AboSki-Legende Didier Cuche im Interview«Ich wollte nur noch runter und dachte, ich würde diesen Tag nicht überleben»
Der Neuenburger gewann sechsmal auf der Streif und zeigte die perfekte Fahrt. Der 50-Jährige sagt, warum Marco Odermatt auch bald Kitzbühel-Sieger sein wird.
Wenn die besten Abfahrer der Welt am Samstag um den Sieg auf der berüchtigten Streif kämpfen, schaut der König zu. Didier Cuche ist in Kitzbühel für seinen Sponsor im Einsatz und begleitet dessen Gäste. Vor den Spektakelrennen redet der Neuenburger, der hier fünfmal die Abfahrt und einmal den Super-G gewonnen hat, über die Chancen von Marco Odermatt. Und er sagt, warum er einst trotz achteinhalb Sekunden Rückstand jubelte.
Didier Cuche, bald geht es in Saalbach um WM-Medaillen – und Marco Odermatt redet nur von seinem fehlenden Abfahrtssieg in Kitzbühel. Was bedeutet dieses Rennen für einen Abfahrer?
Der Sieg auf der Streif ist das Einzige, was noch fehlt in Odermatts Palmarès. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er auch in Kitzbühel gewonnen hat. Er ist noch jung, erst 27, er wird noch ein paar Anläufe haben. Ich hoffe aber für ihn, dass er dieses Jahr siegt, dann ist das Thema erledigt. Andererseits könnte ihn ein fehlender Triumph weiter antreiben.
Wie sehr steht er unter Druck?
Jeder erwartet den Sieg, die Medien, die Zuschauer, er selbst, seine Angehörigen, das Team. Das kann kontraproduktiv sein. Aber er hat schon so oft bewiesen, dass er im richtigen Moment abliefern kann. Doch selbst das ist keine Garantie in Kitzbühel. Bode Miller hat es auch nie geschafft, obwohl er sämtliche Fähigkeiten hatte dafür.
Daran sind doch Sie schuld, 2008 und 2011 wurde er hinter Ihnen Zweiter.
Das stimmt. Aber ohne zu sehr ins Detail zu gehen: Miller war auch selbst schuld. Ich ging vielleicht am Samstag nach dem Rennen spät ins Bett – er meist schon vor dem Rennen. (lacht)
«Am besten wäre es wohl, in Kitzbühel Olympiasieger zu werden, dann ist man der wahre König.»
Olympische Spiele, Weltmeisterschaften, Wengen: Wo reiht sich die Hahnenkammabfahrt ein?
In die Top 2. Manchmal werde ich gefragt, ob ich einen meiner Siege von Kitzbühel eintauschen würde gegen Olympiagold. Tja, wenn ich wählen könnte, vielleicht schon. Auf der anderen Seite erfüllt einen das Gefühl, diese Abfahrt gewonnen und die Streif beherrscht zu haben, mit purem Glück.
Sie sind mit fünf Triumphen in der Abfahrt Rekordsieger: Sind Sie nicht lieber der König von Kitzbühel als Olympiasieger?
Ich bin einer, der die Sachen akzeptiert, wie sie sind. Aber ich weiss, welche Bedeutung ein Olympiasieg haben kann. Ob das jetzt richtig gewichtet wird oder nicht, sei dahingestellt. Am besten wäre es wohl, in Kitzbühel Olympiasieger zu werden, dann ist man der wahre König. (lacht)
Odermatt ist seit Jahren der beste Skifahrer, holte im Vorjahr auch die Abfahrtskugel und führt erneut in der Disziplinenwertung. Warum hat es in Kitzbühel noch nie geklappt?
Im letzten Winter fand er in Cyprien Sarrazin seinen Meister. Als er in der zweiten Abfahrt als Schnellster ins Ziel kam, dachte man: Besser geht es nicht. Aber Sarrazin war in einem Hoch, er gewann in Bormio und dann gleich beide Abfahrten in Kitzbühel, es gibt solche Phasen in einer Karriere. Leider ist er derzeit verletzt. Und Odermatt hat alles, was es braucht.
Was braucht es denn, um diese spektakuläre Piste am schnellsten zu meistern?
Mut und Cleverness. Nicht überall ist der kürzeste Weg auch der schnellste, es gibt Stellen, bei denen man taktieren und in Kurven ein hohes Tempo generieren muss, das einen dann über eine lange Strecke trägt. Vom Start weg, noch vor der Mausefalle, gilt es, clever zu fahren. Die Kurve vor dem Steilhang ist letztlich ausschlaggebend dafür, mit wie viel Tempo man in das Gleitstück fährt. Ich hatte dort nie Bestzeit, nahm aber extrem viel Tempo mit, von diesem lebte ich bis zur Einfahrt in die Traverse kurz vor Schluss.
«Odermatt bewegt sich eigentlich seit vier, fünf Jahren am Limit – und das ist ein Widerspruch.»
Odermatt fährt oft clever und enge Kurven wie sonst wohl niemand.
Es gibt vielleicht noch ein paar Athleten, die so freche und gute Kurven fahren können wie er, aber keiner hat solch eine Kompromisslosigkeit. Er erlebt auch heikle Momente, etwa in Adelboden, als er auf dem Innenski ausrutschte – oder auch in Bormio. Er bewegt sich eigentlich seit vier, fünf Jahren am Limit – und das ist ein Widerspruch. Denn es geht praktisch nie etwas schief bei ihm. Hätte er vor zwei Jahren den Verschneider direkt vor dem Steilhang nicht gehabt, hätte er gewonnen, er kam mit einem Wahnsinnstempo daher. Doch dann war er kurz über dem Limit, der Innenski griff, er hatte viel Glück. Vielleicht braucht er solche Erfahrungen, um zu spüren, wo auf dieser Strecke die Grenze liegt.
