Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen

Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen stützt sich auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen, und zu ihr gehören Maßnahmen zur Angleichung der Rechtsvorschriften in mehreren Bereichen. Mit dem Vertrag von Lissabon hat man eine solidere Grundlage für die Entwicklung eines Raums der Strafgerichtsbarkeit geschaffen und dem Europäischen Parlament neue Befugnisse eingeräumt.

Rechtsgrundlage

Artikel 82 bis 86 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).

Ziele

Durch die schrittweise Abschaffung der Grenzkontrollen in der EU wurde die Freizügigkeit für die EU-Bürger erheblich vereinfacht, allerdings ist es auch für Straftäter leichter geworden, über Landesgrenzen hinweg zu operieren. Zur Bewältigung der Herausforderung der grenzübergreifenden Kriminalität umfasst der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts Maßnahmen zur Förderung der justiziellen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in Strafsachen. Ausgangspunkt ist der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung. Es wurden eigens Maßnahmen zur Bekämpfung von grenzüberschreitender Kriminalität und Terrorismus ergriffen, damit die Rechte von Opfern, Tatverdächtigen und Strafgefangenen in der gesamten EU geschützt werden.

Errungenschaften

A. Wichtigste Gesetzgebungsvorschläge zur justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen

1. Annahmeverfahren

Gemäß dem AEUV werden die meisten Maßnahmen der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens angenommen und unterliegen der gerichtlichen Überprüfung durch den Gerichtshof der Europäischen Union. Gleichwohl wurden die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und der Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit nicht vollständig in den EU-Rahmen integriert und beide weisen nach wie vor einige der ursprünglichen Eigenschaften auf, die aus der Zeit vor dem Vertrag von Lissabon stammen, selbst wenn man von den Besonderheiten des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Ausnahmeregelungen für Irland und Dänemark, siehe Protokolle Nr. 21 und 22 im Anhang zum AEUV; hervorgehobene Rolle der nationalen Parlamente, siehe Protokolle Nr. 1 und 2) absieht:

  • die Kommission teilt ihr Vorschlagsrecht mit den Mitgliedstaaten, sofern diese ein Viertel der Ratsmitglieder repräsentieren (Artikel 76 AEUV);
  • das Parlament wird lediglich zu bestimmten Maßnahmen der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen angehört; diese werden vom Rat einstimmig angenommen. Bei fehlender Einstimmigkeit im Rat kann eine Gruppe von mindestens neun Mitgliedstaaten im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit tätig werden.

2. Wichtigste im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens angenommene Rechtsakte

a. Gemeinsame Mindeststandards für Strafverfahren:

  • Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren,
  • Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren,
  • Richtlinie 2013/48/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs,
  • Richtlinie (EU) 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren,
  • Richtlinie (EU) 2016/800 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind,
  • Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls.

b. Kampf gegen den Terror:

  • Richtlinie (EU) 2016/681 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 über die Verwendung von Fluggastdatensätzen (PNR-Daten) zur Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität,
  • Richtlinie (EU) 2017/541 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates und zur Änderung des Beschlusses 2005/671/JI des Rates,
  • Verordnung (EU) 2021/784 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2021 zur Bekämpfung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte,
  • Verordnung (EU) 2023/2131 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Oktober 2023 zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/1727 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie des Beschlusses 2005/671/JI des Rates im Hinblick auf digitalen Informationsaustausch in Terrorismusfällen.

c. Bekämpfung von Korruption, Cyberkriminalität, Betrug und Geldwäsche:

  • Richtlinie 2013/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. August 2013 über Angriffe auf Informationssysteme und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2005/222/JI des Rates („Richtlinie zur Bekämpfung der Cyberkriminalität“),
  • Richtlinie 2014/42/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Sicherstellung und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union,
  • Richtlinie 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie),
  • Richtlinie 2014/62/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zum strafrechtlichen Schutz des Euro und anderer Währungen gegen Geldfälschung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2000/383/JI des Rates,
  • Richtlinie (EU) 2017/1371 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2017 über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtetem Betrug,
  • Richtlinie (EU) 2018/843 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2015/849 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung,
  • Richtlinie (EU) 2018/1673 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2018 über die strafrechtliche Bekämpfung der Geldwäsche,
  • Verordnung (EU) 2018/1805 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen,
  • Richtlinie (EU) 2019/713 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/413/JI des Rates.

d. Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten und den Agenturen der Europäischen Union:

  • Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen,
  • Verordnung (EU) 2018/1726 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 über die Agentur der Europäischen Union für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (eu-LISA),
  • Verordnung (EU) 2018/1862 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November 2018 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen,
  • Verordnung (EU) 2019/816 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Einrichtung eines zentralisierten Systems für die Ermittlung der Mitgliedstaaten, in denen Informationen zu Verurteilungen von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen (ECRIS-TCN) vorliegen, zur Ergänzung des Europäischen Strafregisterinformationssystems und zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/1726 Diese Verordnung steht mit der Richtlinie (EU) 2019/884 vom 17. April 2019 zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2009/315/JI des Rates im Hinblick auf den Austausch von Informationen über Drittstaatsangehörige und das Europäische Strafregisterinformationssystem (ECRIS) in Zusammenhang,
  • Verordnung (EU) 2019/818 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, Asyl und Migration),
  • Richtlinie (EU) 2023/977 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates,
  • Verordnung (EU) 2023/1543 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2023 über Europäische Herausgabeanordnungen und Europäische Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel in Strafsachen und für die Vollstreckung von Freiheitsstrafen nach Strafverfahren,
  • Richtlinie (EU) 2023/1544 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2023 zur Festlegung einheitlicher Regeln für die Benennung von benannten Niederlassungen und die Bestellung von Vertretern zu Zwecken der Erhebung elektronischer Beweismittel in Strafverfahren.

e. Opferschutz:

  • Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer,
  • Richtlinie 2011/93/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie,
  • Richtlinie 2011/99/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Europäische Schutzanordnung,
  • Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten.

B. Agenturen für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und andere verbundene Organe

1. Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Eurojust)

Eurojust fördert und verbessert die Koordinierung von Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen sowie die Zusammenarbeit zwischen den Behörden in den Mitgliedstaaten. Insbesondere erleichtert Eurojust die Erledigung internationaler Rechtshilfeersuchen und die Vollstreckung von Auslieferungsersuchen. Eurojust unterstützt die Behörden der Mitgliedstaaten nach Kräften, damit diese bei ihren Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen bei grenzüberschreitender Kriminalität effizienter agieren können.

Eurojust kann einen Mitgliedstaat auf dessen Ersuchen bei Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen betreffend diesen Mitgliedstaat und einen Drittstaat unterstützen, wenn Eurojust und der Drittstaat ein Kooperationsabkommen geschlossen haben oder wenn ein wesentliches Interesse nachgewiesen wird.

Eurojust deckt die gleichen Arten von Straftaten und Vergehen ab, für die die Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung (Europol) zuständig ist, etwa Terrorismus, Drogenhandel, Menschenhandel, Nachahmung, Geldwäsche, Cyberkriminalität, Straftaten gegen fremdes Vermögen und staatliches Eigentum, einschließlich Betrug und Korruption, Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU, Umweltkriminalität und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung. Auf Antrag eines Mitgliedstaats kann Eurojust auch bei Ermittlungen in Bezug auf andere Straftaten und der entsprechenden Strafverfolgung Unterstützung leisten.

In Anschluss an die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine im Februar 2022 ist seit März 2022 eine gemeinsame Ermittlungsgruppe der EU (GEG), die von Eurojust unterstützt wird, in der Ukraine tätig. Am 14. April 2023 kamen die sieben Mitglieder der GEG überein, nicht nur mutmaßliche Kriegsverbrechen, sondern auch Verbrechen des Völkermords in der Ukraine zu untersuchen. Das Internationale Zentrum für die Strafverfolgung des Verbrechens der Aggression gegen die Ukraine, ein in Eurojust verankerter justizieller Knotenpunkt, ermöglicht den Austausch von Beweismitteln und die Entwicklung einer gemeinsamen Strafverfolgungsstrategie. Eurojust unterhält auch eine Datenbank für Beweismittel für Kernverbrechen des Völkerstrafrechts, mit der die Tätigkeit der GEG und andere Ermittlungen im Zusammenhang mit Straftaten nach dem Völkerrecht unterstützt werden soll. Am 2. April 2024 nahm Eurojust an der internationalen Konferenz zum Thema „Wiedergutmachung in der Ukraine“ in Den Haag teil, um eine Bilanz der Fortschritte bei der Ermittlung von Straftaten, der Verfolgung von Straftätern und der Koordinierung der internationalen Bemühungen zu ziehen.

