Der soziale Dialog
Der soziale Dialog ist ein Grundbestandteil des europäischen Sozialmodells. Durch ihn sollen die Sozialpartner (Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter) dabei gefördert werden, aktiv – etwa im Rahmen von Vereinbarungen – an der Gestaltung der europäischen Sozial- und Beschäftigungspolitik mitzuwirken.
Rechtsgrundlage
Artikel 151 bis 156 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).
Ziele
Gemäß Artikel 151 AEUV gilt die Förderung des Dialogs zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern als gemeinsames Ziel der EU und der Mitgliedstaaten. Mit dem sozialen Dialog wird angestrebt, die europäische Politikgestaltung durch die Einbeziehung der Sozialpartner in die Beschlussfassung und die Umsetzung zu verbessern.
Errungenschaften
A. Entwicklung des (zweigliedrigen) sozialen Dialogs auf EU-Ebene
Nach dem Römischen Vertrag von 1957 gehört es zu den Aufgaben der Kommission, im Hinblick auf das Koalitionsrecht und die Kollektivverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern. Allerdings dauerte es mehrere Jahrzehnte, bis diese Bestimmung umgesetzt wurde.
Mit dem sozialen Dialog von Val Duchesse, der im Jahr 1985 auf Initiative von Kommissionspräsident Jacques Delors eingeleitet wurde, wurde darauf abgezielt, die Sozialpartner – vertreten durch den Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB), die Union der Industrien der Europäischen Gemeinschaft (UNICE) und den Europäischen Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft (CEEP) – am Binnenmarktprozess zu beteiligen. Als Ergebnis dieses Verfahrens wurden mehrere gemeinsame Erklärungen zu Beschäftigung, allgemeiner und beruflicher Bildung sowie anderen sozialen Themen abgegeben.
1986 wurde mit der Einheitlichen Europäischen Akte (Artikel 118b) eine Rechtsgrundlage für die Entwicklung des sozialen Dialogs auf EU-Ebene festgelegt. Von da an nahm der europäische soziale Dialog zunächst mit der Einrichtung eines Lenkungsausschusses erste Gestalt an. Dieses Gremium wurde 1992 schließlich zum Ausschuss für den sozialen Dialog (ASD), dem wichtigsten Forum für den zweigliedrigen sozialen Dialog auf europäischer Ebene. Der ASD tritt drei- bis viermal jährlich zusammen.
Im Jahr 1991 nahmen UNICE (jetzt BusinessEurope), EGB und CEEP (jetzt SGI Europe) eine gemeinsame Vereinbarung an, in der die obligatorische Anhörung der Sozialpartner im Hinblick auf europäische Rechtsvorschriften im sozialen Bereich sowie die Möglichkeit von Verhandlungen über Rahmenvereinbarungen zwischen den Sozialpartnern auf europäischer Ebene gefordert wurden. Diese Forderungen wurden in das Abkommen über die Sozialpolitik aufgenommen, das mit dem Protokoll über die Sozialpolitik dem Vertrag von Maastricht beigefügt wurde, wodurch den Sozialpartnern eine rechtmäßig anerkannte Rolle im europäischen Gesetzgebungsprozess zuerkannt wurde. Auf nationaler Ebene erhielten die Sozialpartner die Möglichkeit, mithilfe von Tarifverträgen Richtlinien umzusetzen.
Im Vertrag von Amsterdam (1997) wurde das Abkommen über die Sozialpolitik übernommen, wodurch schließlich ein einheitlicher Rahmen für den sozialen Dialog in der EU geschaffen wurde. Zu den branchenübergreifenden Ergebnissen dieses Verfahrens gehörten die Rahmenvereinbarungen über Elternurlaub (1995), Teilzeitarbeit (1997) und befristete Arbeitsverträge (1999), die alle durch Richtlinien des Rates umgesetzt wurden.
Im Vertrag von Lissabon (2009) wurde die Rolle der Sozialpartner noch stärker hervorgehoben (Artikel 152 AEUV), wobei betont wurde, dass bei der Förderung des Dialogs die Autonomie der Sozialpartner und die Unterschiedlichkeit der nationalen Systeme zu berücksichtigen sind.
