ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zum Umgang mit der Herausforderung der weltweiten COVID-19-Pandemie: Folgen der Aussetzung des TRIPS-Übereinkommens der WTO für COVID‑19-Impfstoffe, Behandlung, Ausrüstung und die Steigerung der Produktions- und Fertigungskapazitäten in Entwicklungsländern
2.6.2021 - (2021/2692(RSP))
gemäß Artikel 132 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Sara Matthieu
im Namen der Verts/ALE-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B9-0306/2021
B9-0307/2021
Entschließung des Europäischen Parlaments zum Umgang mit der Herausforderung der weltweiten COVID-19-Pandemie: Folgen der Aussetzung des TRIPS-Übereinkommens der WTO für COVID‑19-Impfstoffe, Behandlung, Ausrüstung und die Steigerung der Produktions- und Fertigungskapazitäten in Entwicklungsländern
Das Europäische Parlament,
– gestützt auf Artikel 132 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die COVID-19-Pandemie eine beispiellose weltweite Notlage und Herausforderung darstellt, die weltweit verheerende gesundheitliche und wirtschaftliche Folgen ausgelöst hat; in der Erwägung, dass nach wie vor neue und ansteckendere Varianten des Virus auftreten und in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen einen verheerenden Anstieg der Infektionen verursachen;
B. in der Erwägung, dass die menschlichen Kosten von COVID-19 weiter steigen, da weltweit mehr als 167,3 Millionen Fälle bestätigt sind und mehr als 3,5 Millionen Todesfälle bekannt sind;
C. in der Erwägung. dass sich jüngsten empirischen Daten zufolge die tatsächlichen Auswirkungen der Pandemie in der Größenordnung von 7 bis 13 Millionen zusätzlichen Todesfällen bewegen;
D. in der Erwägung, dass neben den überwältigenden Todeszahlen 10 % der Patienten weltweit an den Folgen des Post-COVID-Syndroms leiden, das zu Langzeiterkrankungen führt, die besonders in Ländern ohne angemessene soziale Sicherungsnetze Arbeitsplatzverlust, Armut und allgemeine krasse sozioökonomische Benachteiligung nach sich ziehen können[1];
E. in der Erwägung, dass in Rekordzeit mehrere Impfstoffe entwickelt und zum Einsatz zugelassen wurden, was einen Wettlauf um die Impfung von Bevölkerungen und die Erreichung von Herdenimmunität ausgelöst hat;
F. in der Erwägung, dass bis Anfang Juni 2021 weltweit mindestens 1,8 Milliarden Impfdosen gegen COVID-19 verabreicht worden sind; in der Erwägung, dass nur 0,3 % der weltweit verabreichten Impfdosen in den 29 ärmsten Ländern verabreicht wurden, in denen etwa 9 % der Weltbevölkerung leben;
G. in der Erwägung, dass in der anhaltenden COVID-19-Krise verschiedene Initiativen entstanden sind, die darauf abzielen, das weltweite Gefälle beim Zugang zu COVID-19-Impfstoffen, Therapeutika und Ausrüstung zu beheben, darunter Initiativen zur Bündelung von Vorbestellungen für öffentliche Aufträge, wie COVAX, oder zur Bereitstellung von Finanzierungen und Spenden oder zur Aussetzung bestimmter multilateraler Vorschriften über geistiges Eigentum;
H. in der Erwägung, dass COVAX bis zum 25. Mai 2021 an über 100 Länder nur 71 Millionen Impfdosen ausliefern konnte, kaum genug, um 1 % der Gesamtbevölkerung dieser Länder zu versorgen, und aufgrund von Ausfuhrbeschränkungen in Indien mit einem voraussichtlichen Defizit von 190 Millionen Impfdosen konfrontiert ist;
