 2024 das sogenannte Gesetz über die Transparenz der Einflussnahme aus dem Ausland angenommen hat, wonach nichtstaatliche Organisationen, die mindestens 20 % ihrer Finanzmittel aus dem Ausland erhalten, sich binnen zwei Monaten als „Organisationen, die die Interessen einer ausländischen Macht verfolgen“ registrieren lassen und sich selbst so bezeichnen müssen; in der Erwägung, dass diese Organisationen zusätzlichen Kontroll- und Berichterstattungspflichten unterliegen und unter Umständen Sanktionen, darunter auch Geldbußen in Höhe von bis zu 25 000 GEL (Anfang Oktober 2024 etwa 8 320 EUR), gegen sie verhängt werden könnten; in der Erwägung, dass durch das Gesetz die Möglichkeiten der Medien und der Organisationen der Zivilgesellschaft, sich uneingeschränkt zu betätigen, erheblich eingeschränkt werden; in der Erwägung, dass infolge der Annahme dieses Gesetzes die finanzielle Unterstützung der EU für Georgien ausgesetzt wurde;
H. in der Erwägung, dass die USA am 6. Juni 2024 wegen der Annahme des sogenannten Gesetzes über ausländische Agenten Visabeschränkungen gegen Dutzende Amtsträger Georgiens verhängt haben;
I. in der Erwägung, dass der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Kongresses der USA am 11. Juli 2024 eine Rechtsvorschrift mit Sanktionen gegen Georgien angenommen hat, die als Megobari-Gesetz bezeichnet wird und mit der Sanktionen gegen Amtsträger Georgiens verhängt werden, die für die Schwächung des demokratischen Systems des Landes verantwortlich sind;
J. in der Erwägung, dass das Parlament Georgiens am 17. September 2024 ein Gesetz über die Werte der Familie und den Schutz Minderjähriger angenommen hat, mit dem die LGBTI-Gemeinschaft ihrer Rechte beraubt wird, Pride-Veranstaltungen verboten werden und das öffentliche Zurschaustellen der Regenbogenflagge untersagt wird;
K. in der Erwägung, dass in Georgien am 26. Oktober 2024 eine Parlamentswahl stattfinden soll; in der Erwägung, dass sich die Partei „Georgischer Traum“ zunehmend antiwestlich und feindselig gegenüber den demokratischen Partnern Georgiens geriert und auch Desinformation und Manipulation aus Russland immer mehr Vorschub geleistet wird; in der Erwägung, dass die Partei „Georgischer Traum“ glauben machen will, der Westen wäre eine „globale Kriegspartei“, die versuche, Georgien wieder in einen Krieg gegen Russland zu drängen;
L. in der Erwägung, dass der führende Kopf der Partei „Georgischer Traum“, Bidsina Iwanischwili, am 28. August 2024 beim Wahlkampfauftakt seiner Partei darüber sprach, es sei ihm ein Anliegen, Parteien der demokratischen Opposition zu verbieten; in der Erwägung, dass Ministerpräsident Irakli Kobachidse ihm beipflichtete, als er erklärte, der Georgische Traum werde, wenn er im Parlament Georgiens die Mehrheit erringe, bestimmte Oppositionsparteien verbieten;
1. verurteilt aufs Schärfste die Annahme des Gesetzes über die Transparenz ausländischer Einflussnahme und des Gesetzes über die Werte der Familie und den Schutz Minderjähriger sowie die Änderungen des Wahlgesetzes; betont, dass diese Vorgänge nicht mit den Werten und demokratischen Grundsätzen der EU vereinbar sind, den Bestrebungen Georgiens im Hinblick auf seine EU-Mitgliedschaft zuwiderlaufen, dem Ansehen Georgiens auf internationaler Ebene schaden und die euro-atlantische Integration des Landes gefährden; betont nachdrücklich, dass im Hinblick auf die Beziehungen Georgiens zur EU keine Fortschritte erzielt werden können, solange die vorstehend genannten Rechtsvorschriften nicht wieder aufgehoben werden; bedauert, dass in Georgien – einem Land, das einstmals ein Vorbild bei Fortschritten in den Bereichen Demokratie und euro-atlantische Bestrebungen war – seit geraumer Zeit im freien Fall Rückschritte bei der Demokratie macht;
2. erwartet, dass der Georgische Traum den Willen und die freie Entscheidung des georgischen Volkes bei der bevorstehenden Parlamentswahl respektiert und bei einer Wahlniederlage die Macht friedlich abgibt; fordert, dass der Georgische Traum und seine Führung die Opposition, die Zivilgesellschaft und unabhängige Medien mit sofortiger Wirkung keinerlei Gewalt, Einschüchterung, Hetze, strafrechtlichen Verfolgung und Unterdrückung mehr aussetzen;
3. ist der festen Überzeugung, dass die EU in Erwägung ziehen sollte, ihre mit Georgien vereinbarte Regelung für visumfreies Reisen vorübergehend auszusetzen, solange in Georgien die Durchführung von Wahlen mit den anerkannten internationalen Normen unvereinbar und die Erfüllung der Vorgaben für die Visaliberalisierung, insbesondere im Bereich Grundrechte, fraglich ist;
4. ist zutiefst davon überzeugt, dass die bevorstehende Wahl von entscheidender Bedeutung dafür ist, wie sich die Demokratie in Georgien in der Folge entwickelt, wie sich das Land künftig geopolitisch ausrichtet und ob es fortan noch in der Lage ist, Fortschritte als Bewerberland zu erzielen; ist der Ansicht, dass das Ergebnis der Wahl in Georgien es dem Land ermöglichen sollte, zu seiner prowestlichen Agenda für die Demokratie zurückzukehren, die notwendigen Reformen durchzuführen und Beitrittsverhandlungen mit der EU aufzunehmen;