Mit der Wirtschafts- und Finanzkrise im Jahr 2008 geriet der soziale Dialog jedoch zunehmend unter Druck und wurde gleichzeitig durch Dezentralisierung, eine gesunkene tarifvertragliche Abdeckung und staatliche Eingriffe in die Lohnpolitik geschwächt. Unter Jean-Claude Juncker ergriff die Kommission Maßnahmen, um diesem Niedergang entgegenzuwirken, darunter die Ankündigung eines „Neubeginns für den sozialen Dialog“ auf einer hochrangigen Konferenz im März 2015 und eine vierseitige Vereinbarung, die im Juni 2016 von den Sozialpartnern, der Kommission und dem Vorsitz im Rat der Europäischen Union unterzeichnet wurde. In dieser Vereinbarung wird die grundlegende Rolle des europäischen sozialen Dialogs im politischen Entscheidungsprozess der EU, insbesondere im Europäischen Semester, bekräftigt.
Auch im Rahmen der europäischen Säule sozialer Rechte von 2017 wird die Autonomie der Sozialpartner und ihr Recht auf Kollektivmaßnahmen festgelegt. Außerdem wird ihr Recht anerkannt, unter anderem durch Tarifverträge in die Gestaltung und Umsetzung der beschäftigungs- und sozialpolitischen Maßnahmen einbezogen zu werden. Die Kommission unter Ursula von der Leyen hat dieses Engagement für den sozialen Dialog mehrfach bekräftigt, etwa in den Mitteilungen zum europäischen Grünen Deal und zu einem starken sozialen Europa für einen gerechten Übergang, in der jährlichen Strategie für nachhaltiges Wachstum und in den entsprechenden mitgliedstaatenspezifischen Empfehlungen sowie in den Zielen der Aufbau- und Resilienzfazilität. Die Kommission veröffentlichte im Februar 2021 einen Bericht (den Nahles-Bericht) über die Stärkung des sozialen Dialogs, der bei der Ausarbeitung des im März 2021 vorgelegten Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte berücksichtigt wurde. Im Mai 2021 wurde die zentrale Rolle des sozialen Dialogs in der (von der Kommission, dem Parlament und den europäischen Sozialpartnern unterzeichneten) Erklärung von Porto für soziales Engagement und in der Erklärung des Europäischen Rates von Porto hervorgehoben.
Im Einklang mit dem Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte legte die Kommission Leitlinien für Solo-Selbständige vor, um sicherzustellen, dass das Wettbewerbsrecht kein Hemmnis für Tarifverträge zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen darstellt. Zudem schlug die Kommission eine Empfehlung des Rates vor, in der dargelegt wird, wie die Mitgliedstaaten den sozialen Dialog und Kollektivverhandlungen auf nationaler Ebene weiter stärken können. Außerdem gab sie eine Mitteilung zur Stärkung und Förderung des sozialen Dialogs auf EU-Ebene heraus.
Durch die Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union werden Tarifverhandlungen mit dem Ziel der Lohnfestsetzung gestärkt. Gleichzeitig werden Mitgliedstaaten mit einer tarifvertraglichen Abdeckung von unter 80 % verpflichtet, einen Aktionsplan zur Förderung von Tarifverhandlungen anzunehmen.
B. Erfolge des sozialen Dialogs auf EU-Ebene
Gemäß Artikel 154 AEUV muss die Kommission die Sozialpartner anhören, bevor sie Maßnahmen im Bereich der Sozialpolitik ergreift. Die Sozialpartner können dann beschließen, stattdessen unter sich eine Vereinbarung auszuhandeln. Dafür haben sie neun Monate Zeit und können anschließend
- eine Vereinbarung schließen und gemeinsam die Kommission ersuchen, einen Durchführungsbeschluss des Rates vorzuschlagen,
- eine Vereinbarung schließen, die sie selbst entsprechend ihren jeweiligen Verfahren und Gepflogenheiten und denen der Mitgliedstaaten umsetzen („freiwillige Vereinbarungen“ oder später „autonome Vereinbarungen“) oder
- zu dem Ergebnis gelangen, dass sie keine Einigung erzielen können. In diesem Fall nimmt die Kommission ihre Arbeit an dem betreffenden Vorschlag wieder auf.
