Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems
Die EU hat ihr Asyl- und Migrationssystem überarbeitet, um sicherzustellen, dass die EU-Mitgliedstaaten einander bei der Bewältigung des Migrationsdrucks helfen.
In den vergangenen Jahren flohen zahlreiche Menschen vor Krieg, Konflikten, Terror und Verfolgung in ihren Ländern nach Europa. Im Jahr 2022 wurden in den EU-Mitgliedstaaten 966.000 Asylanträge gestellt, fast doppelt so viele wie 2021. Im Jahr 2023 wurden über 380.000 irreguläre Grenzübertritte verzeichnet, die höchste Zahl seit 2016.
Die EU hat beschlossen, ihr Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS) zu reformieren, um sicherzustellen, dass alle EU-Mitgliedstaaten zum Asylmanagement beitragen.
Mehr Solidarität mit der neuen Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement
Das Verfahren zur Beantragung des Flüchtlingsstatus wurde bisher durch die Dublin-Verordnung bestimmt. Nach dieser Verordnung war in der Regel das erste EU-Land, das ein Migrant betrat, für die Bearbeitung von Asylanträgen zuständig.
Überarbeitung der Dublin-Verordnung
Das auf der Dublin-Verordnung beruhende System aus dem Jahr 2003 zielte darauf ab, ein einziges EU-Land zu identifizieren, das für die Bearbeitung eines Asylantrags zuständig ist. Als die Zahl der Asylsuchenden, die nach Europa kamen, 2015 massiv anstieg, hatten Länder wie Griechenland und Italien Schwierigkeiten, alle Antragsteller aufzunehmen. Das EU-Parlament fordert bereits seit 2009 eine Überarbeitung des Dublin-Systems.
Im September 2020 schlug die Europäische Kommission ein neues Migrations- und Asylpaket vor, das verbesserte und schnellere Verfahren im gesamten Asyl- und Migrationssystem der EU vorsieht.
Das neue Migrations- und Asylpaket
In dem neuen Paket wird der Schwerpunkt auf eine verbesserte Grenzverwaltung gelegt sowie auf verbesserte Asylverfahren für Personen, die an der Grenze um Asyl ersuchen. Außerderm wird eine neue obligatorische Vorabkontrolle eingeführt, um die Bearbeitung von Anträgen zu beschleunigen.
Ein zentraler Pfeiler des Pakts ist die Notwendigkeit, dass alle EU-Mitgliedstaaten Solidarität mit den Ländern zeigen, die viele Migranten aufnehmen.
Das System fördert flexible Beiträge von EU-Ländern, die von der Umsiedlung von Asylbewerbern aus dem Land der ersten Einreise über finanzielle Beiträge bis hin zu operativer und technischer Unterstützung reichen.
Im Februar 2024 einigten sich das Parlament und die EU-Mitgliedstaaten auf den endgültigen Text der Gesetzgebungsdossiers des neuen Migrations- und Asylpakts und legten neue Regeln für die Steuerung von Asyl- und Migrationsströmen fest. Nachdem das Gesamtpaket im April 2024 verabschiedet wurde, haben die EU-Länder zwei Jahre Zeit, das neue System in ihre nationalen Gesetze zu übernehmen.
Die neue Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement
Zu diesem neuen Regelwerk gehört auch die Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement, die die Dublin-Verordnung ersetzt und sich auf den Grundsatz der Solidarität unter den EU-Ländern konzentriert.
Die Mitgliedstaaten können die EU-Länder, die unter Migrationsdruck stehen, unterstützen, indem sie sich entweder verpflichten, einen Teil der Migranten aufzunehmen und ihre Anträge zu bearbeiten, indem sie finanzielle Beiträge leisten oder indem sie bei Bedarf operative und technische Unterstützung leisten. Jedes EU-Land kann frei entscheiden, welche Art von Beitrag es leisten möchte.
Die Europäische Kommission wird einen Jahresbericht über die Asyl- und Aufnahmesituation sowie über die Gesamtsituation der Migrationsströme erstellen, der als Grundlage für die Entscheidung über die Reaktion der EU auf die Migration dienen wird.