5. bekräftigt seine unerschütterliche Unterstützung für die legitimen europäischen Bestrebungen der Bevölkerung Georgiens und ihren Wunsch, in einem wohlhabenden Land ohne Korruption zu leben, das die Grundfreiheiten uneingeschränkt achtet, die Menschenrechte schützt und eine offene Gesellschaft und unabhängige Medien garantiert; betont, dass die Entscheidung, Georgien den Status eines Bewerberlandes zuzuerkennen, auf dem Wunsch beruhte, die Errungenschaften und die demokratischen Bestrebungen der Zivilgesellschaft Georgiens sowie die überwältigende Unterstützung seiner Bürgerinnen und Bürger für den EU-Beitritt des Landes zu würdigen; honoriert die Bemühungen der georgischen Präsidentin Salome Surabischwili, Georgien auf den Pfad der demokratischen und proeuropäischen Entwicklung zurückzuführen;
6. missbilligt die persönliche Rolle, die Georgiens einziger Oligarch Bidsina Iwanischwili, der am 30. Dezember 2023 als „Ehrenvorsitzender“ der Partei „Georgischer Traum“ in die aktive Politik zurückgekehrt ist, in der aktuellen politischen Krise und bei einem weiteren Versuch, den prowestlichen Kurs des Landes zugunsten einer Ausrichtung auf Russland zu untergraben, spielt; fordert den Rat und die demokratischen Partner der EU erneut auf, wegen der Rolle, die Iwanischwili hinsichtlich der Verschlechterung des politischen Prozesses in Georgien und des Vorgehens gegen die Interessen der Bevölkerung des Landes spielt, die Verhängung persönlicher Sanktionen gegen ihn in Erwägung zu ziehen;
7. fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, all jene zur Rechenschaft zu ziehen und persönliche Sanktionen gegen all jene zu verhängen, die für die Aushöhlung der Demokratie in Georgien verantwortlich sind, an der Gewalt gegen politische Gegner und friedliche Demonstranten beteiligt sind und antiwestliche Desinformation verbreiten; begrüßt, dass die Vereinigten Staaten gezielt Sanktionen gegen Funktionäre des Georgischen Traums verhängt haben;
8. hält es für sehr beunruhigend, dass der Georgische Traum mit seinen zahlreichen gesetzgeberischen Entscheidungen aus jüngster Zeit der großen Mehrheit der Bevölkerung Georgiens in den Rücken fällt, was ihr Bestreben anbelangt, in einer demokratischen Gesellschaft zu leben, die demokratischen Reformen und die Reformen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit fortzusetzen, eine enge Zusammenarbeit mit den euro-atlantischen Partnern zu pflegen und sich dem Weg zur EU-Mitgliedschaft zu verpflichten;
9. betont, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht, sich friedlich zu versammeln, und das Recht auf friedlichen Protest Grundfreiheiten sind und insbesondere in einem Land, das der EU beitreten will, unter allen Umständen geachtet werden müssen;
10. weist erneut darauf hin, dass der Europäische Rat auf seiner Tagung vom 14./15. Dezember 2023 Georgien unter der Voraussetzung, dass das Land die in der Empfehlung der Kommission vom 8. November 2023 dargelegten einschlägigen Maßnahmen ergreift, den Status eines Bewerberlandes zuerkannt hat; betont, dass die kürzlich verabschiedeten Rechtsvorschriften diesem Ziel eindeutig zuwiderlaufen und de facto die Aussetzung der Integration Georgiens in die EU bewirkt haben;
11. fordert die Regierung Georgiens nachdrücklich auf, wieder den Weg in Richtung Europa einzuschlagen, ihrer Zusage nachzukommen, die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte und die Grundfreiheiten zu achten, zu stärken und zu fördern, sowie im Geiste des Engagements und der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft Georgiens und der politischen Opposition auch tatsächlich auf die vollständige Umsetzung der Maßnahmen hinzuwirken, die erforderlich sind, um die Voraussetzungen für den Status als Bewerberland und eine EU-Mitgliedschaft zu erfüllen;
12. weist erneut darauf hin, dass Georgien nach Beginn der Beitrittsverhandlungen konkrete Möglichkeiten – beispielsweise die Heranführungshilfe – für sich nutzen könnte, um den Lebensstandard der Bürgerinnen und Bürger Georgiens zu verbessern sowie die Institutionen zu stützen, die Infrastruktur auszubauen und die Zahlung von Sozialleistungen zu unterstützen;
13. ist zutiefst besorgt darüber, dass der Einfluss Russlands in Georgien steigt, immer mehr Staatsangehörige Russlands in Georgien wohnhaft sind und Georgien seine Handelsbeziehungen zu Russland vertieft hat und zudem zur Aussöhnung mit Russland bereit ist, obwohl Russland in der Ukraine Krieg führt und ein Fünftel des Hoheitsgebiets Georgiens besetzt hält; fordert die Regierung Georgiens auf, als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine Sanktionen gegen Russland zu verhängen;
14. bekräftigt seine Forderung an die staatlichen Stellen Georgiens, den ehemaligen Präsidenten Micheil Saakaschwili aus der Haft zu entlassen;
15. fordert das Ermittlungsbüro Georgiens auf, die Polizeigewalt während der Frühjahrsproteste gegen das Gesetz über die Transparenz der Einflussnahme aus dem Ausland eingehend zu untersuchen;
16. beauftragt seine Präsidentin, diese Entschließung dem Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Rat, der Kommission und den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten sowie dem Europarat, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und der Präsidentin, der Regierung und dem Parlament Georgiens zu übermitteln.
- [1] ABl. L 261 vom 30.8.2014, S. 4.