AboMountainbikerin Sina Frei im Interview«Abschied nehmen kann ich noch nicht – es hört ja nicht einfach auf wehzutun»
Tiefschläge, Triumphe und eine Tragödie: Die 27-Jährige hat emotionale Monate hinter sich. Und trauert um ihre Clubkollegin Muriel Furrer.
Im Café Fridies in Uetikon am See sind die Leute so entspannt wie die aus alten Möbeln zusammengewürfelte Einrichtung. Fast alle Tische sind besetzt, es ist eng. Fotografieren sei aber kein Problem, sagt die Frau hinter der Theke: «Das geht mit Sina Frei bestimmt unkompliziert.»
Die 27-jährige Mountainbikerin ist in ihrem Heimatdorf ein bekanntes Gesicht. 2021 gewinnt sie an den Olympischen Spielen in Tokio Silber im Cross-Country und sorgt mit Jolanda Neff und Linda Indergand für ein historisches Schweizer Olympia-Triple.
In den darauffolgenden Jahren kommt Sina Frei allerdings nicht auf Touren. Und auch 2024 bietet zunächst nur Stoff, um von einer weiteren verkorksten Saison zu erzählen. Ein Handbruch im Mai, ein Defekt an den Olympischen Spielen, eine WM zum Vergessen. Doch dann fliegt Frei an die Rennen nach Nordamerika und verpasst ihrer Geschichte ein Happy End. Sie holt die ersten zwei Weltcupsiege im Short Track, feiert eine Podest-Premiere im Cross-Country und gewinnt Gold an der Gravelbike-EM.
Trotz sportlichem Erfolg sind es keine unbeschwerten Tage für Sina Frei. Während sie am Weltcupfinale in Übersee startet, verstirbt an der Rad-WM in Zürich Nachwuchsfahrerin Muriel Furrer nach einem schweren Unfall. Frei hat sich am vergangenen Freitag an der Beerdigung in Uster von ihrer jungen Vereinskollegin vom VC Meilen verabschiedet. Wobei sie sich gegen das Wort Abschied wehrt, «weil es ja nicht einfach aufhört wehzutun».
Sina Frei, wir sind hier in Ihrem Stammcafé. Offensichtlich trinken Sie gern guten Kaffee. Sind Sie wie viele Leute im Radsport auch eine Hobby-Barista?
Auf jeden Fall! Ich habe daheim eine Barista-Maschine und damit auch mein eigenes kleines Café. Neben dem Velo ist Kaffee eine geteilte Leidenschaft im Radsport. Das zeigt sich insbesondere auf den Social Rides. Bei diesen Trainingsfahrten ohne Leistungsdruck machen wir gern Zwischenstopps in den Cafés entlang der Strecke. Zwischen einem guten und einem schlechten Kaffee liegen Welten.
Und wo auf der Welt haben Sie Ihren bisher besten Kaffee getrunken?
In Tokio. Wir waren im Vorfeld der Olympischen Spiele 2021 für einen Test-Event in der Stadt. Via Google landeten wir bei Verve Coffee Roasters. Der Kaffee dort war Extraklasse. Zufälligerweise entdeckte ich später in Santa Cruz, am Hauptsitz meines Teams Specialized, einen weiteren Verve-Laden. Das war ein kleiner Glücksmoment.
Auf dem Mountainbike haben Ihnen die Glücksmomente in diesem Jahr lange gefehlt. Doch dann folgte das starke Saisonfinale. Haben Sie selbst noch an ein Happy End geglaubt?
Mal mehr, mal weniger. Der Handbruch im Mai brachte alles durcheinander. Die Olympischen Spiele in Paris waren eine einzige Enttäuschung. Vor der WM in Andorra Ende August erwischte mich im Höhentraining ein Magen-Darm-Virus. Klar gab es Zweifel. Doch dann folgte am Gravel-Weltcup in Champéry der Wendepunkt. In diesem Rennen konnte ich wieder Vollgas geben und kam mit zwanzig Minuten Vorsprung ins Ziel. Das war enorm bestärkend. Daraufhin gelang mir endlich die Bestätigung, dass es wieder ganz an die Spitze reicht. Der EM-Sieg mit dem Gravelbike war das Tüpfelchen auf dem i. Am meisten bedeuten mir jedoch ganz grundsätzlich die Siege im Mountainbike-Weltcup.
Und das, obwohl Sie bereits eine Olympia-Silbermedaille haben? Geht es auch um Anerkennung innerhalb der Szene?
Ja. Zweifellos ist eine Olympiamedaille für eine Mountainbikerin etwas Grosses. Doch es ist eben auch eine Tatsache, dass das Feld an den Spielen schwächer besetzt ist als in anderen Elite-Rennen, weil pro Nation nur eine begrenzte Anzahl Startplätze vergeben wird. Es ist also vergleichsweise fast einfacher, an Olympia eine gute Platzierung herauszufahren, als im Weltcup.
Lohnen sich die Weltcupsiege auch finanziell?
Punkto Preisgeld sicher nicht. Es ist nämlich richtig schlecht. Dass es den Männern genau gleich geht, ist das einzig Faire an der Sache. Wir reden hier von gut 1000 Franken für einen Short-Track-Sieg. Davon kann man nicht leben. Was sich hingegen auszahlt, sind die ausgehandelten Prämien in unseren Verträgen mit Team und Sponsoren.