Wo sehen Sie Parallelen, wo Gegensätze zu Ihnen?
Wir sind körperlich anders konstituiert, er ist grösser und schmaler, der Fahrstil ist nicht vergleichbar. Bei ihm ist es, wie es bei Hermann Maier war: Man fragt sich immer wieder, was er anders und besser macht. Er hat die Fähigkeit, voll am Limit zu fahren, dank seines Könnens die Situation aber dennoch zu kontrollieren. Es sind die Fähigkeiten eines Dominators.
Haben Sie in Ihrem Leben irgendwo Emotionen erlebt wie in Kitzbühel?
Ich wüsste nichts, was so intensiv war. Das fängt schon beim ersten Mal an.
Wie war das erste Mal?
Es war im Training 1996, vier der ersten fünf Fahrer waren gestürzt, drei mussten mit dem Helikopter abtransportiert werden. Ich wollte nur noch runter und dachte, ich würde diesen Tag nicht überleben. Aber irgendwie schaffte ich es ins Ziel und riss die Arme in die Höhe – obwohl ich achteinhalb Sekunden verloren hatte. Ich fühlte mich, als hätte ich gewonnen, das sagt eigentlich schon alles über diese Strecke. Das zweite Training wurde abgesagt, im Rennen fuhr ich dann gleich auf Rang 22. Es war, als würde ich über die Piste fliegen, bei jedem noch so kleinen Hügel hatte ich das Gefühl, nicht mehr am Boden zu sein. Das war Adrenalin pur und gleichzeitig beängstigend.
Waren Sie wie in Trance?
Es war eher ein Flow. An manche Details erinnere ich mich noch, als wäre es gestern gewesen. Und manchmal ging es in meiner Karriere so perfekt auf, dass ich mich fast fühlte wie in Zeitlupe. Ich kam nie in eine Stresssituation, war einfach im Fluss. Das hatte ich vielleicht fünfmal in meiner Karriere, etwa 2011 in Kitzbühel.
Wie schnell wandelte sich Ihre Angst vor der Streif in Liebe?
Dieser Prozess startete jedes Jahr von neuem. Zu Beginn war es natürlich enorm. Ich dachte: Hier starte ich nicht, das geht nicht. Dann merkst du, dass es geht. 1998 stand ich erstmals ganz oben: Dieser Gegensatz der Emotionen ist gewaltig.
«Beim Rücktritt war ich einfach nur dankbar, dass es mich nie erwischt hatte auf der Streif.»
Fühlten Sie sich irgendwann unschlagbar?
Das nicht. Aber ich spürte die Blicke der Trainer, der Gegner, ich spürte, dass sie in mir den grossen Favoriten sehen. Das machte mich nur noch stärker. Ich wurde dadurch nicht hochnäsig, es gab nur extrem viel Schub.
Wie ist das Gefühl, diese Piste zu beherrschen?
Es gibt kein besseres Gefühl, keine tiefere Zufriedenheit, als eine so gefährliche Piste zu beherrschen. Als ich mit 38 zurücktrat, war ich aber auch einfach nur dankbar, dass es mich nie erwischt hatte auf der Streif. Für einige Athleten endete die Karriere in Kitzbühel.
Welches war Ihr schönster Sieg?
Jeder hat seine eigene Geschichte. Ich war schon über meinen 22. Rang bei der Premiere unglaublich glücklich. 1998, im zweiten Anlauf, gewann ich dann gleich die Sprintabfahrt. Es war wunderschön, auch wenn die Strecke nicht viel mit Kitzbühel zu tun hatte, die untere Hälfte führte gar über den Slalomhang. Dass ich am Folgetag auf der Originalpiste Zweiter wurde, war eine wichtige Bestätigung. 2008, zehn Jahre später, gewann ich wieder, das war ganz speziell – aber wieder starteten wir nicht von ganz oben. Umso schöner war 2010 mit dem Doppelsieg in Super-G und Abfahrt. Und 2011 …
… folgte Ihre perfekte Fahrt …
… Kaiserwetter, 50’000 Zuschauer, die perfekte Fahrt, fast eine Sekunde Vorsprung. Und das mit Ski, die ich eine Woche zuvor in Wengen nicht fahren wollte.
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Weshalb?
Sie waren so unruhig, ich kam mit dem Aufbau nicht zurecht. Ich sagte dem Servicemann, er solle sie gar nicht erst mitnehmen. Er tat es doch und sagte: «Wenn du drei Zehntel schneller sein willst, nimmst du diese Ski.» Ich schluckte leer, hörte auf ihn – und dann zeigte ich diese Fahrt! Der letzte Triumph 2012 war auch sehr speziell, zwei Tage davor hatte ich meinen Rücktritt auf Ende Saison bekannt gegeben. Es schneite, wir starteten nicht von ganz oben, es war schwierig, und doch gewann ich. Es war verrückt, ich fühlte mich erleichtert, hatte ich das Ende meiner Karriere verkündet.
Wie ist es für Sie, wenn Sie heute nach Kitzbühel reisen?
Noch immer schön und speziell, ich habe hier nur gute Erinnerungen. Und jetzt ist es toll für mich, quasi im Liegestuhl zu sitzen und die Show zu geniessen.
Wie gross ist der Trubel um Sie noch?
Laufe ich durch die Zuschauer Richtung Ziel, ist er gross. Ich werde oft nach einem Selfie gefragt. Ich geniesse das, die Leute haben Spass, wenn ich mir Zeit nehme für ein Foto oder eine Unterschrift.
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