Nach Artikel 153 AEUV haben die Mitgliedstaaten außerdem die Möglichkeit, den Sozialpartnern die Umsetzung eines Beschlusses des Rates über einen auf europäischer Ebene unterzeichneten Tarifvertrag zu übertragen.
Nach dem Beschluss der Kommission aus dem Jahr 1998 wurde der sektorale Dialog auf entscheidende Weise weiterentwickelt. In den wichtigsten Wirtschaftsbereichen wurden mehrere Ausschüsse geschaffen, wodurch wertvolle Ergebnisse erzielt werden konnten. Die drei europäischen Vereinbarungen über die Regelung der Arbeitszeit von Seeleuten (1998), über die Arbeitszeitorganisation für das fliegende Personal der Zivilluftfahrt (2000) und über bestimmte Aspekte der Einsatzbedingungen des fahrenden Personals im interoperablen grenzüberschreitenden Verkehr (2005) wurden durch Beschlüsse des Rates abgeschlossen und umgesetzt. Das im April 2006 unterzeichnete Übereinkommen über den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer durch gute Handhabung und Verwendung von kristallinem Siliziumdioxid und dieses enthaltender Produkte war die erste branchenübergreifende Vereinbarung. Weitere branchenspezifische Vereinbarungen folgten und wurden durch Richtlinien des Rates umgesetzt: eine Rahmenvereinbarung zur Vermeidung von Verletzungen durch scharfe/spitze Instrumente im Krankenhaus- und Gesundheitssektor, eine Vereinbarung zur Vermeidung von Verletzungen von Arbeitnehmern im Gesundheitssektor durch scharfe/spitze medizinische Instrumente, eine Vereinbarung über die Arbeit im Fischereisektor und eine Vereinbarung zwischen den Sozialpartnern im Seeverkehr.
Bei anderen Vereinbarungen hat die Kommission jedoch beschlossen, keinen Beschluss des Rates vorzuschlagen.
Nachdem ein früherer Antrag auf einen Beschluss des Rates zur Durchführung einer Vereinbarung über Gesundheit und Sicherheit im Friseurgewerbe von einigen Mitgliedstaaten abgelehnt worden war, unterzeichnete die Branche im Juni 2016 eine neue europäische Rahmenvereinbarung zum selben Thema und beantragte deren Umsetzung durch einen Beschluss des Rates. Die Kommission beschloss, vor der Ausarbeitung eines Vorschlags über einen Beschluss des Rates eine angemessene Folgenabschätzung durchzuführen. In einem offenen Brief an Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker erhoben die Sozialpartner Einwände dagegen, das Folgenabschätzungsverfahren als Rechtfertigung dafür heranzuziehen, dem Rat die Vereinbarung nicht vorzulegen. Anfang 2018 teilte die Kommission den Sozialpartnern mit, dass sie keinen Beschluss des Rates vorschlagen werde. Stattdessen schlug sie vor, die autonome Umsetzung der Vereinbarung durch einen Aktionsplan zu unterstützen. Die Sozialpartner stimmten zu, und im Dezember 2019 einigten sich die Sozialpartner im Friseurgewerbe und die Kommission auf eine Reihe von Maßnahmen zur Unterstützung der Umsetzung der Vereinbarung.
Im März 2018 teilte die Kommission den Sozialpartnern durch die Regierungen der Mitgliedstaaten mit, sie werde deren Vereinbarung von 2015 über Rechte auf Unterrichtung und Anhörung nicht als Vorschlag für die Umsetzung in Form einer Richtlinie an den Rat übermitteln (2.3.6). Nach einer Klage des Europäischen Gewerkschaftsverbands für den öffentlichen Dienst (EGÖD) entschied der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) am 24. Oktober 2019, dass die Kommission durch das Initiativrecht befugt ist, zu entscheiden, ob die Vereinbarungen der Sozialpartner in allen Mitgliedstaaten rechtsverbindlich gelten sollten oder nicht. Der EPSU legte erfolglos Berufung gegen die Entscheidung ein.