Im April 2022 veröffentlichte die Kommission einen Vorschlag zur Erweiterung des Mandats von Eurojust. Das Parlament und der Rat erzielten ein paar Wochen danach eine Einigung über das überarbeitete Mandat, dass Eurojust ermöglicht, Beweismittel für Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu sichern, aufzubewahren, zu analysieren und mit den zuständigen Justizbehörden der Mitgliedstaaten und dem Internationalen Strafgerichtshof auszutauschen. Die neue Eurojust-Richtlinie wurde am 31. Mai 2022 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und trat am folgenden Tag in Kraft.

Der frühere Rechtsrahmen für Eurojust (Beschluss 2009/426/JI des Rates vom 16. Dezember 2008 zur Stärkung von Eurojust) trat am 4. Juni 2009 in Kraft. Seit dem 12. Dezember 2019 gilt die Verordnung (EU) 2018/1727. Die derzeitige Rechtsgrundlage von Eurojust ist die Verordnung (EU) 2022/838 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/1727 hinsichtlich der Sicherung, Analyse und Speicherung von Beweismitteln durch Eurojust im Zusammenhang mit Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und damit zusammenhängenden Straftaten

Eurojust veröffentlicht jedes Jahr einen Jahresbericht. Am 24. Mai 2023 hat Eurojust seinen Jahresbericht 2022 veröffentlicht. Die drei häufigsten Arten von Straftaten, die von der Agentur im Jahr 2022 bearbeitet wurden, waren Betrug, Drogenhandel und Geldwäsche.

Eurojust hat seinen Sitz in Den Haag (Niederlande).

2. Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA)

Die Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur EUStA ist seit dem 20. November 2017 in Kraft. Das Parlament erteilte seine Zustimmung zu dem Entwurf einer Verordnung des Rates in seinem Standpunkt vom 5. Oktober 2017.

Die EUStA ist eine unabhängige Einrichtung, die für die Ermittlung und Strafverfolgung in Bezug auf Straftaten zum Nachteil des EU-Haushalts, etwa Betrug, Korruption oder grenzüberschreitender MwSt.-Betrug mit einem Schaden von mehr als 10 Mio. EUR sowie die entsprechende Rechtspflege zuständig ist. Die Liste der Straftaten könnte künftig beispielsweise um Terrorismus erweitert werden.

Das Parlament und der Rat haben in gegenseitigem Einvernehmen die erste Europäische Generalstaatsanwältin, Laura Codruța Kövesi, für eine nicht verlängerbare Amtszeit von sieben Jahren ernannt.

Bisher beteiligen sich 23 Mitgliedstaaten an der EUStA, und die verbliebenen noch nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten können jederzeit beschließen, sich zu beteiligen, wobei dies zwei von ihnen bereits angebahnt haben Hauptsitz der EUStA sowie des Generalstaatsanwalts und des Kollegiums von Staatsanwälten mit Mitgliedern aus allen teilnehmenden Mitgliedstaaten ist Luxemburg. Sie leiten die täglichen strafrechtlichen Ermittlungen, die von den Delegierten Staatsanwälten durchgeführt werden.

Die EUStA hat ihre Tätigkeiten am 1. Juni 2021 aufgenommen und viele Ermittlungen laufen bereits. Die Arbeiten werden auch in einer Reihe von Bereichen fortgesetzt, darunter die Anpassung der nationalen Justizsysteme an die EUStA-Verordnungen, die Ernennung der Delegierten Europäischen Staatsanwälte und die Einstellung von Personal.

Am 9. April 2024 legte die EUStA ihren Jahresbericht 2023 in einer gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse des Parlaments für Haushaltskontrolle und für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres vor. Bis zum 31. Dezember 2023 hat die EUStA 1 927 aktive Ermittlungen durchgeführt, die sich auf einen geschätzten Schaden von über 19,2 Mrd. EUR bezogen. Mit 139 Anklageerhebungen, d. h. über 50 % mehr als im Jahr 2022, hat die EUStA ihre Bemühungen verstärkt, Personen, die in der EU Betrug begehen, vor nationalen Gerichten vor Gericht zu bringen. Letztlich bewilligten die Richter gemäß dem Ziel der EUStA, sich auf die Schadensbehebung zu konzentrieren, Anträge der Delegierten Europäischen Staatsanwälte auf Sicherstellungsentscheidungen in Höhe von 1,5 Mrd. EUR, d. h. mehr als viermal so viel wie im Jahr 2022.

