Bankenunion
Die Bankenunion beruht auf einem Vorschlag, den die Europäische Kommission 2012 vorlegte, einige Jahre nach dem Ausbruch der schweren Finanzkrise in der EU. Die wichtigste Neuerung bestand darin, dass die Verantwortung für die tägliche Aufsicht über die größten Banken im Euro-Währungsgebiet von der nationalen auf die europäische Ebene übertragen wurde. Von da an wurde die Europäische Zentralbank (EZB) sowohl mit geldpolitischen Aufgaben als auch mit Aufsichtsaufgaben betraut, auch wenn diese strikt voneinander getrennt bleiben mussten. Eine weitere Einrichtung – der Einheitliche Abwicklungsausschuss (SRB) – wurde auf europäischer Ebene eingerichtet, um den Ausfall großer Banken anzugehen. Ein drittes Element, ein europäisches Einlagenversicherungssystem, wurde häufig gefordert, auch vom Europäischen Parlament, wurde jedoch bisher nicht eingeführt.
Rechtsgrundlage
Artikel 114 und Artikel 127 Absatz 6 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).
Ziele
Die Bankenunion ist eine wesentliche Ergänzung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) und des Binnenmarkts. Durch die Bankenunion wird die Verantwortung für die Aufsicht und das Krisenmanagement auf EU-Ebene zusammengeführt. So wird auch das einheitliche Regelwerk, das für Banken in der EU gilt, im gesamten Euro-Währungsgebiet einheitlich durchgesetzt. Insbesondere soll durch die Bankenunion sichergestellt werden, dass die Banken nur mäßige Risiken eingehen und dass ausfallende Banken geordnet und mit möglichst geringen Auswirkungen auf die Realwirtschaft und die öffentlichen Finanzen der teilnehmenden EU-Länder abgewickelt werden können.
Ergebnisse
A. Fahrplan für die Bankenunion
Im Dezember 2012 entwarf der Präsident des Europäischen Rates in enger Zusammenarbeit mit den Präsidenten der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Euro-Gruppe einen spezifischen Fahrplan mit Terminvorgaben für die Errichtung einer echten WWU. Einer der wesentlichen Punkte dieses Fahrplans war die Schaffung eines stärker integrierten Finanzrahmens, d. h. der Bankenunion.
B. Einigung über den SSM
Im März 2013 erzielten das Parlament und der Rat eine politische Einigung über die Errichtung des ersten Pfeilers der Bankenunion, des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM), der alle Banken im Euro-Währungsgebiet umfasst. Die Mitgliedstaaten, die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehören, können sich freiwillig am SSM beteiligen. Der SSM, der seit November 2014 im Einsatz ist, wurde der EZB zugeordnet und ist für die direkte Aufsicht über die größten und bedeutendsten Bankenkonsortien zuständig, während alle anderen Banken weiterhin von den nationalen Aufsichtsbehörden – unter der Koordinierung und letztendlichen Verantwortlichkeit der EZB – beaufsichtigt werden. Die Kriterien für die Feststellung, ob Banken systemrelevant sind – und somit unter die direkte Beaufsichtigung durch die EZB fallen –, sind in der SSM-Verordnung und der SSM-Rahmenverordnung festgelegt und beziehen sich auf die Größe, die wirtschaftliche Bedeutung, die grenzüberschreitende Tätigkeit und den Bedarf an direkter staatlicher Unterstützung einer Bank. Im Einklang mit der Entwicklung dieser Kriterien ändert sich die Anzahl der Banken, die tatsächlich direkt von der EZB beaufsichtigt werden, somit im Laufe der Zeit; die EZB kann außerdem jederzeit entscheiden, eine Bank als systemrelevant einzustufen, falls das erforderlich ist, um dafür zu sorgen, dass hohe Aufsichtsstandards konsequent angewandt werden.
Um einen potenziellen Interessenkonflikt zu vermeiden, werden die organisatorische und die operative Trennung der Funktionen der EZB in den Bereichen Aufsicht und Geldpolitik durch klare Vorschriften geregelt.