Die Vereinbarung über Telearbeit (2002) war die erste Vereinbarung, die in Übereinstimmung mit der weiter oben genannten zweiten Möglichkeit als „autonome Vereinbarung“ umgesetzt wurde. Auf diese folgten weitere autonome Vereinbarungen über arbeitsbedingten Stress und über die europäische Lizenz für die grenzüberschreitend tätigen Lokführer bei Interoperabilität (beide 2004), über Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz (2007), über integrative Arbeitsmärkte (2010), über aktives Altern und einen generationenübergreifenden Ansatz (2017) sowie über Digitalisierung (2020).
In anderen Fällen konnten die Sozialpartner keine Einigung erzielen. Die Verhandlungen über eine Rahmenvereinbarung zur Leiharbeit zum Beispiel scheiterten im Mai 2001. Daher schlug die Kommission im März 2002 eine Richtlinie vor, die auf dem zwischen den Sozialpartnern erreichten Konsens beruhte und die im Jahr 2008 angenommen wurde. In ähnlicher Weise schlug die Kommission 2004 eine Überarbeitung der Richtlinie über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vor, nachdem die Sozialpartner die Aufnahme von Verhandlungen abgelehnt hatten. Nachdem Parlament, Kommission und Rat diesbezüglich im Jahr 2009 keine Einigung erzielen konnten, musste auch ein erneuter Verhandlungsprozess zwischen den europäischen Sozialpartnern im Dezember 2012 abgebrochen werden. Grund dafür waren Differenzen in Zusammenhang mit der Einstufung des Bereitschaftsdiensts. Im Jahr 2013 nahm die Kommission das Überprüfungs- und Folgenabschätzungsverfahren wieder auf, führte 2015 eine öffentliche Anhörung durch und veröffentlichte im Jahr 2017 einen Bericht über die Durchführung sowie eine Mitteilung zu Auslegungsfragen. Einige Aspekte im Zusammenhang mit der Arbeitszeit wurden seitdem in andere Rechtsvorschriften aufgenommen, beispielsweise in die Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, in die Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen sowie in die geänderte Lenkzeiten-Verordnung.
C. Der dreigliedrige soziale Dialog
Seit Beginn der europäischen Integration wurde es als wichtig erachtet, wirtschaftliche und soziale Interessengruppen in die Ausarbeitung europäischer Rechtsvorschriften einzubeziehen. Der Beratende Ausschuss der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss sind Belege dafür. Seit 2003 kommen auf dem Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung hochrangige Vertreter des jeweils amtierenden Vorsitzes im Rat der Europäischen Union, der zwei künftigen Vorsitze, der Kommission und der Sozialpartner zusammen, um eine kontinuierliche Konsultation zu ermöglichen. Der Dreigliedrige Sozialgipfel findet mindestens zweimal jährlich vor den Gipfeltreffen des Europäischen Rates im Frühjahr und im Herbst statt.
Beim Gipfeltreffen der Sozialpartner in Val Duchesse im Januar 2024 unterzeichneten die Kommission, der belgische Ratsvorsitz und die europäischen Sozialpartner eine neue Dreigliedrige Erklärung für einen dynamischen europäischen sozialen Dialog, in der die Teilnehmer ihre Bereitschaft zur Stärkung des sozialen Dialogs auf EU-Ebene erneuerten. Neben der Bekämpfung des Fachkräfte- und Arbeitskräftemangels und der Stärkung der Rolle der Sozialpartner sieht die Erklärung die Einrichtung eines Beauftragten für den europäischen sozialen Dialog als Kontaktstelle für die Sozialpartner sowie die Schaffung eines Pakts für den sozialen Dialog vor, der bis Anfang 2025 geschlossen werden soll.
Rolle des Europäischen Parlaments
Das Parlament hält den sozialen Dialog für ein wesentliches Element in der Tradition der Mitgliedstaaten. Der Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten des Parlaments hat die Sozialpartner auf EU-Ebene wiederholt aufgefordert, ihren Standpunkt darzulegen. Mit dem Vertrag von Lissabon wird dem Parlament das Recht eingeräumt, über die Umsetzung der auf EU-Ebene geschlossenen Vereinbarungen (Artikel 155 AEUV) ebenso unterrichtet zu werden wie über Initiativen der Kommission zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten (Artikel 156 AEUV), darunter auch Angelegenheiten in Bezug auf das Koalitionsrecht und auf Kollektivverhandlungen.