Ihre Weltcuprennen in Lake Placid fielen zeitlich zusammen mit dem tödlichen Unfall Ihrer Vereinskollegin Muriel Furrer an der Rad-WM in Zürich. Wie haben Sie davon erfahren?
Ich sah auf Instagram, dass Muriel einen Sturz hatte, und informierte sofort meine Familie. Wie schlimm es wirklich ist, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Am nächsten Tag habe ich dann von ihrem Tod erfahren. Es war ein grosser Schock. Ist es eigentlich immer noch.
Wie geht es Ihnen damit?
Meine Gedanken sind vor allem bei den Angehörigen. Um sie ging es mir auch an der Beerdigung am Freitag in Uster. Auch wir Fahrerinnen und Fahrer durften alle eine Kerze für Muriel anzünden. Es war wichtig, da zu sein, um die Trauer mit der Familie Furrer zu teilen. Und auch die Erinnerungen. Muriel war ein fröhlicher, zielorientierter junger Mensch. Unser Altersunterschied betrug neun Jahre. Als sie beim VC Meilen einstieg, war ich bereits im Weltcup unterwegs. Wir haben uns darum eher selten getroffen. Ich weiss jedoch, dass ich für sie auch ein Vorbild war. Und ich weiss, dass eine Beerdigung auch ein Abschiednehmen sein sollte.
Aber?
Ich kann das im Moment noch nicht so sehen. Da sind die vielen noch ungeklärten Fragen zu ihrem Unfall. Und da ist der Schmerz, es hört ja nicht einfach auf wehzutun.
Ein solches Ereignis relativiert alle sportlichen Tiefschläge. Trotzdem möchte ich mit Ihnen noch über die Olympischen Spiele sprechen.
Ja, diese sind mir sozusagen in die Planung gerutscht.
Weil Jolanda Neff Forfait geben musste, rückten Sie kurzfristig nach. Hätten Sie besser abgesagt?
Ich überlegte es mir kurz. Wegen meiner Hand hatte ich die Selektionsrennen verpasst und Paris abgehakt. Aber dann sah ich die Chance, ohne Druck an die Spiele zu fahren.
Das Rennen war dann eine Enttäuschung. Wegen eines frühen Defekts lagen Sie nach der ersten Runde chancenlos zurück.
Ja, das war hart. Aber ein Olympiarennen gibt man nicht einfach auf. Ich habe für die Reparatur meiner Schaltung eineinhalb Minuten in der Tech-Zone gestanden, in dieser Zeit aber höchstens eine halbe Sekunde darüber nachgedacht, ob ich weiterfahren soll oder nicht. Es ging mir auch um die Leute, die meinetwegen am Streckenrand waren. Ich wollte nicht, dass sie sich sorgen, wenn ich nicht mehr auftauche. Der 21. Rang sieht auf dem Papier miserabel aus. Aber ich fuhr danach eigentlich ein richtig gutes Rennen und machte noch zahlreiche Plätze gut.
Als Sie mit 12 anfingen zu biken, dachten Sie noch nicht an die Weltspitze, sondern nur an die gemeinsamen Veloferien mit dem Vater und dem Bruder. Was würden Sie heute machen, wären diese Ferien in Spanien nicht gewesen?
Bestimmt etwas Kreatives. Bereits in der Schule waren Turnen und «Handsgi» meine Lieblingsfächer. Ich habe später auch als Damenschneiderin geschnuppert.
Heute ist Nähen Ihr Hobby. Während der Corona-Zeit haben Sie mit Ihren Snackbags ein eigenes Produkt entworfen. Verkaufen Sie diese wiederverwendbaren Täschchen noch?
Nein. Bei mir sind die Snackbags zwar weiterhin täglich in Gebrauch. Doch auf Bestellung produziere ich sie schon länger nicht mehr. Ich musste mir eingestehen, dass Nähen für eine Profi-Mountainbikerin ein schwieriges Hobby ist. Ich bin viel unterwegs. Und eine Nähmaschine lässt sich nicht so einfach mitnehmen.
Auf dem Mountainbike mögen Sie Strecken mit Wurzeln und Schlägen. Was ist denn Ihre liebste Unterlage an der Nähmaschine?
Ein Stoff, der ohne viel Widerstand läuft. (lacht)
Das wäre dann eher die Analogie zum Strassenrennen. Sind diese für Sie ein Thema?
Nächste Saison sicher nicht. Wenn, dann setze ich aktuell auf die Variante Gravelbike.
Sie sind mit Ihren 1,51 Metern eine kleine Athletin. Hat der momentane Entscheid gegen die Strasse auch etwas mit Ihrer Körpergrösse zu tun?
Nicht unbedingt. Meine Grösse hat auf der Strasse Vor- und Nachteile. Ich bin mit meinem Windschatten gegenüber grösseren Konkurrentinnen alles andere als grosszügig. Und auch den Berg hinauf bin ich als Leichtgewicht im Vorteil. Auf den flachen Passagen wiederum, wo die absoluten Wattzahlen – also die Kraft, die aufs Pedal wirkt – entscheidend sind, habe ich Nachteile.
Werden Sie eigentlich oft auf Ihre Grösse angesprochen?
Hie und da.
Nervt es?
Puh! (überlegt) Es kommt vor. Dann sage ich einfach, ich sei halt platzsparend. Ich habe mir eine dicke Haut und Schuhe mit dicker Sohle zugelegt. Natürlich würde es mir nichts ausmachen, ein paar Zentimeter grösser zu sein. Aber wieso soll ich mich über etwas aufregen, was ich nicht ändern kann?
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