C. Umfassende Bewertung
Vor der Übernahme ihrer Aufsichtsfunktionen hat die EZB eine „Prüfung der finanziellen Gesundheit“ der Banken durchgeführt, die als umfassende Bewertung bezeichnet wird und eine Überprüfung der Aktiva-Qualität und Stresstests umfasste. Das Ziel dieses Verfahrens bestand darin, für größere Transparenz der Bilanzen der Banken zu sorgen, um einen verlässlichen Ausgangspunkt zu erhalten. Die im Oktober 2014 veröffentlichten Ergebnisse zeigten, dass 25 der 130 teilnehmenden Banken eine unzureichende Kapitalausstattung aufwiesen.
Für alle Banken wurde daraufhin ein ähnliches Gutachten zu ihrer „finanziellen Gesundheit“ erstellt, als sie erstmals unter die direkte Beaufsichtigung fielen. Nachdem Bulgarien beispielsweise um eine enge Zusammenarbeit zwischen der EZB und der bulgarischen Nationalbank ersucht hatte, führte die EZB eine umfassende Bewertung von sechs bulgarischen Banken durch, deren Ergebnisse sie im Juli 2019 veröffentlichte.
Von 2014 bis 2022 wurden die beiden Teile der umfassenden Bewertung (Überprüfung der Aktiva-Qualität und Stresstests) parallel durchgeführt. Die Ergebnisse wurden dann zusammengeführt und gleichzeitig veröffentlicht. Im Jahr 2022 beschloss die EZB jedoch, die umfassende Bewertung aufzuteilen, die beiden Teile künftig als unabhängige Aufgaben durchzuführen und die Ergebnisse unabhängig voneinander zu veröffentlichen.
D. SRB/SRM
Im März 2014 wurde zwischen dem Parlament und dem Rat eine politische Einigung über die Errichtung des zweiten Pfeilers der Bankenunion, des einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM), erzielt. Mit dem SRM soll in erster Linie dafür gesorgt werden, dass ausfallende Banken in der Bankenunion effizient und mit minimalen Kosten für die Steuerzahler und die Realwirtschaft abgewickelt werden. Wenn ein Eingreifen erforderlich ist, übernimmt eine zentrale Behörde – der Ausschuss für einheitliche Abwicklung (SRB) – die Verantwortung für die Entscheidung, die Abwicklung einer Bank einzuleiten, während die Entscheidung operativ in Zusammenarbeit mit den nationalen Abwicklungsbehörden umgesetzt wird. Der SRB hat seine Arbeit als unabhängige Einrichtung der EU im Januar 2015 aufgenommen und ist seit Januar 2016 uneingeschränkt einsatzfähig.
Im Juni 2017 traf der SRB seine erste Abwicklungsentscheidung im Fall der Banco Popular. Der SRB beschloss jedoch, im Juni 2017 in Bezug auf die Banca Popolare di Vicenza und die Veneto Banca, im Februar 2018 in Bezug auf die ABLV Bank AS und ihre Tochtergesellschaft ABLV Bank Luxembourg S.A. und im August 2019 in Bezug auf die AS PNB Banka keine Abwicklungsmaßnahmen zu ergreifen.
Stattdessen wurde gegen diese Banken ein nationales Insolvenzverfahren eingeleitet. Im März 2022 fasste der SRB mehrere Beschlüsse zum Ausfall der Sberbank Europe AG, einer Bankengruppe, deren Teile später teilweise aufgelöst und teilweise von anderen Banken übernommen wurden (weitere Informationen finden Sie hier).
E. CRD/CRR
Durch Mindestkapitalanforderungen wird festgelegt, wie viel Kapital eine Bank halten muss, damit man davon ausgehen kann, dass sie sicher arbeiten und allein mit operativen Verlusten fertig werden kann. Während der Finanzkrise ist deutlich geworden, dass die vorherigen regulatorischen Mindestkapitalanforderungen für den Fall einer größeren Krise zu niedrig waren. Daher wurde auf internationaler Ebene vereinbart, die jeweiligen Mindestschwellen zu erhöhen (Basel-III-Standards). Im April 2013 nahmen das Parlament und der Rat zwei Rechtsakte an, mit denen die Eigenkapitalanforderungen für Banken in europäisches Recht umgesetzt werden, und zwar die vierte Eigenkapitalrichtlinie (CRD) und die Eigenkapitalverordnung (CRR). Die CRD und die CRR traten im Januar 2014 in Kraft.