I. in der Erwägung, dass gemäß Artikel IX des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) unter außergewöhnlichen Umständen auf der Ebene der WTO-Ministerkonferenz eine Aussetzung bestimmter Verpflichtungen aus WTO-Verträgen wie etwa des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS-Übereinkommen) beschlossen werden kann; in der Erwägung, dass jede solche Aussetzung eine Begründung auf der Grundlage der außergewöhnlichen Umstände, die Bedingungen der Aussetzung und den Zeitpunkt der Beendigung der Aussetzung enthalten muss; in der Erwägung, dass länger als ein Jahr dauernde Aussetzungen bis zu ihrer Beendigung jährlich von der WTO-Ministerkonferenz überprüft werden müssen; in der Erwägung, dass gemäß den Rechtsvorschriften der WTO ein Beschluss, eine Aussetzung zu gewähren, auf der Grundlage eines Konsenses aller WTO-Mitglieder gefasst werden soll und dass, falls kein Konsens erzielt werden kann, ein Beschluss mit Dreiviertelmehrheit gefasst werden kann;
J. in der Erwägung, dass Indien und Südafrika im Oktober 2020 einen Vorschlag für die Aussetzung des TRIPS-Übereinkommens der WTO einreichten (IP/C/W/669), der im Mai 2021 mit der Unterstützung von 63 Staaten geändert wurde (IP/C/W/669/Rev.1); in der Erwägung, dass die Handelsbeauftragte der Vereinigten Staaten am 5. Mai 2021 eine Erklärung zugunsten von Verhandlungen über eine Aussetzung von TRIPS-Vorschriften für Impfstoffe gegen COVID-19 abgab;
I. Dringlichkeit des Anliegens, die COVID-19-Pandemie unter Kontrolle zu bringen
1. ist zutiefst besorgt darüber, dass die COVID-19-Pandemie trotz der vor allem in Industrieländern erzielten Fortschritte bei der Impfung unvermindert anhält; ist zutiefst besorgt über die epidemiologische Lage in mehreren Regionen der Welt, insbesondere in Südasien und Lateinamerika;
2. bedauert, dass die internationale Gemeinschaft trotz wiederholter Warnungen namhafter Sachverständiger und der WHO in den vergangenen Jahren und trotz besorgniserregender Alarmsignale in jüngster Zeit wie etwa SARS-CoV-1 überhaupt nicht darauf vorbereitet war, sich der Bedrohung einer neuen weltweiten Pandemie zu stellen; weist ferner auf die nachteiligen Folgen von Sparmaßnahmen in den letzten Jahrzehnten hin, durch die die öffentlichen Investitionen in das Gesundheitswesen erheblich beeinträchtigt und letztlich die Kapazitäten und die Bereitschaft mehrerer Länder zur Bewältigung einer akuten gesundheitlichen Notlage untergraben haben;
3. ist zutiefst besorgt über Berichte aus Indien, denen zufolge Krematorien und Friedhöfe die schiere Anzahl der Leichen nicht aufnehmen können und die Sauerstoffversorgung zur Neige geht, wodurch Patienten qualvoll ersticken, während verzweifelte Familien Nachschubwege und Krankenhäuser plündern; weist mit großem Bedauern darauf hin, dass eine solche Situation vollkommen vorhersehbar war, da einige Wochen oder Monate zuvor die gleichen Grundmuster in Lateinamerika, wo sich die Krise ebenfalls in mehreren Ländern verschärft hat, sowie in Nordamerika, Europa und dem Nahen Osten eintraten;
4. betont nachdrücklich, dass ein Weitermachen wie bisher keine Option ist; betont daher, dass die internationale Gemeinschaft die übergeordnete und dringliche Aufgabe hat, die COVID-19-Pandemie unter Kontrolle zu bringen; betont, dass die Mittel zur Bewältigung der Situation vorhanden sind, was darauf hindeutet, dass es an einem gemeinsamen Vorgehen zur Bewältigung der Krise mangelt; betont, dass unbedingt Abhilfemaßnahmen getroffen werden müssen, um die humanitäre Katastrophe, die sich in der ganzen Welt ausbreitet, so gering wie möglich zu halten; erinnert an die Erklärung von Präsidentin von der Leyen, wonach COVID-19-Impfstoffe als globales öffentliches Gut betrachtet werden sollten; weist darauf hin, dass unbedingt auch weitere medizinische Produkte so eingestuft werden müssen;
5. weist darauf hin, dass 11 Milliarden Dosen benötigt werden, um 70 Prozent der Weltbevölkerung zu impfen, was ungefähr der für eine Herdenimmunität benötigten Schwelle entspricht, dass aber erst ein Bruchteil dieser Menge hergestellt worden ist; ist besorgt darüber, dass nach Aussagen des IWF die weltweite Produktion dieses Ziel mit nur 6 Milliarden hergestellten Dosen bis zum Ende des Jahres verfehlen wird;