Die neuen Regeln fördern auch die Zusammenarbeit mit Drittstaaten, um die Ursachen der irregulären Migration und Zwangsvertreibung anzugehen. Diese Zusammenarbeit sollte auf den Menschenrechten basieren und die gemeinsamen Werte der EU respektieren.
Im Dezember 2023 nahm die Europäische Kommission ein Abkommen mit Tunesien an, um zur Eindämmung der irregulären Migration bei gleichzeitiger Wahrung der Menschenrechte beizutragen. Im März 2024 unterzeichnete die Kommission ein ähnliches Abkommen mit Ägypten.
EU-Neuansiedlungsrahmen: Sichere Wege nach Europa
Unter Neuansiedlung („Resettlement“) versteht man einen Prozess, bei dem Drittstaatsangehörige, die internationalen Schutz benötigen, auf Vorschlag des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) von einem Drittstaat in einen Mitgliedstaat der EU überstellt werden, wo sie dann als Flüchtlinge bleiben dürfen. Es handelt sich dabei um eine der bevorzugten Optionen, um für Flüchtlinge sichere und legale Wege nach Europa zu schaffen.
Das EU-Parlament hebt hervor, dass ein dauerhaftes und verbindliches EU-Neuansiedlungsprogramm nötig sei, um eine dauerhafte Lösung zu schaffen.
Im April 2024 genehmigte das Parlament offiziell die Regeln eines Neuansiedlungsrahmens der Europäischen Union, der die bestehenden Ad-hoc-Regelungen ersetzen und zu einer strafferen EU-Politik führen soll. Der Rahmen sieht vor, dass EU-Mitgliedstaaten gefährdete Flüchtlinge, die sich in Drittstaaten aufhalten, freiwillig neu ansiedeln. Diese Menschen werden die Möglichkeit erhalten, auf legale, organisierte und sichere Weise europäischen Boden zu erreichen. In dem auf zwei Jahre angelegten EU-Plan zur Neuansiedlung und humanitären Aufnahme sind die maximale Gesamtzahl der aufzunehmenden Personen und der Beitrag der EU-Mitgliedstaaten festgelegt.
Stärkung des Eurodac-Systems
Eurodac ist ein groß angelegtes IT-System, in dem die digitalisierten Fingerabdrücke von Asylbewerbern und irregulären Migranten gespeichert und verarbeitet werden. Dies hilft bei der Verwaltung von Asylanträgen.
Asylbewerber, die älter als 14 Jahre sind, müssen bei der Einreichung ihres Antrags überall in der EU ihre Fingerabdrücke abgeben. Diese Fingerabdrücke werden an die zentrale Eurodac-Datenbank übermittelt, wo sie mit bestehenden Datensätzen verglichen werden können.
Im Dezember 2023 erzielten das Europäische Parlament und die EU-Regierungen eine vorläufige Einigung über eine Reform, die den Anwendungsbereich des Systems erweiterte:
- es werden mehr Daten erfasst, einschließlich Gesichtsbildern;
- Nicht-EU-Bürger, die sich irregulär in der EU aufhalten, ohne Asyl zu beantragen, werden ebenfalls erfasst;
- die Daten werden für alle Personen ab sechs Jahren und nicht mehr ab 14 Jahren erhoben.
Durch diese Änderungen werden eine bessere Kontrolle und Aufdeckung von unerlaubten Bewegungen in der EU ermöglicht. Die Änderungen tragen außerdem dazu bei, Personen zu identifizieren, die ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten.
Das Abkommen wurde im April 2024 vom Parlament offiziell angenommen.
Mehr Einheitlichkeit bei der Anwendung der Asylvorschriften
Gründe für die Gewährung von Asyl
Mit der Anerkennungsverordnung sollen die Gründe für die Gewährung von Asyl geklärt werden. Zudem soll eine Gleichbehandlung von Asylsuchenden in allen Mitgliedstaaten sichergestellt werden.
Das Parlament und der Rat im Dezember 2022 eine vorläufige Einigung über die Regeln. Der Einigung zufolge soll der Schutz nur so lange gewährt werden, wie der Flüchtling bedroht ist, und anerkannte Flüchtlinge sollen eine verlängerbare Aufenthaltserlaubnis für mindestens drei Jahre erhalten. Ihre Bewegungsfreiheit wäre auf das Land beschränkt, das ihren Antrag bearbeitet.