Die Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt wird durch ein einheitliches Regelwerk für alle Banken in der EU gestärkt, da der Großteil der von den Banken zu erfüllenden technischen Vorschriften nun die Form unmittelbar geltender Verordnungen hat. Dadurch werden Reibungen vermieden, die bei der Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht entstehen können. Darüber hinaus mussten in den vom Parlament und vom Rat angenommenen Rechtsakten noch einige technische Einzelheiten abschließend geregelt werden. Der Kommission wurde daher die Befugnis übertragen, ergänzende Rechtsakte (sogenannte Maßnahmen der Stufe 2) zu erlassen, in denen die fehlenden technischen Einzelheiten festgelegt werden.
Im November 2016 stellte die Kommission ein umfassendes Reformpaket zur Änderung der Bestimmungen der CRD und der CRR vor. Die zwei Legislativvorschläge zur Änderung der CRD und der CRR wurden im Parlament parallel verhandelt. Im Juni 2018 verabschiedete der Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Parlaments seinen vollständigen Bericht über die Änderungsvorschläge. Im Juni 2019 wurden die geänderte Eigenkapitalrichtlinie (CRD V) und Eigenkapitalverordnung (CRR II) im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.
F. Europäisches Einlagenversicherungssystem (EDIS)
Im November 2015 legte die Kommission einen Legislativvorschlag vor, mit dem die Bankenunion um ein drittes Element ergänzt werden sollte, nämlich das europäische Einlagenversicherungssystem (EDIS). Der ursprüngliche Vorschlag der Kommission baute auf den bestehenden nationalen Einlagensicherungssystemen auf und empfahl eine schrittweise Einführung des EDIS. Der Vorschlag wurde als insgesamt kostenneutral für den Bankensektor konzipiert (auch wenn Banken mit höheren Risiken höhere Beiträge als risikoärmere Banken zahlen sollten). Zudem wurden ergänzende Sicherungsmechanismen und Maßnahmen zur Verringerung von Risiken im Bankgeschäft vorgeschlagen.
Die Berichterstatterin des Europäischen Parlaments, Esther de Lange, veröffentlichte ihren Entwurf eines Berichts über das EDIS im November 2016. Die anschließenden Erörterungen im Parlament und im Rat offenbarten in der Endphase unterschiedliche Standpunkte hinsichtlich der Ausgestaltung des Systems. Um Fortschritte zu erleichtern, veröffentlichte die Kommission im Oktober 2017 eine zusätzliche Mitteilung, in der sie einige Optionen für die Gestaltung des EDIS vorschlug. Im Dezember 2020 einigten sich die drei EU-Organe in dem entsprechenden Arbeitsdokument auf die legislativen Prioritäten für 2021, einschließlich des EDIS.
Der neue Berichterstatter für dieses Dossier, Othmar Karas, legte seinen Entwurf eines Berichts vor, der am 20. März 2024 im ECON-Ausschuss erörtert wurde. In dem Bericht wird vorgeschlagen, das EDIS in drei Phasen einzuführen, wobei nur für die erste Phase („EDIS I“) Bestimmungen vorgesehen sind. Damit wird das Ziel verfolgt, auf der Grundlage eines neuen Vorschlags der Kommission zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Vollversicherungssystem mit Verlustdeckung voranzuschreiten.
G. CMDI-Reform
Zwar würden viele darin übereinstimmen, dass die Übertragung der Zuständigkeit für die tägliche Aufsicht über die größten Banken im Euro-Währungsgebiet von der nationalen auf die europäische Ebene insgesamt gut funktioniert hat, doch ist das letzte Wort zu der Frage, ob der derzeitige Rahmen für die Bankenabwicklung geeignet ist, noch nicht gesprochen.