6. stellt mit großer Besorgnis fest, dass die weitaus meisten bisher in den entwickelten Volkswirtschaften hergestellten Impfdosen gegen COVID-19 hauptsächlich wie in den USA für den internen Verbrauch oder aber sowohl für den internen Verbrauch als auch für die Ausfuhr in andere entwickelte Volkswirtschaften produziert wurden; unterstreicht in dieser Hinsicht, dass nur etwa 10 % der weltweiten Ausfuhren der EU in weniger entwickelte Volkswirtschaften versandt wurden und dass der Großteil der in der EU hergestellten Impfdosen an OECD-Staaten verkauft wurde;
7. betont, dass nach derzeitigen Hochrechnungen in Bezug auf Produktion und Finanzierung erwartet wird, dass sich die Kluft bei den Impfquoten weiter vergrößern und gegen Ende 2021 mit Unterschieden zwischen den Impfquoten von fast 50 Prozentpunkten ihren Höhepunkt erreichen wird, was zu einer echten weltweiten Impfapartheid führt; betont, dass sich die Unterschiede wahrscheinlich noch erheblich verschlimmern werden, ehe eine Besserung eintritt, da optimistischen Schätzungen zufolge diese Unterschiede erst 2023 beseitigt sein werden;
8. bedauert nachdrücklich, dass die weltweite Kapazität zur Herstellung von Impfstoffen ursprünglich geplant war, um hauptsächlich westliche Märkte zu beliefern; stellt mit Besorgnis fest, dass COVAX, die wichtigste multilaterale Initiative zur Bereitstellung von Impfstoffen für den Globalen Süden, voraussichtlich nur 2 Milliarden Dosen, 20 % des Bedarfs der 92 ärmsten Länder, liefern wird; stellt jedoch fest, dass es, selbst wenn man die Frage der Versorgung der verbleibenden 80 % der Bevölkerungen dieser Länder außer Acht lässt, angesichts der jüngsten Versorgungsengpässe und der Ausfuhrbeschränkungen in Indien anscheinend sogar ein ehrgeiziges mittelfristiges Ziel ist, diese Zusage einzuhalten;
9. betont, dass Impfstoffe ein Fall wie aus dem Lehrbuch sind, bei dem riesige positive externe Auswirkungen sowohl im Inland als auch weltweit eine kostenlose öffentliche Versorgung erfordern; stellt fest, dass in den Industrieländern alle Bürgerinnen und Bürger kostenlose Impfstoffe erhalten; weist darauf hin, dass es ethisch unerklärlich wäre, wenn dieser Grundsatz für viel ärmere Menschen in Entwicklungsländern nicht gelten würde; beharrt daher darauf, dass jeder Mensch weltweit kostenlose Impfstoffe erhalten muss, sobald sie hergestellt werden können;
10. betont, dass COVAX derzeitigen Schätzungen zufolge je nach den Kosten einer Impfstoffdosis durch zusätzliche Finanzhilfen von zwischen 75 Mrd. USD und 150 Mrd. USD finanziert werden sollte; stellt fest, dass eine solche Finanzierung am oberen Ende weniger als 0,4 % des gesamten BIP der G7-Länder oder gerade 3,8 % dessen ausmachen würde, was die G7-Staaten als Reaktion auf die COVID-19-Krise im Jahr 2020 an fakultativen Steueranreizen ausgegeben haben;
11. weist darauf hin, dass Initiativen wie COVAX Mechanismen eingeführt haben, die sich um die Nachfrageseite der Gleichung drehen, ohne die Unzulänglichkeit der weltweiten Produktionskapazitäten anzugehen; weist darauf hin, dass sie dadurch letztlich nach dem Windhundverfahren im Wettbewerb mit anderen Interessenträgern, vor allem Staaten mit hohem Einkommen, stehen, während die Angebotsseite der Gleichung aufgrund des Fehlens einer integrierten globalen Strategie für den weltweiten Ausbau der Produktionskapazitäten nach wie vor begrenzt ist;