In einer Entschließung vom März 2014 und erneut in einer Entschließung vom Februar 2017 forderte das Parlament die Stärkung der Rolle der Sozialpartner im neuen Prozess der wirtschaftspolitischen Steuerung. In diesem Sinne forderte das Parlament in seiner Entschließung vom April 2018 die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die konkreten Unterstützungsmaßnahmen für einen sinnvollen sozialen Dialog, der über die bloße Konsultation hinausgeht, zu intensivieren. In seiner Entschließung zum Vorschlag für eine Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen und seiner Entschließung zum Vorschlag für eine Verordnung zur Errichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde bekräftigte das Parlament im April 2019, dass die Autonomie der Sozialpartner, ihre Fähigkeit, Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu vertreten, und die Vielfalt der nationalen Systeme der Arbeitsbeziehungen stets geachtet werden müssen. Das Parlament weißt auch in einer Entschließung vom Dezember 2021 auf die Schlüsselrolle der Sozialpartner und des sozialen Dialogs hin. Außerdem fordert das Parlament die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, sich zusammen mit den Sozialpartnern dafür einzusetzen, bis 2030 eine tarifvertragliche Abdeckung von 90 % zu erreichen.
Seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat das Parlament betont, dass ein angemessener sozialer Dialog auf allen Ebenen erforderlich ist, um den Aufbauplan für Europa erfolgreich umzusetzen. Diesen Umstand unterstrich es durch eine Entschließung vom Oktober 2020 und eine Entschließung vom März 2021. In diesen Entschließungen wird hervorgehoben, dass der soziale Dialog und Tarifverhandlungen wichtige Instrumente für Arbeitgeber und Gewerkschaften sind, um gerechte Löhne und faire Arbeitsbedingungen einzuführen, und dass die Resilienz der Mitgliedstaaten in Zeiten der Wirtschaftskrise durch stärkere Tarifverhandlungssysteme verbessert wird. Das Parlament bekräftigte auch frühere Forderungen nach Unterstützung des Kapazitätsaufbaus und einer Aufwertung der Beteiligung der Sozialpartner am europäischen Semester. Es forderte außerdem, dass die länderspezifischen Empfehlungen in Zukunft um ein Ergebnis hinsichtlich der Beteiligung der Sozialpartner an den Lohnfindungsmechanismen erweitert werden. Darüber hinaus schlug das Parlament vor, dass für Unternehmen, die Zugang zu öffentlichen Mitteln erhalten möchten, Fairness-Klauseln in Betracht gezogen werden, mit denen diese Unternehmen verpflichtet werden, Tarifverhandlungen und die Beteiligung oder Mitbestimmung der Arbeitnehmer an Entscheidungsprozessen in Unternehmen zuzulassen.
In seiner Entschließung vom Februar 2023 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats (EBR) betonte das Parlament, dass es von wesentlicher Bedeutung sei, die Europäischen Betriebsräte und ihre Fähigkeit, ihre Rechte auf Unterrichtung und Anhörung wahrzunehmen, zu stärken und die Zahl der Betriebsräte zu erhöhen. Des Weiteren forderte es die Kommission erneut auf, einen Vorschlag für eine Überarbeitung der Richtlinie über die Einsetzung eines EBRs von 2009 vorzulegen, um deren Ziele, Begriffsbestimmungen und Verfahren zu präzisieren und das Recht der Arbeitnehmervertreter auf Unterrichtung und Anhörung, insbesondere während Umstrukturierungsprozessen, zu stärken. Ein entsprechender Vorschlag wurde im Januar 2024 vorgelegt und wird derzeit von den beiden gesetzgebenden Organen diskutiert.
In einer Entschließung vom Juni 2023 forderte das Parlament die Mitgliedstaaten auf, alle nationalen Rechtsvorschriften, die Tarifverhandlungen verhindern, zu überprüfen und aufzuheben. Es forderte die Kommission auch nachdrücklich auf, die Sozialklausel in der bestehenden EU-Richtlinie über die Vergabe öffentlicher Aufträge durchzusetzen. Ferner forderte es die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Sozialpartner zu ökologischen Fragen und zum gerechten Übergang zu konsultieren, und zwar als Standardverfahren während des gesamten Politikgestaltungszyklus.
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie auf der Website des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten.
Samuel Goodger / Monika Makay