Angesichts der Erfahrung, dass der Ausfall einiger mittelgroßer und kleinerer Banken außerhalb des Abwicklungsrahmens angegangen wurde – wobei manchmal Steuergelder anstelle der für diesen Zweck vorgesehenen Mittel (interne Ressourcen der Banken oder branchenfinanzierte Sicherheitsnetze wie der einheitliche Abwicklungsfonds) zum Einsatz kamen –, schlug die Kommission eine Reihe von Änderungen an den Rechtsrahmen vor, die unter dem Titel „Reform des Rahmens für das Krisenmanagement im Bankensektor und für die Einlagensicherung“ (CMDI) zusammengefasst wurden (weitere Informationen finden Sie hier).
Der Berichterstatter Luděk Niedermayer legte einen Bericht im Hinblick auf Frühinterventionsmaßnahmen, Abwicklungsvoraussetzungen und die Finanzierung von Abwicklungsmaßnahmen vor, über den im März 2024 im Ausschuss abgestimmt wurde. Der Bericht soll nun auf der Tagesordnung der zweiten Plenartagung im April stehen.
Rolle des Europäischen Parlaments
Als Reaktion auf den Fahrplan hin zu einer echten WWU hat das Parlament am 20. November 2012 eine Entschließung mit dem Titel „Auf dem Weg zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion“ angenommen, die Empfehlungen an die Kommission zur Errichtung einer echten Bankenunion enthält. Indem es die Rechtsakte zu SSM, SRM, DGS, BRRD und CRD IV in den Jahren 2013 und 2014 angenommen und Änderungen daran eingebracht hat, hat das Parlament wesentlich zur Schaffung einer echten Bankenunion beigetragen.
Durch diese Rechtsakte erhält das Parlament eine Kontrollfunktion über die neu eingerichteten Institutionen. Die EZB ist in ihrer Rolle als Aufsichtsorgan (d. h. innerhalb des SSM) dem Parlament und dem Rat gegenüber rechenschaftspflichtig. Einzelheiten hinsichtlich der Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament sind in einer Interinstitutionellen Vereinbarung (IIV) zwischen dem Parlament und der EZB festgelegt.
Bisher haben im Ausschuss für Wirtschaft und Währung 28 öffentliche Anhörungen des Vorsitzes des SSM stattgefunden, und zwar im März 2014, November 2014, März 2015, Oktober 2015, März 2016, Juni 2016, November 2016, März 2017, Juni 2017, November 2017, März 2018, Juni 2018, November 2018, März 2019, September 2019, Dezember 2019, Mai 2020, Oktober 2020,März 2021, Juli 2021, Oktober 2021, März 2022, Juni 2022, Dezember 2022, März 2023, Juni 2023, November 2023 und März 2024.
Das gleiche Verfahren findet beim Ausschuss für einheitliche Abwicklung Anwendung, dessen Vorsitz sich mindestens einmal in jedem Kalenderjahr einer Anhörung über die Durchführung der Abwicklungsaufgaben vor dem zuständigen Ausschuss des Parlaments stellen muss. Bisher haben im Ausschuss für Wirtschaft und Währung 25 öffentliche Anhörungen des SRB stattgefunden, und zwar im Juni 2015, Januar 2016, Juli 2016, Dezember 2016, März 2017, Juli 2017, Dezember 2017, März 2018, Juli 2018, Dezember 2018, April 2019, Juli 2019, Dezember 2019, Mai 2020, Oktober 2020, März 2021, Juli 2021, Dezember 2021, März 2022, Juli 2022, November 2022, März 2023, Juli 2023, Dezember 2023 und März 2024.
Einzelheiten hinsichtlich der Rechenschaftspflicht des SRB gegenüber dem Parlament und der damit zusammenhängenden praktischen Modalitäten sind in einer Interinstitutionellen Vereinbarung zwischen dem Parlament und dem SRB festgelegt, die am 24. Dezember 2015 veröffentlicht wurde.
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie auf der Website des Ausschusses für Wirtschaft und Währung (hier).
Marcel Magnus