12. betont, dass es, je länger es braucht, um weltweite Herdenimmunität zu erreichen, umso wahrscheinlicher wird, dass sich neue Varianten des Virus SARS-CoV-2, gegen die die derzeitigen Impfstoffe weniger wirksam sind, weltweit ausbreiten; weist darauf hin, dass die Aussicht, regelmäßig oder sogar jährlich COVID-19-bezogene Impfstoffe entwickeln und liefern zu müssen, konkret wird; stellt jedoch mit Besorgnis fest, dass unter den derzeitigen Zwängen eine solche Situation eine Fortsetzung der derzeitigen grundlegenden weltweiten Ungleichgewichte bedeuten würde;
II. Beseitigung der Hindernisse, die einer Ausweitung der weltweiten Lieferung von Impfstoffen, Behandlungen und Ausrüstung gegen die anhaltende Pandemie im Wege stehen
13. begrüßt die beispiellose Schnelligkeit, mit der es Pharmaunternehmen gelungen ist, Impfstoffe gegen COVID-19 zur Verfügung zu stellen, und die technologischen Errungenschaften, die dies ermöglicht haben; betont gleichzeitig die Schlüsselrolle der Ressourcen der öffentlichen Hand und der öffentlich finanzierten wissenschaftlichen Forschung, die es den Pharmaunternehmen ermöglichte, das Risiko der gesamten Impfstoffwertschöpfungskette durch Vorausfinanzierung und hohe Zuschüsse für Forschung und Entwicklung (FuE) sowie durch Abnahmegarantien zu verringern;
14. hebt den wesentlichen Beitrag der Beschäftigten im Gesundheitswesen, Patienten, COVID-19-Überlebenden sowie der allgemeinen Öffentlichkeit hervor, die an klinischen Versuchen und anderen FuE-bezogenen Aktivitäten in Bezug auf verschiedene Therapeutika und Impfstoffe teilgenommen haben; ist daher der Ansicht, dass den Impfstoffen zugrunde liegende Innovationen nicht durch exklusive Rechte des geistigen Eigentums privatisiert werden oder Hindernissen für den Technologietransfer unterliegen sollten; stellt daher mit Besorgnis fest, dass im Gegensatz zu AstraZeneca, das sich verpflichtet hat, zum Selbstkostenpreis zu produzieren, Pfizer/BioNTech, Moderna und Johnson & Johnson voraussichtlich mit ihren COVID-19-Impfstofflieferungen sehr bedeutende Gewinne erzielen werden;
15. nimmt die Ankündigung westlicher Impfstoffhersteller auf dem Weltgesundheitsgipfel vom 21. Mai 2021 zur Kenntnis, dass sie beabsichtigen, bis Ende 2022 1,3 Milliarden Impfdosen für die am wenigsten entwickelten Länder zum Selbstkostenpreis und für weitere Entwicklungsländer zu „niedrigen Preisen“ zu liefern, betont jedoch, dass diese Initiative nach wie vor weitgehend unzureichend ist;
16. betont, dass der einzige Weg, der an einem Nullsummenwettbewerb um das begrenzte Impfstoffangebot vorbeiführt, ist, die weltweite Angebotskapazität für Impfstoffe und andere gesundheitsbezogene öffentliche Güter dauerhaft erheblich zu vergrößern;
17. weist darauf hin, dass eine solche Dynamik verdeutlicht, dass ein auf Wohltätigkeit basierender Ansatz, bei dem, nachdem die Industrieländer ihren eigenen Bedarf gedeckt haben, Finanzmittel oder überschüssige Impfstoffdosen zugesagt werden, um den Bedarf der Ärmsten in unbestimmter Zeit zu befriedigen, kein praktikabler und gerechter weltweiter Ansatz ist, um die anhaltende Krise zu bewältigen;
18. weist darauf hin, dass der Antrag Indiens und Südafrikas sowie führender Wissenschaftsjournale und zivilgesellschaftlicher Organisationen auf Aussetzung des TRIPS-Übereinkommens umfassende Dokumentation und Belege dafür geliefert hat, dass der derzeitige multilaterale Rahmen zum Schutz der Rechte des geistigen Eigentums ein Hindernis für die Bewältigung der COVID-19-Krise dargestellt hat und dass die bestehenden Maßnahmen zur Flexibilisierung des TRIPS-Übereinkommens der WTO, die auf verfahrenstechnisch komplexen landes- und produktspezifischen vorherigen Verhandlungen mit den Patentinhabern beruhen, nicht zweckmäßig waren, um vorherige weltweite gesundheitliche Notlagen zu bewältigen, um den Herausforderungen der derzeitigen Notlage nicht gewachsen sind;