Das Abkommen wurde im April 2024 vom Parlament offiziell angenommen.
Aufnahmebedingungen
Mit der Aktualisierung der Richtlinie über die Aufnahmebedingungen sollte sichergestellt werden, dass Asylsuchende in der gesamten EU harmonisierte Standards vorfinden (bezüglich der Unterkunft, des Zugangs zum Arbeitsmarkt …). So soll eine Sekundärmigration verhindert werden.
Gemäß der Vereinbarung, die im April 2024 vom Parlament offiziell angenommen wurde, dürfen registrierte Asylbewerber spätestens sechs Monate nach ihrem Asylantrag einer Arbeit nachgehen. Sie erhalten außerdem Zugang zu Sprachkursen, staatsbürgerlicher Bildung oder Berufsausbildung. Alle Kinder, die Asyl beantragen, sollten spätestens zwei Monate nach ihrer Ankunft in der Schule angemeldet werden. Für unbegleitete Minderjährige wird ein Vormund bestellt.
Mit den neuen Vorschriften sollen die Antragsteller davon abgehalten werden, sich nach ihrer Registrierung innerhalb der EU zu bewegen, da der Zugang zu den Aufnahmebedingungen auf das Land, das ihren Antrag bearbeitet, beschränkt bleibt und die Ausstellung von Reisedokumenten eingeschränkt wird. Die nationalen Behörden können auch die Anwesenheit des Asylbewerbers auf bestimmte Gebiete beschränken.
Eine Inhaftierung von Asylbewerbern bleibt weiterhin möglich, allerdings nur in Ausnahmefällen, auf gerichtliche Anordnung und für einen möglichst kurzen Zeitraum.
Asylagentur der Europäischen Union
Am 11. November 2021 unterstützte das Parlament die Umwandlung des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) in die Asylagentur der Europäischen Union, nachdem eine Einigung mit dem Rat erzielt worden war. Seit Januar 2022 trägt die neu gestaltete Agentur dazu bei, die Asylverfahren in den EU-Mitgliedstaaten einheitlicher und schneller zu gestalten. Ihre 500 Experten unterstützen die nationalen Asylsysteme, die mit einem hohen Fallaufkommen konfrontiert sind, und machen das gesamte Migrationsmanagementsystem in der EU effizienter und nachhaltiger.
Darüber hinaus ist die neue Agentur für die Überwachung der Einhaltung der Grundrechte im Rahmen der Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten zuständig. Sie hilft auch bei der Zusammenarbeit zwischen EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten.
EU-Mittel für die Asylpolitik
In einer im Juli 2021 angenommenen Entschließung billigte das Parlament den neuen Haushalt des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) für den Zeitraum 2021–2027, der auf 9,88 Milliarden Euro ansteigen wird. Mit dem neuen Fonds soll dazu beigetragen werden, die gemeinsame Asylpolitik zu stärken, die legale Migration im Einklang mit den Bedürfnissen der Mitgliedstaaten zu entwickeln, die Integration von Drittstaatsangehörigen zu unterstützen und die irreguläre Migration zu bekämpfen. Zudem werden die Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, die Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylsuchenden gerechter zu verteilen.
Das Parlament unterstützte auch die Einrichtung eines neuen Fonds für integriertes Grenzmanagement (IBMF) und stimmte zu, 6,24 Milliarden Euro dafür bereitzustellen. Mit dem IBMF sollen die Kapazitäten der Mitgliedstaaten beim Grenzmanagement verbessert und gleichzeitig die Einhaltung der Grundrechte sichergestellt werden. Zudem wird ein Beitrag zu einer gemeinsamen, harmonisierten Visumpolitik geleistet. Ein weiteres Ziel des Fonds ist die Einführung von Schutzmaßnahmen für schutzbedürftige Menschen, die in Europa ankommen, insbesondere für unbegleitete Minderjährige.
Weitere Informationen zum Thema EU und Migration:
- EU-Grenzkontrollen und Migrationsmanagement
- Integration von Flüchtlingen in Europa
- Rückführung: Wie viele Migranten in der EU werden zurückgeführt?
- Arbeitsmigration: Verbesserung der legalen Wege zur Arbeit in der EU
Dieser Artikel wurde zuletzt im April 2024 aktualisiert.