Rolle des Europäischen Parlaments

Das Parlament hat bei der Gestaltung der EU-Rechtsvorschriften im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen eine Schlüsselrolle gespielt, indem es die Bekämpfung von Kriminalität und Korruption zu einer politischen Priorität erklärt hat. Es hat im Bereich justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen gleichberechtigt mit dem Rat zusammengearbeitet. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren ist auf nahezu alle Bereiche des EU-Strafrechts, mit wenigen Ausnahmen – darunter insbesondere das Verfahren der Zustimmung, das bei der Einrichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft anzuwenden ist – anwendbar.

Das wichtigste Instrument zur Verwirklichung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten ist Eurojust. Im Rahmen der Reform von Eurojust hat sich das Parlament aktiv für eine stärkere parlamentarische Kontrolle und für verbesserte Datenschutzbestimmungen eingesetzt.

Am 1. Dezember 2020 veranstaltete das Parlament (aufgrund von COVID-19 per Fernteilnahme) die erste interparlamentarische Ausschusssitzung zur Bewertung der Tätigkeiten von Eurojust. Im Mittelpunkt der interparlamentarischen Ausschusssitzung stand eine erste Bewertung der Tätigkeiten von Eurojust durch das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente im Einklang mit Artikel 85 AEUV und gemäß der Verordnung (EU) 2018/1727. Die zweite interparlamentarische Ausschusssitzung über die Tätigkeiten von Eurojust wurde am 1. Februar 2022 organisiert, und die dritte fand am 30. November 2022 statt. Die vierte interparlamentarische Ausschusssitzung fand am 7. November 2023 in Brüssel statt.

Am 20. Januar 2021 hat das Parlament eine Entschließung zur Umsetzung des Europäischen Haftbefehls und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (und außerdem einen Umsetzungsbericht über den Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002, angenommen vor dem Vertrag von Lissabon) angenommen. In dieser Entschließung hat das Parlament die Ergebnisse des vereinfachten grenzüberschreitenden gerichtlichen Übergabeverfahrens bewertet, das 2004 das langwierige Auslieferungsverfahren der EU ersetzte und auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen beruht.

Am 6. Oktober 2021 hat das Parlament eine Entschließung zu künstlicher Intelligenz im Strafrecht und ihre Verwendung durch die Polizei und Justizbehörden in Strafsachen angenommen. Am 13. März 2024 nahm das Parlament seinen Standpunkt zu dem Vorschlag für eine Verordnung zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz (Gesetz über künstliche Intelligenz) an.

Das Parlament hat vor Kurzem Berichte und Entschließungen zu den folgenden Themen ausgearbeitet: Vorbeugung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, Korruptionsbekämpfung, Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und der Schutz von Opfern von Menschenhandel, Übertragung von Strafverfahren, Rechte der Opfer, Geldwäsche und die Finanzierung von Terrorismus, Einziehung und Vermögensabschöpfung, Hetze im Internet, die Aufdeckung und Entfernung von Darstellungen von sexuellem Missbrauch von Kindern, Cyberkriminalität, die Digitalisierung der Justiz, Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung, Terrorismus und gewaltbereite Radikalisierung, intrusive Spähsoftware und Einflussnahme aus dem Ausland und Desinformation

Am 12. März 2024 nahm das Parlament seinen Standpunkt zu einer neuen Richtlinie zur Bekämpfung von Verstößen gegen EU-Sanktionen an. Im Dezember 2022 schlug die Kommission als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine die vorliegende Richtlinie vor, die am 24. April 2024 angenommen wurde. In diesen Rechtsvorschriften werden Straftatbestände und Sanktionen für Verstöße gegen restriktive Maßnahmen der EU definiert, und gleichzeitig wird die Umgehung von Sanktionen unter Strafe gestellt.

Die Maßnahmen der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen befinden sich noch in der Entwicklung, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf die wirksamere Bekämpfung EU-weiter Gefahren und Kriminalität gelegt wird. Das Parlament hat spezifische Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus, grenzüberschreitender Kriminalität, Korruption, Betrug und Geldwäsche sowie zum Schutz der Rechte von Opfern, Verdächtigen und Strafgefangenen in der gesamten EU beschlossen. Außerdem wurden verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung des Informationsaustauschs zwischen den Mitgliedstaaten beschlossen.

 

Alessandro Davoli