19. weist ferner darauf hin, dass die Erfahrungen aus der Vergangenheit mit der Anwendung bestehender TRIPS-Flexibilitätsregelungen darauf hindeuten, dass einzelne Staaten oft entweder Vergeltungsmaßnahmen der Industrieländer oder Imageschäden durch die Ausstellung von Zwangslizenzen befürchteten; betont, dass Zwangslizenzen nur für Patente als eine Kategorie von Rechten des geistigen Eigentums gelten, dass jedoch andere Kategorien von Rechten des geistigen Eigentums wie etwa der Datenschutz oder Geschäftsgeheimnisse, die potenzielle Hürden für die Ausweitung der Produktion benötigter Medizinprodukte darstellen, nicht zum Anwendungsbereich von Zwangslizenzen gehören;
20. betont, dass solche Unzulänglichkeiten bei den bestehenden Flexibilitätsregelungen des TRIPS-Übereinkommens einen triftigen Grund für die Annahme einer zusätzlichen vorübergehenden Ausnahmeregelung darstellen, damit ihr Anwendungsbereich erweitert werden kann und aufwändige Bedingungen und Verwaltungsverfahren vermieden werden können, die eine Hürde für die Aufstockung der Produktionskapazitäten darstellen;
21. weist insbesondere darauf hin, dass Bolivien kürzlich mit dem kanadischen Unternehmen Biolyse eine Vereinbarung über eine Abnahmegarantie unterzeichnet hat, um Millionen von Dosen eines Generikums des Impfstoffs Johnson & Johnson – bei dem nur eine Dosis erforderlich ist – einzuführen, mit denen ein erheblicher Teil seiner Bevölkerung geimpft werden könnte, sofern Biolyse eine Genehmigung für die Herstellung dieses Impfstoffs im Rahmen einer Zwangslizenz im Zusammenhang mit den bestehenden Flexibilitätsregelungen des TRIPS-Übereinkommens erhalten sollte; weist jedoch darauf hin, dass die Umsetzung dieser Abnahmegarantie aufgrund der Komplexität der Verfahren, die diesen „Flexibilitätsregelungen“ zugrunde liegen, einen unverhältnismäßig hohen Zeit- und Ressourcenaufwand erfordern kann; betont, dass dieses Beispiel zeigt, dass Fragen der Rechte des geistigen Eigentums tatsächlich ein Hindernis für die weitere Aufstockung der weltweiten Kapazitäten für die Produktion von Impfstoffen darstellen;
22. betont, dass eine neue COVID-19-bezogene Aussetzung des TRIPS-Übereinkommens nur eine von vielen Voraussetzungen für die Bewältigung der derzeitigen Notlage ist; betont, dass es auch unerlässlich ist, dass die derzeitigen Impfstoffhersteller ihre Technologien und Produktionsmethoden so teilen, dass Ausnahmeregelungen der Bereitstellung eines komplexen Rezepts gleichkommen, während Technologietransfers der Weitergabe der für die Umsetzung erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten gleichkommen;
23. begrüßt in diesem Zusammenhang die Äußerungen der Generaldirektorin der WTO, Ngozi Okonjo-Iweala, in der Sitzung des Ausschusses für internationalen Handel des Parlaments vom 20. Mai 2021, wonach die derzeitigen Flexibilitätsregelungen des TRIPS-Übereinkommens zu schwerfällig seien und mehr Flexibilität erforderlich sei; stellt jedoch fest, dass eine neue Aussetzung des TRIPS-Übereinkommens nicht ausreicht, da dringend eine ganzheitliche Strategie erforderlich ist, die unter anderem einen verstärkten Technologietransfer mit potenziellen Herstellern umfasst;
24. betont, dass entgegen den Behauptungen der Industrie und wie auf einer kürzlich stattgefundenen WTO-Sitzung[2] zum Thema Impfstoffe betont wurde, eine Steigerung der Produktionskapazitäten von Entwicklungsländern wie Brasilien, Argentinien, Indien, Thailand, Südafrika, Pakistan und Bangladesch glaubhaft erreicht werden kann, wenn sie mindestens eine der beiden folgenden Bedingungen erfüllen: entweder verfügen erstens dort ansässige Unternehmen bereits über das Know-how für die Herstellung einiger der derzeit verfügbaren Impfstoffe (wie im Hinblick auf den Impfstoff von AstraZeneca in Brasilien und Indien) bzw. sie haben die entsprechende Technologie im Inland entwickelt (wie im Hinblick auf den Impfstoff von Bharat Biotech in Indien), oder zweitens verfügen diese Länder über eine kritische Masse an pharmazeutischen Unternehmen mit entsprechenden Produktionskapazitäten;
25. betont, dass sich die Kommission bislang ausschließlich darauf konzentriert hat, westliche Impfstoffhersteller dazu aufzufordern, Technologien und Lizenzen auf rein freiwilliger Basis zu teilen; bedauert in diesem Zusammenhang zutiefst, dass bislang keines der Pharmaunternehmen, die Impfstoffe herstellen, seine Technologien, sein Know-how und seine Forschungsergebnisse mit dem Technologie- und Patentpool gegen COVID-19 (C-TAP) oder dem Zentrum der WHO für den Transfer von Technologien für mRNA-Impfstoffe gegen COVID-19 geteilt hat, was die Unzulänglichkeit freiwilliger und von der Industrie geleiteter Ansätze unterstreicht;
26. fordert die Kommission auf, alle ihr zur Verfügung stehenden Befugnisse und Möglichkeiten – einschließlich Zwangsmaßnahmen, wenn nötig – zu nutzen, um sicherzustellen, dass Unternehmen Technologien und Know-how im Zusammenhang mit COVID-19-Medizinprodukten wie Therapeutika, Diagnostika und Impfstoffen weltweit mit potenziellen Herstellern teilen, insbesondere in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen;
27. weist mit großer Besorgnis darauf hin, dass in jüngster Zeit Hinweise darauf vorgelegt wurden, dass die derzeitigen Hersteller zugelassener COVID-19-Impfstoffe von mehreren potenziellen Generikaherstellern in der EU und im Ausland vorgelegte Angebote zur Ausweitung der Produktion abgelehnt haben;
28. ist besorgt über die von den wichtigsten Herstellerländern eingeführten verschiedenen Arten von direkten oder indirekten Ausfuhrschranken für Impfstoffe oder wichtige Rohstoffe und andere Inhaltsstoffe und betont, dass dies den raschen weltweiten Ausbau der Kapazitäten für die Impfstoffproduktion gefährdet; fordert die Kommission nachdrücklich auf, mit den Herstellerländern zusammenzuarbeiten, um Ausfuhrschranken rasch zu beseitigen und ihren eigenen Mechanismus für Ausfuhrgenehmigungen durch Anforderungen an die Transparenz von Ausfuhren zu ersetzen; besteht darauf, einen zeitnahen und umfassenden Zugang zu solchen Daten zu erhalten; bedauert, dass die Kommission den Transparenz- und Kontrollmechanismus genutzt hat, um Ausfuhren in Drittländer zu blockieren, da dies zu einem Domino-Effekt führen könnte, der offene globale Lieferketten gefährdet;
29. betont, dass eine Aussetzung des TRIPS-Übereinkommens auch für die Diversifizierung der Produktion und der Versorgung mit Rohstoffen wie lipidbasierten Nanopartikeln und Beuteln für Bioreaktoren von entscheidender Bedeutung sein könnte, bei denen die Produktions- und Versorgungslage angespannt ist;
30. betont, dass es, wenn die Impfstoffe gegen COVID-19 und die jeweiligen Varianten als globales öffentliches Gut erachtet werden, dringend notwendig ist, dass multilaterale Anstrengungen darauf ausgerichtet werden, die weltweiten Produktionskapazitäten rasch und dauerhaft zu steigern und für einen verbindlichen Technologietransfer zu sorgen; fordert die Einrichtung struktureller Plattformen, um die Impfstoffproduktion in weiteren Ländern rasch zu steigern;
31. ist der Ansicht, dass die EU zu diesem Zweck dringend den Abschluss multilateraler Abkommen auf WTO-Ebene fördern sollte, einschließlich eines Abkommens über Pandemien, wie es der Präsident des Europäischen Rates kürzlich vorgeschlagen hat, als Teil der Initiative für Handel und Gesundheit, die im November 2021 auf der zwölften Ministerkonferenz sowie auf der nächsten WHO-Generalversammlung angenommen werden soll; betont, dass diese Initiative eine Aussetzung des TRIPS-Übereinkommens ergänzt und nicht ersetzt;
32. fordert die EU nachdrücklich auf, in Abstimmung mit anderen Partnern wie den USA und den Befürwortern des Vorschlags für eine COVID-19-bezogenen Aussetzung des TRIPS-Übereinkommens eine gemeinsame multilaterale Initiative für die Ausarbeitung eines detaillierten Plans zwischen den westlichen Pharmaunternehmen und ihren Partnern vorzulegen, der von den jeweiligen Regierungen überwacht und unterzeichnet wird, um die weltweite Versorgung mit Impfstoffen zu fördern;
33. ist der Ansicht, dass die EU unilateral zu einem derartigen Unterfangen beitragen kann und sollte, indem sie sicherstellt, dass künftige Abnahmegarantien vollständig offengelegt werden und verbindliche Bestimmungen über offene und nicht ausschließliche weltweite Lizenzen, Patentpools, die gemeinsame Nutzung von Know-how, die Nichtanwendbarkeit von Geschäftsgeheimnissen, geschützte Daten und Verpflichtungen zum Technologietransfer umfassen;
34. fordert die Kommission nachdrücklich auf, die C-TAP-Initiative der WHO zu unterstützen und proaktiv Anstrengungen zu unternehmen, um sicherzustellen, dass die Hersteller von Impfstoffen geistiges Eigentum und Technologien über diesen multilateralen Mechanismus teilen; fordert die Kommission auf, potenzielle Hersteller zu ermitteln und zu unterstützen, die Interesse an einer Aufstockung der Produktion von Impfstoffen und anderen COVID-19-bezogenen medizinischen Produkten bekundet haben, damit diese Hersteller nicht ausschließliche Lizenzen erhalten und so bald wie möglich mit der Produktion beginnen können; fordert die Kommission auf, dem Parlament bis September 2021 über die Ergebnisse dieser Anstrengungen Bericht zu erstatten;
35. begrüßt die Entscheidung der Regierung Biden-Harris in den USA, die Aussetzung des Schutzes des geistigen Eigentums für COVID-19-Impfstoffe zu unterstützen; betont, dass die Regierungen unter der Prämisse handeln sollten, dass die WTO-Regeln zu Patenten, Geschäftsgeheimnissen und anderen wichtigen Rechten des geistigen Eigentums, die zur Unterstützung von Produktion und Versorgung notwendig sind, kein Hindernis für die Verbesserung des Zugangs zu Impfstoffen gegen COVID darstellen, und dass diese Prämisse durch die Verabschiedung einer politischen Erklärung für ein „Moratorium“ bestätigt werden sollte, wonach die Länder während der Pandemie keine Maßnahmen in Bezug auf Impfstoffe ergreifen werden;
36. fordert die EU nachdrücklich auf, sich auf konstruktive und proaktive Weise an textbasierten Verhandlungen über eine befristete Aussetzung des TRIPS-Übereinkommens für alle Produkte und Technologien, einschließlich Impfstoffen, Behandlungen und Diagnostika, zu beteiligen, die zur Reaktion auf die COVID-19-Pandemie erforderlich sind, und zu diesem Zweck ein Verhandlungsmandat im Rahmen von Artikel 218 Absatz 9 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zu erteilen; fordert alle WTO-Mitglieder nachdrücklich auf, die Verhandlungen so bald wie möglich und spätestens bis zur nächsten Konferenz des WTO-Ministerrates im November 2021 zum Abschluss zu bringen und auf den nächsten Tagungen des TRIPS-Rates im Juni und Oktober 2021 spürbare Fortschritte zu erzielen;
37. fordert die EU nachdrücklich auf, davon abzusehen, im Rahmen der WTO oder im Rahmen von Freihandels- und Investitionsabkommen rechtliche Schritte gegen Länder einzuleiten, die bei der Verabschiedung politischer Maßnahmen zur Erweiterung des Zugangs zu COVID-19-bezogenen medizinischen Produkten gegen die Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens verstoßen; fordert die EU daher auf, als vorläufige Maßnahme vor einer Einigung auf eine COVID-19-bezogene Aussetzung des TRIPS-Übereinkommens eine unverzügliche politische Erklärung der WTO zu einem „Moratorium“ bei allen Maßnahmen im Zusammenhang mit Impfstoffen und anderen wichtigen medizinischen Produkten zur Bekämpfung der Pandemie vorzuschlagen;
III. Schaffung der Voraussetzungen für eine bessere Abwehrbereitschaft gegenüber künftigen globalen Gesundheitskrisen
38. betont, dass die internationale Handelsordnung bei der schnellen Entwicklung medizinischer Behandlungen und Impfstoffe, der raschen Ausweitung der Produktion, der Entwicklung widerstandsfähiger globaler Lieferketten und einem fairen Marktzugang für die ganze Welt eine wichtige Rolle spielt; betont darüber hinaus, dass die derzeitige Pandemie den Impuls für eine stärkere internationale Zusammenarbeit und eine globale Vorbereitung auf Gesundheitskrisen geben muss; fordert die Kommission nachdrücklich dazu auf, sich mit den Ursachen zu befassen, die von der zwischenstaatlichen Plattform für biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen (IPBES) in ihren Berichten über biologische Vielfalt und Pandemien ermittelt wurden, insbesondere mit den weitreichenden Auswirkungen der immer tieferen globalen Lieferketten auf den Schwund der biologischen Vielfalt und die Schädigung der Biosphäre sowie der wesentlicher Rolle dieser Phänomene im Zusammenhang mit den immer häufiger und intensiver auftretenden Zoonosen;
39. weist ferner darauf hin, dass es angesichts der Wahrscheinlichkeit, dass neue COVID-19-Varianten und andere Zoonosen in den kommenden Jahren regelmäßig auftreten, dringend und von entscheidender Bedeutung ist, ein Finanzierungsmodell für die Entwicklung und Verteilung globaler öffentlicher Güter wie Impfstoffe und andere wesentliche Gesundheitstechnologien zu entwickeln; betont, dass im Rahmen dieses Modells der globale Rahmen für Rechte des geistigen Eigentums angesichts künftiger Pandemien überdacht und der Übergang von einem auf ausschließlichen Rechten basierenden Modell zu innovativen Ansätzen wie „Preismodellen“ vollzogen werden sollte, die darauf beruhen, dass die Serienproduktion von Gütern von den Forschungs- und Entwicklungskosten entkoppelt wird;
40. betont, dass jede künftige multilaterale Vereinbarung für eine bessere Abwehrbereitschaft gegenüber künftigen globalen Gesundheitskrisen einerseits einen bedarfsorientierten nachfrageseitigen Ansatz, der eine gemeinsame Finanzierung und global koordinierte Abnahmegarantien vorsieht, und andererseits eine integrierte und koordinierte angebotsseitige Strategie zur Ausweitung der gesamten Wertschöpfungskette auf der Grundlage offener Wissenschaft, offener und nicht ausschließlicher weltweiter Lizenzen und verbindlicher Mechanismen für den Technologietransfer umfassen sollte;
41. fordert die Kommission auf, die Verpflichtungen im Rahmen des TRIPS-plus-Übereinkommens in Handelsabkommen der EU im Lichte der gewonnenen Erkenntnisse neu zu bewerten, da diese Bestimmung restriktiver ist als das TRIPS-Übereinkommen; fordert die Kommission und den Rat ferner auf, wieder auf Artikel 31a des TRIPS-Übereinkommens zurückzugreifen, um die Flexibilitätsregelungen des TRIPS-Übereinkommens künftig bei Bedarf in vollem Umfang nutzen zu können;
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42. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Europäischen Rat, dem Rat, der Kommission, der Welthandelsorganisation und der Weltgesundheitsorganisation zu übermitteln.
- [1] https://www.ons.gov.uk/news/statementsandletters/theprevalenceoflongcovidsymptomsandcovid19complications
- [2] Globaler Gipfel zur Versorgungskette und Herstellung von COVID-19-Impfstoffen vom 8. und 9. März 2021.